KMU-Tag St. Gallen – eigentlich huäräguät

Bin am KMU-Tag St. Gallen. Selten habe ich eine Veranstaltung so unterschätzt. Dachte, da sitzen ein paar Ostschweizer Unternehmer und diskutieren und hatte mich angesichts dessen schon über den Veranstaltungsort OLMA gewundert.

Sobald man in den Saal kommt, weiss man es besser. In diesem Jahr sind es erstmals mehr als 1000 Teilnehmer, die Veranstalter organisierten Anreisen per Autobus aus Aarau, Bern und Basel. Ich hätte den Saal leer fotografieren sollen, da war es noch eindrücklicker – die riesige OLMA-Halle mit Konferenzbestuhlung erinnerte mich spontan an Fernsehbilder vom Nationalen Parteikongress der Kommunistischen Partei Chinas (der allerdings laut Wikipedia 2000 Delegierte hat).

Plenarsaal

In der Pause versuchte ich, mit Roger Tinner (macht mal die Frames weg, jetzt sind es bald zehn Jahre, seit man das weiss), dem Missverständnis auf den Grund zu gehen. Das Ding hiess bei den ersten beiden Durchführungen „St. Galler KMU-Tag“. Jetzt heissen sie „Schweizer KMU-Tag St. Gallen“, und mit dem Namen hätte ich’s auch kapiert. Ist schon eine tückische Sache mit diesem Branding.

Im Folgenden nur ein paar Eindrücke vom Programm , heute schon wieder Liveblogging tue ich mir nicht an.

Anchorman ist der bei solchen Anlässen fast unausweichliche 10vor10-Moderator Stephan Klapproth. Der Mann ist ein fleischgewordenes Wortspiel. Vielleicht denkt er, er wird pro Wortwitz bezahlt, denn er lässt bei seinen vorbereiteten Texten keine Gelegenheit aus. Auch den Witz über George Bush, der „ohne Manuskript einen vernünftigen Satz sagt“, liest Klapproth vom Blatt ab. Was soll’s, den Leuten gefällt’s; George Bush zieht sich durch den ganzen Tag, und sie lachen bei jedem. Einen besonders guten Verkäufer umschreibt Klapproth als „jemanden, der George Bush ein Buch ohne Bilder verkaufen kann“ – Applaus auf offener Bühne. Im Verlauf des Tages merkt man, dass alle Sprüche wohlvorbereitet sind, denn in der Moderation der Diskussionen kommen sie deutlich weniger häufig.

Prof. Thorsten Tomczak kenne ich von der HSG seit sage und schreibe 13 Jahren, höre ihn aber heute zum ersten Mal referieren. Als ich anfing zu studieren, dachte ich noch, ich wollte Marketing vertiefen. Hätte ich mal machen sollen, zumindest ist Tomczaks Vortrag super. Wie bin ich nur damals auf die schiefe Bahn Informationsmanagement geraten??

Das beste kommt gleich am Anfang. Tomczak zeigt eine Folie, die er bei der Kinder-Uni-Vorlesung vor zwei Jahren gebracht hat: Auf der Folie sind vier T-Shirts, eins mit einem Adidas-Logo, eins mit Puma, eins mit Nike und eins ohne. Alle haben die gleiche Qualität. Das ohne Logo kostet 15 Franken, die anderen drei je 40. Tomczak hat die etwa 700 (rappelvoller HSG-Audimax!) achtjährigen Kinder abstimmen lassen, welches T-Shirt sie gern wollten.

T-Shirts

Das erste Ergebnis: 0, in Worten null Kinder, wollten das T-Shirt ohne Logo. Das zweite Ergebnis weicht in der Generation wohl deutlich davon ab, wenn man meine Altersgruppe befragen würde, und zeigt, warum es Puma derzeit so gut geht: 15% Nike, 25% Adidas, 60% Puma. Wow.

Das Foto hier ist nett zum Thema „Man muss das Versprechen seiner Marke auch einhalten“.

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Als nächster spricht Gerry Schwarz, Leiter Wirtschaftsredaktion NZZ, ohne Folien über Vertrauen. Der Vortrag ist interessant und kurzweilig, aber wie gesagt, live mitbloggen ist mir zu anstrengend, zumal man durch die Peking-Bestuhlung auch so eng neben seinen Nachbarn sitzt, dass ich den Satz „Können Sie nicht leiser tippen?“ nicht riskieren will.

In der Pause kommt irgendein freier Journalist auf die Bühne und macht mit seiner 2-Megapixel-Kamera aus 50 cm Entfernung hintereinander ungefähr acht Fotos von Schwarz. Der wundert sich etwas, wie mir scheint, reckt sich aber achtmal brav ins Bild.

