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Interview mit dem NDR-Medienmagazin «ZAPP»

Letzte Woche hat mich der NDR für sein Medienmagazin «ZAPP» zum aktuellen Thema «Zeitungssterben» interviewt.

Letzte Woche hat mich der NDR für sein Medienmagazin «ZAPP» interviewt und es diese Woche gesendet. Leider kann man die Videos nicht einbinden, das da oben, was aussieht wie ein Video, ist nur ein Bild.

Hier ist der TV-Bericht, wie er am 28.11.2012 im Magazin ausgestrahlt wurde: Anhaltende Krise – Verleger kleben am Druckpapier (7:05 min.)

Daneben ist auch eine weitgehend ungeschnittene Version online: Das Interview mit Peter Hogenkamp (22:56 min.)

Beim Interview ist einiges redundant, weil der Journalist einige Fragen in leicht abgewandelter Form mehrfach stellt, was dann auch dazu führt, dass ich mehrfach auch fast dasselbe antworte. Manchmal wünschte ich mir weniger Sprachfehler («fort-schreibt»!), manchmal etwas mehr Thesaurus in meinen Antworten, indem nicht mehrfach hintereinander «legitim» zur Strategie von Döpfner sage, weil mir gerade kein anderes Wort einfällt. Aber was soll’s. Wir haben das ganze erst am Vorabend vereinbart, dann am Morgen als erstes angefangen, hatten uns null vorbereitet, dafür aber im Haus längere Zeit nach einem freien Platz gesucht (den wir dann freundlicherweise am Sitzungstisch des «Folio» fanden).

Hier noch ein paar Links zu meinen Aussagen:

Falsches Moralisieren über den Tod der «Frankfurter Rundschau»

Die «Frankfurter Rundschau» ist pleite. Die «Gratiskultur im Internet» ist nicht schuld. Und die Paywall nicht das Allheilmittel für die Zeitungsverlage.

Die «Frankfurter Rundschau» ist pleite. Die «Financial Times Deutschland» steht offenbar auf der Kippe, noch im November soll über die mögliche Einstellung entschieden werden.

Die deutschen Verleger und Verlagsmanager reagieren aber nun nicht, indem sie sagen: «Huch, die Einschläge kommen offenbar näher, Newsweek war ja noch weit weg, aber langsam sollten wir uns wirklich fragen, ob unser Blatt nicht das nächste ist, wenn wir nicht grundlegend etwas ändern», sondern sie flüchten sich in die immer gleichen reflexartigen Schuldzuweisungen.

Für links bis rechts ist die «Gratiskultur» im Internet mindestens mitverantwortlich. Zwar nennen alle mehrere Gründe, so Ines Pohl von der taz («Die Frankfurter Rundschau stand für einen festgefahrenen Gewerkschaftsjournalismus.») oder FAZ-Herausgeber Werner D’Inka («Das links-grüne Blatt hielt trotz schwindender Leserschaft zu lange am überregionalen Anspruch fest.»), aber das böse Internet kommt immer an prominenter Stelle vor.

Und obendrauf wird immer moralisiert. D’Inka schreibt:

So oder so sollte das ungewisse Schicksal der „Frankfurter Rundschau“ einer an die Gratismasche der digitalen Welt gewöhnten Gesellschaft Anlass zum Nachdenken darüber geben, was ihr unabhängige Zeitungen und eine Vielfalt der Stimmen wert sind.

Stimmt, so müsste es doch funktionieren – wir appellieren einfach an das schlechte Gewissen der Leser:

«Mitbürgerin und Mitbürger! Frage nicht, was dein Land für dich tun kann, sondern tausch jetzt Dein Sky-Bundesliga-Paket und Deine Handy-Flat gegen ein Zeitungs-Abo ein. Du weisst schon: Pressefreiheit, Vielfalt der Stimmen, vierte Gewalt… für die Gesellschaft und so weiter. Wir sitzen doch alle im selben Boot!

Vergelt’s Gott
Dein Verleger»

Beim aktuellen Parteitag der KP Chinas würde uns eine Ansage, dass die Menschen sich für das grosse Ziel gefälligst zusammenreissen sollen, nicht weiter wundern. Unsere Marktwirtschaft orientiert sich aber eigentlich eher an Adam Smith und seiner unsichtbaren Hand des Marktes. Die Bürgerin muss sich keineswegs aufraffen zu tun, was am besten für die Gesellschaft ist (auch wenn sie heutzutage an jeder Ecke dazu ermahnt wird), sondern sie kann guten Gewissens machen, was am besten für sie ist, und das wird in der Summe zum besten für die Gesellschaft. Zitat Adam Smith (im Original bei Wikipedia):

«Tatsächlich fördert er in der Regel nicht bewusst das Allgemeinwohl, noch weiß er, wie hoch der eigene Beitrag ist. (…) Er wird in diesem wie auch in vielen anderen Fällen von einer unsichtbaren Hand geleitet, um einen Zweck zu fördern, der keineswegs in seiner Absicht lag. Es ist auch nicht immer das Schlechteste für die Gesellschaft, dass dieser nicht beabsichtigt gewesen ist. Indem er seine eigenen Interessen verfolgt, fördert er oft diejenigen der Gesellschaft auf wirksamere Weise, als wenn er tatsächlich beabsichtigt, sie zu fördern.»

Ohne grosse empirische Fundierung darf man wohl behaupten: Die meisten Leute haben ihre Zeitung nicht abonniert, weil sie das als ihre Bürgerpflicht empfinden, sondern sie lesen sie zunächst wegen des persönlichen Nutzens. An der «taz» von Frau Pohl kann man das Potenzial des Modells «In die Pflicht nehmen» vermutlich gut ablesen, denn deren Abo-Werbung hat seit Jahrzehnten Appellcharakter. Das Ergebnis: 12’175 «GenossInnen» und rund 50’000 Abonnenten. Eher überschaubar.

Umgekehrt: Kaum jemand, der in den letzten zehn Jahren sein Print-Abo einer Tageszeitung gekündigt hat, wollte damit böswillig dem Verlag oder der Demokratie schaden. Sondern der Nutzen hat nicht mehr gestimmt, aus welchem Grund auch immer. Am häufigsten habe ich im Bekanntenkreis gehört, man habe die Zeitung abbestellt, nachdem man realisiert hatte, dass sie über Monate weitgehend ungelesen ins Altpapier gewandert war. Clayton Christensen nennt den Nutzen «jobs to be done», in einem Artikel, den jeder Medienmanager lesen muss: Die Zeitung erledigt einen «Job» nicht mehr so gut wie früher.

