Convenience is King (Kolumne in KressPro)
Wer meint, seine Inhalte seien so unverzichtbar, dass seine Kunden jegliche Mühsal auf sich nehmen, sollte sich anschauen, wie einfach es weltweite Marktführer ihren Kunden machen.
„CONTENT IS KING“, SAGT MAN GERN. Dabei wird übersehen, dass oft die Einfachheit, mit der dieser Content zugestellt wird, vielleicht sogar noch wichtiger ist. Natürlich: Wenn der neue Star-Wars-Film erstmalig zum Download verfügbar ist, und das nur bei iTunes, wird man sich als guter Vater dort einfinden und zähneknirschend die 20 Euro abdrücken. Hier ist Content zweifellos noch King, denn die Söhne akzeptieren nur das Original.
Die meisten Medienleute denken, ihre Inhalte seien absolut unverzichtbar, aber Experten sind sich da längst nicht sicher, ob das wirklich stimmt. Häufig sei der zu erledigende „Job“ ein überraschend anderer als nur der Content, fand etwa Harvard-Professor Clayton Christensen („The Innovator’s Dilemma“), als er vor einigen Jahren sein Jobs-to-be-done-Framework – also die Frage: Was ist die eigentliche Aufgabe eines Produkts? – auf Medien anwandte (http://goo.gl/NlV8Dn). Diverse Beispiele kennen wir in den Medien bereits seit Langem: Die Regionalzeitung wird nicht nur wegen der Artikel gelesen, sondern auch wegen der Schweinebauch- und Todesanzeigen. Und die womöglich wichtigste Funktion eines Pendlerblatts ist es, die Zeit auf dem Arbeitsweg zu vertreiben – „20 Minuten“ bei uns in der Schweiz bezieht sogar seinen Namen daher.
Zurück zu Videos wie Star Wars und einer der großen globalen Erfolgsgeschichten der vergangenen Jahre: Netflix, dem Video-Streaming-Dienst mit 80 Millionen zahlenden Nutzern. Wenn Journalisten über Video-Anbieter schreiben, denken sich alle dasselbe Testverfahren aus: Wie viele Filme und Serien sind wo verfügbar? Das Testergebnis lautet dann: Dienst A gewinnt gegen Dienst B mit 120.000 zu 100.000 Titeln.
Dieses Verfahren ignoriert nicht nur die Tatsache, dass eh niemand Zehntausende von Filmen anschauen kann, sondern vor allem, dass der „Job to be done“ für viele Zuschauer schlicht lautet: „Wenn ich abends meinen Fernseher einschalte, will ich werbefrei zwei Stunden gut unterhalten werden.“ Womöglich mit dem Zusatzwunsch: „Wenn ich unterwegs bin, will ich dieselbe Auswahl haben.“ Welche Serie jemand dann anschaut oder ob sie von 2016 oder 2014 ist, ist ihm vielleicht – Schock für die Content-Branche! – mehr oder weniger egal.
Sobald man sich vom Unser-Inhalt-ist-der-beste-Mantra löst, tritt sofort das Nutzererlebnis ins Zentrum. Wenn ich die PR-Aussagen großer Telekom-Anbieter wie Telekom, Unity Media oder Swisscom lese, die regelmäßig sagen: „Unsere Videothek ist genauso gut wie Netflix“, denke ich immer, dass vermutlich kaum ein Konsument Inventarlisten vergleicht wie die PS-Zahlen zweier Autos.
Wem ein Videobeispiel als Analogie für seine Branche zu wenig relevant ist, für den hätte ich noch zwei andere:
Spotify: Der Musik-Streaming-Dienst aus Schweden hat sich zu einer Art De-facto-Standard für Musik im Netz entwickelt. Die Tatsache, dass immer wieder Künstler mit großem Getöse ihre Titel aus dem Spotify-Inventar entfernen lassen, weil sie denken, sie könnten via Downloads (noch) mehr verdienen, tut seiner Popularität keinen Abbruch. Und auch als im Sommer 2015 Apple Music lanciert wurde, wurde das voreilig als Todesstoß für Spotify ausgerufen, der jedoch keineswegs eingetreten ist, sondern es wuchs im Jahr 2015 auf 30 Millionen User. Apple Music ist in Leistung und Preis absolut vergleichbar, doch ist so merkwürdig zu bedienen (das
bis heute seltsam anmutende iTunes lässt grüßen), dass Spotify weit enteilt bleibt.
Kindle: Der E-Reader von Amazon ist ein geschlossenes System, auf das man sich einlassen muss, denn man nimmt hin, dass Amazon das Sagen hat. Aber wer das tut, wird mit einer phänomenalen User Experience belohnt, und zwar über alle Plattformen hinweg. Ein Buch, das man auf dem Kindle zu lesen beginnt, kann man jederzeit auf praktisch jedem anderen Endgerät (Laptop, Smartphone, Tablet) an derselben Stelle weiterlesen. Amazon, dem auch der Hörbuchanbieter Audible gehört, experimentiert sogar damit, dass man ein Hörbuch an derselben Stelle, an der man im E-Book war, weiter hören kann. Die vom deutschen Buchhandel als Alternative forcierte Lösung Tolino ist ein offeneres System, kann aber mit diesen Features nicht ansatzweise mithalten.
Es soll hier nicht darum gehen, blindlings internationale Lösungen gegenüber lokalen in den Himmel zu heben. Und ja, Spotify hat noch keinen Gewinn gemacht, und Netflix stößt an die Grenzen seines Wachstums. Aber wenn jemand behauptet: Unsere Lösung ist gleichwertig, weil unser Content genauso reichhaltig ist, muss erlaubt sein zu sagen: Erstens müssen das die User auch zuerst finden, und zweitens ist der Content nur die halbe Miete.
Als deutschsprachiger Verlag kann man nicht 1 : 1 mithalten mit den Großen aus dem Silicon Valley. Aber man kann sich durchaus jeden Tag ein Beispiel an ihnen nehmen.
Peter Hogenkamp ist CEO der Scope Content AG, die die Plattform «Scope» für handkuratierte Nachrichten zu Fachthemen mit derzeit 70 Channels betreibt.
Aus: KressPro 3/2016