Gerhard Schwarz wird fotografiert

So eine Veranstaltung von und für KMU bedeutet immer, dass viel Logos auf Kragen gestickt werden:

Logo auf Kragen

Es folgt Francesco Illy von FrancisFrancis, besser bekannt u.a. mit den Marken Illy oder Amici. Er macht, das hab ich auch noch nie gesehen, seinen Vortrag komplett im Sitzen auf einem der Ledersessel, die eigentlich für die Diskussionsrunden genutzt werden – sieht recht cool aus:

Francesco Illy

Er spricht unglaublich gut Deutsch, natürlich mit’e italienische Akzent’e, aber praktisch ohne Fehler. Toll. Er erzählt davon, wie wenig Geschmack eigentlich ausmacht im Vergleich zum Sehen, über das wir 87% unserer Informationen aufnehmen. Ich glaube, ich habe das richtig mitbekommen, auch wenn ich es nicht glauben kann: Das Auge sendet 1.5 Millionen Informationen pro Sekunde, der Geschmackssinn 15, der Geruchssinn nur 7. Na ja, auch wenn die Zahlen nicht stimmen, jedenfalls ist Geschmack im Vergleich eigentlich unwichtig. Daher muss man etwas für das Auge tun, auch wenn man etwas für den Geschmack (Kaffee) verkaufen will, und so hat Francesco die Illy Collection (Link oben links, man sollte die Leute mal nach der Qualität ihrer Websites einladen, da wär aber keiner da) erfunden. Dass das gut funktionierte, hat man gemerkt, als die Leute anfingen, in den Cafés die Tassen (die es damals noch nicht zu kaufen gab) zu klauen.

Dann kommt Frank Baumann, Werber, Sonnyboy, Fernsehmann etc. etc. – und KMUler mit seiner Firma Wörterseh (ceterum censeo… diese Website… und erst die Google-Vorschau … man könnte echt denken, es ist 1999).

Frank Baumann

Baumann schafft es, einen Vortrag zu halten, der von Kalauern und frauenfeindlichen Gags nur so wimmelt – zum Beispiel hat er immer wieder halbnackte Frauen drin und sagt jedes Mal „huch, falsche Folie“, überhaupt nicht komisch, und dann hat er noch in der Mitte von seinem Referat einfach zehn Minuten Firmenpräsentation eingebaut, ohne mit der Wimper zu zucken – und trotzdem einigermassen sympathisch rüberzukommen. Dass sich jemand bei einem Männerpublikum mit Chauvisprüchen anbiedert, ist ja fast normal. Dass die wenigen Frauen im Publikum dann oft komischerweise selbst noch mitlachen, habe ich auch schon einige Male erlebt. Aber Baumann war auch mir ganz sympathisch, was ich merkwürdig finde.

Aber vielleicht lag das an den wenigen eigentlichen Aussagen zu seinem KMU-Business. Extrem gut fand ich, wie er sagt, dass wir alle immer möglichst viele Mitarbeiter haben wollen und daran auch gesellschaftlich gemessen werden. (Das kenne ich auch selbst von Zeix: Wenn ich alte Bekannte treffe und sage, wir machen Internetberatung, gucken viele halbwegs mitleidig – wenn ich dann anfüge, wir sind inzwischen 20 Mitarbeiter, dann wandelt sich der Blick in Anerkennung.) Baumann hat reduziert und reduziert und reduziert (was er leider wieder mit Bildern von nackten Frauen dokumentiert, und Männern, hach, super Idee) und hat jetzt noch vier, für jeden Bereich seiner Wörterseh einen und ist damit am glücklichsten. Zwischendurch sagt er noch was Frauenfeindliches, das aber nicht anzüglich ist, und das ich leider gut verstehen kann: Er hat das Sekretariat outgesourced, weil er keine Lust hat, Angestellte zu haben, die den ganzen Tag nur daran denken, wann sie endlich wieder möglichst weit von der Firma weg sein können.

Nach diesen ernsten Themen noch ein paar Baumann-Folien zur Auflockerung:

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Klarer Sales-Pitch für die von seiner Frau geschriebenen, von ihm verlegten Bücher (im Bild Buch 4 von 4)

Huäräguät

Kampagne von Baumann für Elmer Citro und Mineral

Die Kampagne brachte ihm viel Ärger mit Gymnasiallehrern ein, die glaubten, dass das Wort „huäräguät“ schlecht für ihre Schüler sei, und einen Artikel in der NZZ, in dem sich jemand freute, dass die alten Schweizerdeutschen Wörter wieder Auftrieb bekommen (das Wort kommt vom lateinischen „horrendus“) – da war es aber schon zu spät, die Kampagne war schon gestoppt.

Baumann wäre nicht Baumann, wenn er nicht auch das für einen kleinen Exkurs nutzen würde, dass das Wort sogar vom „Milieu“ aufgenommen wurde:

Erotikanzeigen

Hier noch ein super Foto von Bernie Ecclestone mit seiner Frau – hab den Kontext vergessen:

Bernie Ecclestone und Frau

Tja, und dann war’s irgendwann mit Baumann ziemlich plötzlich zu Ende, wie auch dieser Beitrag hier, denn in der nächsten Pause bin ich gegangen – Norbert Blüm, der als letzter kam, kann man ja jeden zweiten Tag in einer Talk- oder Ratesendung sehen, und jemanden, der 16 Jahre lang als Minister gebetsmühlenartig wiederholt hat: „Die Rente ist sicher“, obwohl alle wussten, dass es nicht stimmt, kann ich nicht ernst nehmen.

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Ein Gedanke zu „KMU-Tag St. Gallen – eigentlich huäräguät“

  1. Goldküstenbewohner Frank Baumann hat immer noch den Drang, sich zu profilieren? Wäre an der Zeit, dass dieser ********** **** (Edit vom Betreiber, pho) die Scheisse, die er gebaut hat, wieder gut macht und seine „Opfer“ entschädigt.

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