Ich wollte hier noch ein paar aus meiner Sicht falsche Gründe für das Scheitern der FR zusammen tragen, hab dann aber gefunden, dass Wolfgang Blau das bereits in einem Post bei Facebook getan hat. Wer keinen Facebook-Account hat: Meedia hat die Passage hierher kopiert: «Fragliches Konstrukt namens Tageszeitung». (Horizont.net, notabene Online-Ableger eines Print-Magazins, hat das gleiche gemacht, nur ohne Blau zu fragen. Aber morgen wieder nach Leistungsschutzrecht rufen…)

Wegen der zahlreichen differenzierten Kommentare, inbesondere eines ausführlichen Facebook-Kommentars von Wolfgang Blau selbst, der deutlich länger ist als der Originalbeitrag, lohnt es sich allerdings, den Text bei Facebook zu lesen. Dass die fundierteste Diskussion, die zumindest ich gesehen habe, bei Facebook stattfindet, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. (Werner D’Inka hat bei FAZ.net immerhin auch 25 Kommentare generiert, Blaus Noch-Arbeitgeber Zeit Online knapp 50. Darunter sind halt immer auch ein paar Deppen.)

Nicht aus dem Anlass, da im (monatlichen) Manager Magazin, aber zeitlich passend rührt Springer-Chef Mathias Döpfner gleich mal wieder die Trommel für Paid Content, mit dem martialischen Satz: «Hier entscheidet sich das Schicksal der Verlage.»

Das halte ich für übertrieben. Döpfner will vermutlich die Reihen schliessen, was legitim ist, aber Paid Content ist wohl eher ein Modul einer zukünftigen Digitalstrategie als das Allheilmittel.

Wir erinnern uns noch recht gut an die Döpfner-Aussage von April 2010 in der Talkshow von Charlie Rose (Video, Zitat ab 1:10), dass jeder Verleger Steve Jobs danken sollte, dass er «mit dem iPad die Verlagsbranche rettet». Davon hört man dieses Jahr nicht mehr so viel.

Wobei ich aus NZZ-Sicht durchaus bestätigen kann, dass das iPad einen enormen Einfluss hatte auf unsere Digital-Abos. Ich verrate kein Geheimnis, denn wir hatten bereits im Sommer das Wachstum der E-Paper-Abos auf über 10’000 kommuniziert. Ende September, also noch vor Einführung der Paywall, waren es schon über 11’000. Zur Einordnung: Die NZZ als E-Paper im Web (epaper.nzz.ch) gibt es seit rund zehn Jahren. In den ersten acht Jahren gewann man rund 1000 Abonnenten, in den letzten zwei Jahren seit Einführung des iPad – und der Bundles – dann 10’000. Das ist wohl der beste Wert im deutschsprachigen Raum, was Abos angeht, relativ zur Gesamtauflage sowieso.

Das ist toll. Ebenso übrigens wie die Zahlen der Paywall im ersten Monat, die mich sehr positiv überrascht haben. (Wir kommunizieren sie noch nicht.) Aber mittelfristig wird das noch nicht reichen. So wie es keinen alleinigen Grund für die Misere der Verlage gibt, schon gar nicht die vermeintliche «Gratiskultur», gibt es auch keinen alleinigen Retter, nicht das iPad (der European Newspaper Award von 2010 hat der «FR» herzlich wenig genützt), nicht die Paywall.

Ein Ansatz, der meiner Meinung in der deutschsprachigen Debatte bisher vernachlässigt wird, wäre die deutliche Steigerung der Reichweiten, und zwar nicht der Page Impressions mit Paginierung und aufgeblasenen Klickstrecken, sondern der User und der Visits. Jedes Online-Medium sollte sich dringend überlegen, wie es sowohl die Anzahl Besucher als auch die Anzahl Besuche durch dieselben in den nächsten beiden Jahren verdoppeln kann. (Ja, bei der NZZ sind wir noch nicht auf Kurs, was das angeht, das weiss ich natürlich selbst, und es bekümmert mich jeden Tag.) Die mobile Nutzung könnte hier ein Schlüssel sein; auch davon hört man eher zu wenig, vielleicht, weil viele Leute denken, mobilen Traffic könne man nicht monetarisieren. Letzteres dürfte sich bald ändern.

Für jede Nennung von «New York Times / Paywall» in einem deutschsprachigen Artikel sollte man zweimal «Huffington Post – Buzzfeed – Upworthy / Kuratierung – Social Media – Kommentare» oder was auch immer lesen. Nein, auch das ist wieder nicht der weisse Ritter. Aber wer denkt, Reichweite sei nicht mehr wichtig, weil jetzt die Paywalls kommen, macht den gefährlichsten Fehler von allen.

PS. Passte nirgends richtig rein: Wieso schreibt Werner D’Inka im gleichen Artikel: «Und hierzulande gibt es Hinweise darauf, dass der Leserschwund zum Stillstand kommt»? Hab ich was verpasst? Oder ist das das Pfeifen im Walde?

Steve Ballmer meets Hermann Hesse: Zum Abschied von Blogwerk

Meine Rede zum Abschied bei Blogwerk nach dem Verkauf an die WEKA-Firmengruppe.

Gestern Abend haben wir bekannt gegeben, dass die Aktionäre die Blogwerk AG an die WEKA-Firmengruppe verkauft haben. Gleichzeitig war die Blogwerk-Büroeinweihung, bei der ich eine Rede gehalten habe. Sie war recht lang, was ich vorher wusste, aber es war nun mal die letzte Gelegenheit, alles zu sagen, was ich sagen wollte. Als Abtretender kann man sich das leisten, weil alle, die sich langweilen, denken: «Ist ja wenigstens das letzte Mal.» Ich habe aber von den Anwesenden viel positives Feedback erhalten, was mich sehr gefreut hat. Hier mein Manuskript:

***

Zu Beginn eine Bitte: Bitte Smartphones wegstecken und kurz nicht twittern. Ich rede nur 45 Minuten, das haltet Ihr mal aus.

Ihr kennt sicher alle das Video von Steve Ballmer, das schon lange vor YouTube per E-Mail zirkulierte (das «virale» File hatte jemand dancemonkeyboy.avi genannt, weshalb das Video noch heute oft so bezeichnet wird), bei dem er auf die Bühne springt minutenlang rumtanzt und jauchzt, bevor er völlig ermattet ins Mikrofon schreit: I got four words for you: I love this company. Dafür hat er viel Spott geerntet, aber ich kann ihn gut verstehen, vor allem heute.

Dieses neue Büro, das wir heute einweihen, ist für Blogwerk ein Meilenstein, bei dem man automatisch zurückdenkt an andere Meilensteine.

Natürlich an ehemalige Büros: Das Büro in St. Gallen in der leeren Hauptpost, mit ihren leeren Räumen und leeren Gängen, in der man auch gut einen Horrorfilm hätte drehen können.

Das Büro bei Zeix, hier um die Ecke, wo wir uns sehr wohl gefühlt haben, auch wenn wir regelmässig daran erinnert wurden, dass wir beim WC-Papier gesponsert wurden. Olivia und ich haben uns vorgenommen, den Ausgleich beim WC-Papier irgendwann noch herzustellen. Aus dem Büro waren wir dann aber Anfang 2010 rausgewachsen, weil wir dringend aus diesem Gefühl der Untermiete raus mussten. Trotzdem nochmal herzlichen Dank an Zeix für die Starthilfe damals.

Um dann gleich wieder zur Untermiete woanders einzuziehen: in das Büro an der Stauffacherstrasse, für das ich mich immer etwas geschämt habe, weil es so klein war, und ich dachte, ich bin schuld, dass Ihr dort sitzt wie die Hühner auf der Stange, aber zu meiner Ehrenrettung muss ich sagen, ich wollte ja das grosse Büro daneben mieten, aber Jens von Mediafocus hat mich nicht gelassen.

Und nun dieses Büro hier: Bei dem jeder sieht: Jetzt ist Blogwerk eine richtige Firma, nicht mehr nur ein vergrössertes Wohnzimmer mit Sitzungstisch in der Mitte, Blogwerk ist jetzt auch hier professionell geworden, wie in anderen Bereichen ja schon längst.

Es gibt natürlich auch viele weitere Meilensteine, die nichts mit Büros zu tun haben, ich kann nur wenige aufzählen.

Zum Beispiel ein ganzseitiger Artikel in der SonntagsZeitung, nur ein paar Wochen nach der Gründung, von dem wir völlig geplättet waren, der sich dann aber leider ein totaler Verriss aus ideologischen Gründen unter dem Titel «Mit Blogs auf grosse Kasse hoffen» rausstellte, weil man dort dachte, wir wollten Journalisten ausbeuten – und das dürfen bekanntlich nur richtige Verlage, keine hergelaufenen Start-ups.

Der erste Firmenauftrag für die Erstellung von wiederkehrendem Content, dem Modell, das heute den Löwenanteil des Umsatzes ausmacht: C36daily für die Exhibit AG, Giancarlo Palmisani ist heute auch da.

Der erste Firmenauftrag für ein Corporate Blog: ebookers.ch.

Der erste Auftrag mit einem sechsstelligen Volumen, immer ein wichtiger Meilenstein für jede Firma: energiedialog.ch für Axpo.

Eine Spendenaktion, als wir medienlese.com einstellen wollten, bei der quasi über Nacht über 2000 Euro gesammelt wurden – was leider nicht geholfen hat.

Der grösste Meilenstein von allen liegt allerdings unmittelbar vor bzw. hinter uns: Wir haben vor einigen Tagen sämtliche Blogwerk-Aktien an die WEKA-Firmengruppe aus Deutschland verkauft.

Ich bin überzeugt, dass das eine gute Sache wird. Vor einem Jahr dachte ich noch, WEKA sei etwas verstaubt, aber da hatte ich mich geirrt. WEKA ist eine Firma, die inzwischen zwei Drittel ihres Umsatzes mit zugekauften Geschäften macht, was zeigt, dass sie das wollen und können, und WEKA ist die Umsetzung ihrer Digitalstrategie ganz offenbar ernst. Ausserdem habe ich die Herren, die ich kennenlernen durfte, vor allem Werner Pehland und Eberhard Opl, im persönlichen Kontakt als sehr angenehm schätzen gelernt, so dass ich überzeugt bin, dass sie für Kunden und Mitarbeiter von Blogwerk die richtige Wahl sind, um die Kontinuität zu gewährleisten, und zugleich den Drive zu entwickeln, Blogwerk ein noch schnelleres Wachstum zu erlauben, als wir das in den letzten Jahren allein geschafft haben.

Herr Pehland ist auch hier und wird im Anschluss einige Worte sagen.

Denkt jetzt bloss nicht, ich sei fertig. Jetzt, wo klar ist, dass das meine allerletzte Ansprache als irgendwas bei Blogwerk ist, müsst Ihr mir die restlichen 40 Minuten noch geben.

Das besondere an diesem Abschied ist nun, dass er zwar mit zwei Jahren Vorlauf kommt, in denen ich schon nicht mehr operativ tätig bin, aber dafür nun sehr abrupt ist: Ich bin nicht mehr VR-Präsident, ja, mit der Unterschrift unter dem Kaufvertrag habe ich quasi jede Bindung abgebrochen. Das schmerzt etwas, aber es ist auch richtig so.

Was werde ich vermissen? Natürlich sehr viel!

Am meisten wohl den Skype-Gruppenchat. 40% drehen sich nur um die Tatsache, wohin man Mittagessen geht, die für mich völlig irrelevant ist, ausser, dass ich immer schon um halb zwölf Hunger kriege, wenn die hier anfangen, übers Essen zu reden, weitere 40% sind unverständliche Insiderwitze – aber 20% sind spannende Facts und Figures, in denen ich schon viel Nützliches erfahren habe, mit dem ich gelegentlich an der Falkenstrasse als Immer-noch-Internet-Insider auftrumpfen konnte. Vor allem ist der Skype-Chat das Manifest einer Firmenkultur, die immer noch sehr cool, startup-mässig – und auch gnadenlos im Urteil ist. Mit einem anerkennenden Wort oder gelegentlich auch mal einem kleinen Ausdruck des Tadels positioniert das Blogwerk-Team sich im Online-Wertesystem. Etwa so: «Hier, geiler Scheiss: (link)» oder «Fremdschämen: (link).»

Nicht zuletzt habe ich natürlich Angst, wenn ich morgen aus dem Gruppenchat fliege, dass ich dann auch bei Fremdschämen vorkomme.

Ich liebe diesen Start-up-Groove auch nach sechs Jahren. Man kann abends spontan hinkommen, alle sitzen um den Tisch herum, es ist saugemütlich, man trinkt Bier und knobelt, wer Pizza holen muss, und ich fühle mich sofort zehn Jahre jünger.

Gern redet man ja bei solchen Anlässen über die schlechten Zeiten: Damals, nach dem Krieg, wir hatten ja nichts. Das will ich heute weitgehend vermeiden. Obwohl es stimmt, wir hatten wirklich nichts, damals, 2008. Mein Treuhänder, der damals meine Steuererklärung gemacht hat, hat wahrscheinlich gedacht: Dafür, dass der Hogenkamp an der HSG studiert hat, muss danach irgendwas ganz, ganz schief gelaufen sein.

Pit Sennhauser, damals noch im Silicon Valley, hat mal zu mir gesagt: Ich hab schon viel über diese Achterbahn der Gefühle in einem Start-up gehört, bei der jeden Tag zwischen Euphorie und Verzweiflung schwankt, aber man muss dabei sein, um wirklich zu wissen, wie es ist. Das ist einfach so.

Natürlich muss ich in dieser Abschiedsrede, die meine letzte Chance dafür ist, noch einigen Blogwerk-Alumni danken, willkürlich ausgewählt und nicht mal in chronologischer Reihenfolge:

Ronnie Grob
– der zwar nicht aussieht wie ein Schweizer Uhrwerk, aber so schreibt, wie man an seinem «6 vor 9» sieht, das wir beide uns damals in der erwähnten St. Galler Post ausgedacht haben, und das seit nunmehr sechs Jahren an jedem Werktag erscheint, seit August 2009 beim BildBLOG.

Damian Amherd
– der selbst ernannte Vorsitzende der Blogwerk-Alumni-Stiftung, der einer der furchtlosesten Praktikanten war, den ich je erlebt habe, der für mich die grössten Vorträge auf Zuruf übernommen hat – und den ich morgen wieder einstellen würde, egal für welchen Job.

Moritz Adler
Ich finde, man sollte Punkte vergeben dafür, wer gute Deutsche nach Zürich geholt hat – eine Art Natalie-Rickli-Gedächtnis-Badge. Und bei Moritz gehört der mir, und ich hab ihn sogar über Twitter geholt. Er war damals intensiv bei dem ersten grossen Auftrag dabei war und macht jetzt tolle Sachen bei local.ch – vor allem seine App-Download-Zahlen hätte ich sehr gern.

Florian Steglich
– über den werde ich hier nichts Nettes sagen, weil er zu spät kommt (das Tram hatte einen Unfall, nachträglich entschuldigt).

Philip Hetjens
– der uns erst ganz kürzlich verlassen hat und den ich heute Abend noch ganz dringend fragen muss, ob es bei Namics nun wirklich besser ist als hier, was ich mir natürlich partout nicht vorstellen kann. Ich hab Dir schon neulich gesagt, Philip, dass ich Dir nie vergessen werde, wie Du in Japan für uns von Gastfamilie zu Gastfamilie gereist bist und überall energiedialog.ch IE6-kompatibel gemacht hast. Wer IE6 kennt, weiss, was das bedeutet.

Nur ganz kurz erwähne ich hier drei, die auch Aktionäre waren und daher auf dem Weg schon ausführlich verdankt wurden, wie Andreas Göldi, dessen tolle Blogbeiträge ich immer noch vermisse, Pit Sennhauser, von dem die Laien unter uns, zu denen ich natürlich auch gehöre, viel über Journalismus gelernt haben, und Lea Barmettler, die jahrelang die Stellung als Mutter der Kompanie gehalten hat, bis sie leider der Online-Welt verloren ging und in die Physiotherapiebranche abrutschte.

Brigitte Federi, Karin Friedli und Mathias Vettiger
– denen ich die Gemeinheit angetan habe, sie einzustellen und direkt danach zu verschwinden, wofür ich bis heute ein etwas schlechtes Gewissen habe, auch wenn ich ja jeden Tag sehe, wie toll Ihr es hier habt ohne mich. Heute ist der letzte Tag, an dem Ihr mir verzeihen könnt! Bitte tut es!

Und natürlich danke ich dem ganzen Team, wozu ich heute morgen schon in einer kleinen Pre-Show um 9.00 Uhr Gelegenheit hatte.

Am Ende sind es aber von den vielen Namen aus sechseinhalb Jahren vor allem drei, denen ich heute nochmal insbesondere danken möchte:

Andreas Von Gunten
Du bist ein leuchtendes Vorbild für mich für das sonst eher albern klingende Wort «Empowerment»: die Mitarbeiter befähigen, grosse Dinge zu machen – im Gegensatz zu mir, der ich vorher gelegentlich gedacht hatte, am besten ist es, wenn ich alles allein mache. Dieses Vorbild hat mir auch bei der NZZ geholfen, wo man sowieso praktisch nichts mehr selbst macht.

Olivia Menzi und Thomas Mauch
Das gilt zwar für alle, aber trotzdem für Euch beide am meisten: Ohne Euch beide würden wir heute nicht hier stehen.

Wie Ihr das hier durchzieht, Respekt. Ich bin ja jemand, der gern auch mal Sachen nicht ganz sofort macht, sondern denkt, übermorgen langt wahrscheinlich auch noch. Insofern bin ich immer wieder schlicht platt, wenn ich Euer vorausschauendes Arbeiten und Euren Organisationsgrad und sehen. An der Stelle noch eine Frage: Wenn ich mal umziehe, kann ich mich dann vielleicht bei Euch melden? (Olivia schüttelte kurz, aber entschieden den Kopf.)

Ich war immer jemand, der alle paar Jahre was Neues gemacht hat, ich habe einen Drei- bis Vier-Jahre-Rhythmus, der sich durch mein Leben zieht.

«Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne», habe ich zu dem Thema immer gern zitiert – ehrlich gesagt, ich wusste nicht mal genau, von wem das ist. Das habe ich für heute mal nachgeschaut.

Wer weiss es? Vettiger? (Mathias Vettiger tippt erst Rilke, dann korrekt: Hesse.)

Ich habe seit der Schulzeit kein Gedicht öffentlich rezitiert, möchte das aber heute gern machen. Ist von 1941, aber immer noch gut:

Hermann Hesse: Stufen
Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.

Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf‘ um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.

Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden…
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!

Wem das zu lang war: I got four words for you: I love this company!

Vielen Dank für alles! Ich wünsche Euch von Herzen alles Gute, und lasst uns Freunde bleiben, online und offline.

(Peter Hogenkamp hat den Skype-Chat verlassen: Donnerstag, 27. September 2012, 10.50 Uhr.)

Der Unterschied zwischen IT und Informationsmanagement am Beispiel SBB

Bei der SBB wird demnächst wird der Leiter des Informatikbereichs Mitglied der Konzernleitung. Wichtig wäre zu wissen, wie der Mann seine Rolle interpretiert – als Serverchef oder als CIO?

Aus einem Artikel bei inside-it:

«CIOs sind bereits in vielen Grossunternehmen Mitglieder der Geschäftsleitung. Nun folgt auch die Schweizerische Bundesbahn diesem Trend und trägt der zunehmenden Bedeutung der Informatik Rechnung. Ab dem 1. Januar wird die jeweilige Leiterin oder der Leiter des Informatikbereichs – gegenwärtig wäre das Peter Kummer – Mitglied der Konzernleitung.»

(via @c36daily)

Abgesehen von der dümmlichen Überschrift «SBB adelt Informatik» – ausgerechnet bei einer IT-News-Site – ist das Problem, dass der «Leiter IT» in vielen Unternehmen etwas ganz anderes macht als ein «Chief Information Officer» machen sollte.

Der «Leiter IT» hiess früher «Leiter EDV», und viele sind auch schon so lange im Amt, dass sie jetzt schon den dritten Titel haben, aber immer noch das gleiche machen: Sie sorgen dafür, dass die Server stabil laufen, dass die Total Cost of Ownership im Rahmen bleibt (bzw. nach Möglichkeit laufend gesenkt wird) und dass die User nicht mehr über den schlechten Support meckern als überall anders auch. Ein CIO sollte das aber allenfalls nebenbei machen.

Das habe ich an der HSG im Studiengang «Informationsmanagement» bei Hubert Österle gelernt: «Informationsmanagement ist das Management der Ressource Information im Unternehmen». Damals habe ich gar nicht so recht gewusst, was das ist – heute schon.

Es gibt ganz offenbar Unternehmen, bei denen die Kern-IT passabel läuft, die Ressource Information aber eher stiefmütterlich gemanagt wird, und vor allem auch sehr wenig Awareness beim Management vorhanden ist, dass es hier grosse Potenziale gäbe. Der CIO muss auch oberster technologischer Trendscout sein und laufend neue Möglichkeiten von technischer Infrastruktur (zur Zeit in aller Munde: alles mit «Cloud»), Kollaboration (zur Zeit alles mit «Social») und ähnliches evaluieren und auch zügig einzuführen oder zumindest zu testen bereit sein. Das sind Ziele, die den oben genannten teilweise konträr entgegen stehen.

Insofern ist die Nachricht, dass die SBB den obersten Informatiker in die Geschäftsleitung hebt (wieso eigentlich erst per 1. Januar?), noch nicht wirklich aussagekräftig. Wichtig wäre zu wissen, wie die Person ihre Rolle interpretiert.

(Ich habe keine Ahnung, wie das bei der SBB läuft. In vielen Bereichen wie der Website, den Apps, den elektronischen Tickets etc. sind sie ja sehr innovativ, aber das läuft, wenn ich recht informiert bin, nicht bei der IT, sondern bei Patrick Comboeuf, und der ist beim Personenverkehr. Hoffen wir, dass dem nicht in Zukunft das neue Organigramm in die Quere kommt.)

«22 Jahre im Land mit den kleinen Nummernschildern» – Artikel im Alumni-Magazin über Deutsche in der Schweiz

Für das HSG-Ehemaligenmagazin «alma», das ich vor 14 Jahren selbst lanciert habe, habe ich einen Artikel geschrieben, den ich hier gern zweitverwerten möchte. Dank an alma-Chefredaktor Roger Tinner, der immer an mich denkt, wenn ihm niemand anders einfällt.

Für das HSG-Ehemaligenmagazin «alma», das ich vor 14 Jahren während meiner Zeit als Alumni-Geschäftsführer selbst lanciert habe, habe ich einen Artikel geschrieben, den ich hier gern zweitverwerten möchte. Dank an alma-Chefredaktor Roger Tinner, der immer an mich denkt, wenn ihm niemand anders einfällt.

Den Artikel kann man auf drei Arten lesen: Im folgenden im Volltext, hier als PDF und hier die ganze alma zum Durchblättern. Ich habe mir erlaubt, im Volltext wieder die Absätze so zu setzen wie in meinem Manuskript (im Originallayout sind einige etwas brutal weggefallen, weil man freundlicherweise nicht am Text kürzen wollte).

 

22 Jahre im Land mit den kleinen Nummernschildern

Er gehört zu jenen Deutschen, die nach dem Studium an der HSG hier geblieben sind: Dr. Peter Hogenkamp, ehemaliger Präsident der Studentenschaft, erster Geschäftsführer von HSG Alumni und heute Leiter Digitale Medien und Mitglied der Geschäftsleitung bei der NZZ-Mediengruppe. «Als Deutscher kommt man nie wirklich an», lautet sein Fazit nach 22 Jahren in der Schweiz.

von Peter Hogenkamp

Den ersten Sündenfall aus Ignoranz beging ich schon lange vorher: Als ich 1989 den (im Nachhinein grauenhaften) Artikel «Bosse von morgen» in der Zeitgeist-Postille «Wiener» las, wusste ich nicht mal, wo dieses «St. Gallen» liegt. Könnte Bayern sein oder auch Österreich – aus 700 km Entfernung hatte ich nur eine grobe Vorstellung vom «Süden». In der Schweiz war ich einen Tagesausflug lang gewesen, 1978 mit meinen Eltern und meinem Bruder, und hatte mir nur eins gemerkt: Dass sie an den Autos vorn viel zu kleine und hinten viel zu quadratische Nummernschilder haben.

Ich schaute im Atlas nach (Prä-Internet, die Älteren erinnern sich), bestellte die Unterlagen für die Aufnahmeprüfung, und am 29. Oktober 1990 zog ich tatsächlich nach St. Gallen, kurz vor meinem 22. Geburtstag. Im Oktober 2012, fast übermorgen, 22 Jahre später, werde ich genauso lange in der Schweiz gelebt haben wie in Deutschland.

Neulich fragte mich eine Freundin, auch HSG-Absolventin, aber Thurgauerin, in einem Mailwechsel unvermittelt: «Wie ist eigentlich diese Rickli-Debatte für Dich?» Ich schrieb nur ein Wort zurück: «schrecklich». Und obwohl zu dem Thema eigentlich alles gesagt ist, nur noch nicht von allen, reiche ich hier eine etwas ausführlichere, sehr persönliche Antwort nach.

Für die nicht in der Schweiz lebenden Alumni: Die SVP-Nationalrätin Nathalie Rickli hatte in einer TV-Diskussion gesagt, es seien einfach zu viele Deutsche im Land, die «zuviel Druck auf Arbeitsmarkt und Infrastruktur» machen (youtu.be/VEzOvFWgXHA). Eigentlich ein so strunzdummer Beitrag, dass man ihn nicht weiter kommentieren müsste, schliesslich fahren die hiesigen Deutschen mit der S-Bahn zur Arbeit und mehren das Schweizer Sozialprodukt, aber einmal mehr brach eine Riesendebatte los, die auch von vielen deutschen Medien aufgegriffen wurde.

Eigentlich schnell eingelebt

Der erste Schock ist für Deutsche bekanntlich, dass in der Schweiz nicht das Emil-Steinberger-Deutsch aus dem (deutschen) Fernsehen gesprochen wird, sondern ein Dialekt, den man zu Beginn schlicht nicht versteht. Bei einem Nachtessen im ersten Semester sprach zwar jeder bilateral mit mir Hochdeutsch, aber ich verstand keinen einzigen der Witze, über die sich die Runde kollektiv ausschütten konnte. Doch auf die lange Sicht ist das eine kurze Episode. Wer sich nicht gerade in einer Enklave von Ausländern versteckt, versteht schon nach wenigen Monaten fast alles. Ich habe mir mein passives Schweizerdeutsch bei McDonald’s am Bohl angeeignet, wo ich nach der Eröffnung 1991 einige Monate als Schichtführer jobbte, wie auch schon zuvor in Deutschland.

Dort geschah es auch zum ersten Mal: Eine Mitarbeiterin rief mich an die Kasse, weil ein halbbetrunkener Gast zu wenig Geld dabei hatte. Ein normaler Vorfall bei jeder Spätschicht. Von mir freundlich gefragt, was ich stornieren solle, schaute er mich aus glasigen Augen eine Sekunde lang an, sagte: «Uh, nei, en Dütsche!», drehte sich wortlos um und ging.

Der Betonungs-Selbsttest

Danach geht es trotzdem recht schnell mit der sprachlichen Assimilierung. Einige Zeit lang versuchte ich, bei der Rechtschreibung zu differenzieren: «Gruß» nach Deutschland, «Gruss» an Schweizer. Ein aussichtsloses Unterfangen, so dass ich schnell ganz auf die Schweizer Linie einschwenkte. Mein persönlicher Selbsttest, wie eingeschweizert man sprachlich ist, ist simpel:

  • Stufe 1: Betone ich typisch schweizerische Abkürzungen wie «SBB» oder «UBS» – und natürlich «HSG» – schweizerisch, also auf der ersten Silbe?
  • Stufe 2: Betone ich auch im gesamten deutschsprachigen Raum gültige Abkürzungen wie «PC» oder «DVD» auf der ersten Silbe?
  • Stufe 3: Betone ich neue Abkürzungen, wenn ich sie zum ersten Mal lese – sagen wir: «KLP» – auf der ersten Silbe?

Das funktioniert auch bei der Tonalität: Dass die gröbste Schweizer Kritik lautet: «Ich wundere mich etwas darüber, dass…» oder die nachdrücklichste Aufforderung: «Ich wäre noch froh, wenn…», muss man zunächst verstehen, kann es dann aber rasch übernehmen. Kürzlich sagte mir ein Freund aus Berlin, wo man einen deutlich ruppigeren Ton pflegt, ich sei «enorm eingeschweizert» und müsse mich daher nicht wundern, dass er die von mir allzu nett formulierte Eskalation gar nicht als solche wahrgenommen habe.

Aber natürlich ist das alles Kleinkram, denn am Ende jeder Skala der Eingliederung steht das aktiv gesprochene Schweizerdeutsch. Ich kenne Deutsche, die es gelernt haben: Bettina Hein, 1996 meine Nachfolgerin als Präsidentin der Studentenschaft, fing von einem auf den anderen Tag an, Mundart zu reden, und es klingt bzw. tönt recht überzeugend. Der gebürtige Deutsche Wolfgang Schürer, Mentor diverser Studentengenerationen, spricht ein gutes St. Gallerdeutsch, sagten mir Einheimische.

Ich orientiere mich aber an den abschreckenden Beispielen. Wenn Klaus J. Stöhlker aus Ludwigshafen, seit 1970 hierzulande ansässig, im Fernsehen mit krassem Akzent «Wir Schwyzer» sagt, ist Fremdschämen angesagt. Vieles aus dem Film «Die Schweizermacher» von 1978 scheint mir bis heute symptomatisch, zum Beispiel jener Satz, den der Chef der Fremdenpolizei vorliest: «Wir glauben, dass die Assimilation jener Zustand ist, bei welchem der bei uns anwesende Ausländer nicht mehr auffällt.» (youtu.be/WNHJHlFuacY?t=39s) Auch wenn ich nicht den braunen Kehrichtsack nehme wie das Fräulein Vakulic (was ohnehin nicht mehr geht seit Einführung der «Sackgebühr»): Das habe ich in 22 Jahren noch nicht geschafft.

Der tägliche Moment des Outings

Dabei erfolgt das Outing immer zeitverzögert, denn als Deutscher sieht man bekanntlich erstmal weitgehend «normal» aus. Manchmal kommt man sogar durch: Am Zoll mit dem CH-Kennzeichen: «Grüezi», Grenzwächter winkt durch, «Merci» – hurra: Nicht aufgeflogen! Zu den beiden SBB-Kondukteuren «Morge mitenand» gesagt und das «GA» wortlos vorgezeigt – welche Oase der Nationalitäten-Privacy! Aber bei jeder mehrstufigen Interaktion kommt unweigerlich der Moment, in dem man etwas Richtiges sagen muss: «Einen mittelgrossen Zopf» oder «Waschen mit Unterboden, ohne Wachs, bitte».

Der Augenblick der Enttarnung, der Moment der Wahrheit, und jeder ist ein kleines Outing: Ja, ich bin Deutscher.

Ich habe schon minutenlang gewartet, wenn ich in einer Reihe von Wartenden übersehen wurde (ich gebe zu, dass das schwer zu glauben ist, aber es passiert). Bloss nicht beschweren, nicht auf Hochdeutsch sagen: «Hey, jetzt wär ich dran gewesen!» Überhaupt bin ich fast immer unglaublich freundlich zu allen, gebe viel Trinkgeld, vielleicht in der Hoffnung, wenigstens wegzukommen mit dem Stempel: «Deutscher, aber ganz nett».

Mir ist bewusst, dass das hauptsächlich Paranoia ist, denn in 80 Prozent der Fälle reagiert die Schweizer Gegenseite ausnehmend freundlich. Aber in einem Prozent der Fälle friert als Reaktion das Lächeln ein, und dieses Prozent, das jeder Deutsche kennt, hat mich über die Jahre konditioniert: Ich mag ihn nicht, diesen Moment des Outings. (Die beachtliche Differenz von 19 Prozent sind selbst Ausländer, oft mit -ic am Ende, die ihr akzentbehaftetes Schweizerdeutsch völlig unbeschwert zu reden scheinen.)

Und so fühle ich mich hier gleichzeitig sehr zuhause wie auch permanent etwas unwohl. Wenn Deutsche im Tram laut reden, denke ich unwillkürlich: Geht das nicht leiser?

Ist das ein generell deutscher Komplex? Wenn die Norweger ihren Nationalfeiertag feierten und dabei sturzbetrunken über den Bodensee schipperten – lustig! Dass meine holländischen Nachbarn im «Gatter-Ghetto» damals zweimal hintereinander das Schild «Parkplatz Rektor» ausgruben und beide auf ihrem Balkon lagerten – sympathisch! Aber wenn der «AC» (Ausländerclub) damals seine Rallye durch die Ostschweiz machte, war es mir peinlich, und ich hielt mich fern.

Insgesamt aufeinander zu

Insgesamt habe ich den Eindruck, dass man sich trotz allem aufeinander zu bewegt. Die Rickli-Diskussion schien mir weniger heftig als die letzte Debatte vor drei Jahren. Am Ende ist die Mehrheit der Schweizer wohl eher pragmatisch als eigensinnig. Und auch bei den Kontrollschildern hat man inzwischen zumindest hinten den Widerstand gegen die dominante Form der umliegenden Autokarosserie aufgegeben – die vorn dagegen sind klein wie eh und je. Und es bleibt ein Trost: Eine Generation später lösen sich alle Probleme in Wohlgefallen auf: Meine Söhne sprechen beide lupenreines Schweizerdeutsch wie auch akzentfreies Hochdeutsch. Der Zustand, in dem der Ausländer nicht mehr auffällt, ist erreichbar, es braucht nur etwas länger.

43 ein halb, Geburtstagsapéro reloaded

Hole meinen am 11.11.2011 ausgefallenen Apéro zur Halbzeit zwischen den Geburtstagen am Freitag nach. Anmeldung via Facebook.

An meinem Geburtstag am 11.11.2010 hatte ich spontan – rund zwei Stunden vorher – für den Mittag einen spontanen Apéro am Bellevue angesetzt. Trotz der kurzen Vorwarnzeit kamen rund 20 Leute. Etwa hundert andere auf Twitter und Facebook baten um mehr Vorlauf für die Wiederholung. Also habe ich damals noch am selben Tag die Veranstaltung für den 11.11.2011 eingerichtet.

In der Nacht auf meinen Geburtstag verstarb die langjährige NZZ-Online-Redaktorin Isabelle Imhof nach kurzer schwerer Krankheit; natürlich sagte ich den Apéro daraufhin ab. (Was einmal mehr zeigt, dass längerfristige Planung nie auch Planungssicherheit bedeutet.)

Nun holen wir das einfach nach zur Halbzeit zwischen meinen Geburtstagen, also am 11. Mai 2012, um 12 Uhr. Wetter sieht gut aus aus heutiger Sicht (ist sowieso doof an meinem Geburtstag, dass es im November gern schon saukalt ist).

Eingeladen sind alle, die das online sehen. Bitte via Facebook anmelden: 43 ein halb.

Die S-Kurve in meinem Zitat im Paywall-Artikel im «Journalist»

Der «journalist» schreibt einen langen Paywall-Artikel. turi2 schreibt das falsche Zitat raus. Ich schreibe immer dasselbe.

(Update vom 10. Mai: Der erwähnte Artikel von Svenja Siegert ist jetzt auch online verfügbar, unter dem Titel: «PAYWALLS – ODER: DIE MÄR VOM DIGITALEN DEICH.»)

Das vom Deutschen Journalisten-Verband in Bonn herausgegebene Medienmagazin «journalist» hat in der diese Woche erschienenen aktuellen Ausgabe unter dem schwer verständlichen Titel «Wenn das Wasser kommt» einen langen Artikel zum Stand der Dinge bezüglich Paywalls von Verlagen veröffentlicht.

Die Redakteurin Svenja Siegert war hervorragend vorbereitet auf unser Gespräch am 3. April und hat eine 18’000 Zeichen lange Fleissarbeit abgeliefert, in der die Paywall-Bemühungen von Titeln wie den «Esslinger Nachrichten» oder dem «Darmstädter Echo» nicht fehlen. Sie hat auch nicht nur alle Zitate autorisieren lassen, sondern meine Präzisierungen sogar übernommen. (Das klingt selbstverständlich, aber ich habe es oft genug anders erlebt; viele Journalisten versuchen, den «Spin», den sie einer Aussage gegeben haben, nicht verloren gehen zu lassen, auch wenn man es anders gemeint hat.)

Hatte mich gestern bei der Lektüre kurz gefragt, wieso sie extra nach Zürich fliegt, um mit mir zu reden, mich dann aber nicht nach einem Foto fragt, sondern von sich aus einen relativ schrecklichen Schnappschuss von mir auf dem Podium bei den Münchner Medientagen im letzten Herbst nimmt, während die anderen vier mit Foto zitierten Leute mit ihren ganz normalen PR-Stockphotos abgebildet sind. Es ist mir dann noch eingefallen. Das Foto geht vermutlich zusammen mit der Tatsache, dass sie mehrfach auf mein Gewicht anspielt (einmal sogar ganz originell: «Peter Hogenkamp ist eigentlich viel zu groß für den acht Quadratmeter kleinen Besprechungsraum im Verlagssitz der Neuen Zürcher Zeitung»), dass sie anmerkt, ich spreche «schnell und laut» (das ist eigentlich ein typisch Schweizer Einwurf…) und dass ich «mit einem schwarzen Edding auf das Flipchart quietsche». Ich glaube, das hat etwas mit Positionierung zu tun, mit dem Ansatz: «Ich zeige keinen unnötigen Respekt vor einem „Manager“». Als Quereinsteiger, der nach wie vor leicht fremdelt mit der erst zwei Jahre alten Rolle «Verlagsestablishment», sind mir solche Spielchen immer noch etwas fremd. Andererseits: Wenn Markus Wiegand in der aktuellen Ausgabe des «Schweizer Journalist» Blick-Chefredaktor Ralph Grosse-Bley mit drei simplen Fragen aus dem Schweizer Einbürgerungstest (z.B. mit der Fangfrage «Wie viele Ständeräte hat der Kanton Aargau?») auf die Palme bringt, finde ich’s auch lustig. Also: geschenkt. Der Artikel ist wie gesagt gut.

Und da beginnt das Problem, denn ich finde es inzwischen sehr unbefriedigend, wenn ich solche für mich, meine Mitarbeiter, meine «Peers» und meine «Community» relevanten Inhalte, in die ich zudem selbst etwa zwei Stunden investiert habe, nur als Print-Artikel verfügbar habe. Ich will diesen Artikel «sharen», und zwar am liebsten mit einem Tweet, der mich 30 Sekunden Zeitaufwand kostet (statt mit einem Blogpost am frühen Samstagmorgen, der zwei Stunden braucht).

Natürlich, auf der Website des «journalist» kann man das E-Paper kaufen, aber hallo!, es kostet nicht nur 12 Euro, was eine Menge ist, wenn man sich nicht für die Titelstory «Diagnose: Workaholic» (mit einer in eine Zeitung eingewickelten Weinflasche als Visualisierung, die schiefen Metaphern scheinen ein Identitätsmerkmal des Titels zu sein) interessiert, sondern nur für den einen Paywall-Artikel, sondern man muss auch eine Registrationsmaske mit 20 (!) Feldern ausfüllen. Wer für einen E-Commerce-Vortrag ein Beispiel für einen sicheren Conversion-Killer sucht: Bingo.

Während ich über die Verlagsstrategie des deutschen «journalist» nichts weiss, habe ich mit Chefredaktor Markus Wiegand und Herausgeber Johann Oberauer mal über eine mögliche Online-Strategie des oben erwähnten «Schweizer Journalist» gesprochen. Als zahlender Abonnent bin ich jeden Monat aufs neue frustriert, dass die Newsletter-Ankündigungen mit der Inhaltsangabe eine Woche früher kommen, als das Heft in der Post ist. Zudem kamen wir darauf, weil Wiegand extrem zurückhaltend ist, PDF-Versionen von Artikeln herauszugeben, denn er schätzt, dass jedes PDF durch Weiterleitung «sofort 300 mal kopiert wird, quer durch die Verlagshäuser». Nun, das mag sein, aber mit dem Xerox WorkCentre (Modell typähnlich), das direkt vor meiner Bürotür steht, ist es auch nur eine Sache von zwei Minuten, aus dem gedruckten Artikel ein PDF zu erstellen. Zugegeben, niederschwellig ist anders, aber bei uns intern auf Yammer kursieren diverse Scans von Fachartikeln, die nicht online verfügbar sind (denn niemand scannt freiwillig, wenn er auch einen Link posten kann), da kamen die 300 «Kopien» auch schnell zusammen.

Ich könnte auch nicht aus dem Stegreif sagen, was die Lösung für die Branchenmagazine ist. It’s complicated, wie immer. Das «Metered Paywall»-Modell, das wir bei der NZZ verfolgen wollen, ist ein Consumer-Modell, das nach heutigem Stand der Erkenntnis nur ab einer gewissen Reichweite funktioniert. Es entbehrt dennoch nicht einer gewissen Ironie, dass die Medienmagazine, die sehr abgeklärt und gern mit dem Unterton «Haben die es immer noch nicht kapiert!?» über die Paid-Content-Anstrengungen der Verlage schreiben, ganz offensichtlich noch keine eigene Zukunftsvision entwickelt haben.

Zurück zum «Sharing». Der Link, sagt man nicht umsonst, ist der entscheidende Hebel der ganzen Internetökonomie. Wo er fehlt, herrscht Frustration. Wenn turi2 ein Zitat wie gestern meins mit der Quellenangabe «Journalist 5/2012, S. 53» erwähnt, dann muss man sich schon sehr, sehr für das Thema interessieren, damit man wirklich stante pede anfängt zu googlen und dann das E-Paper trotz der oben beschriebenen Hürden kauft.

Ich kann mich entsinnen, wie Ronnie Grob und ich im Jahr 2006 die tägliche Linksammlung «6 vor 9» konzipiert haben (mehrere Jahre bei «medienlese.com», seitdem beim Bildblog»), dass wir diskutiert haben, ob wir auch Zitate aus Medien nehmen, die nicht online (EDIT: offline war natürlich Unsinn, danke für den Hinweis, Marc) verfügbar sind, die man also nicht anklicken kann. Ich war dafür, im Sinne einer täglichen Presseschau, die auch spannende Presse-Artikel für Nicht-Abonnenten herausgreift. Ronnie war dagegen und argumentierte: «Wenn man nicht direkt klicken kann, nützt es einem nichts.» Ronnie hatte recht. Ich habe in fünf Jahren turi2-Lektüre noch nie ein Offline-Produkt gekauft, weil ich es im Newsletter zitiert sah. (Eine Ausnahme mag der «Spiegel» sein, den ich womöglich mal daraufhin heruntergeladen habe, aber den lese ich eh mehr oder weniger regelmässig, und der Download via iPad ist sehr einfach.) Daher ist aus meiner Sicht ein Zitat, das nicht mit einem Link einhergeht, praktisch nichts wert. Und ich nehme an, dass die turis das auch bei der Zusammenstellung berücksichtigen. Ein Zitat muss deutlich schmissiger sein, um es auch ohne Link in die Sammlung zu schaffen.

Apropos Zitat: Ich finde durchaus, dass der Artikel es verdient, «verlinkt» zu werden, ich finde aber nicht, dass mein Zitat, das sie für das nachmittägliche «heute2» herausgezogen haben, das interessanteste ist. Der Abschnitt «Zitate» ist ja Heimat der Zuspitzungen, und es langweilt mich langsam enorm, dass immer die ollen Auflagenprognosen, die die uralte Debatte «Wie lange wird es noch Zeitungen geben?» befeuern, dafür rausgezerrt werden.

Zudem ist es mit der turi-Zusammenfassung «NZZ-Online-Chef Peter Hogenkamp sieht einen rapiden Auflagenfall kommen» völlig unzulässig vereinfacht. Hier der Originaltext von Svenja Siegert:

Peter Hogenkamp ist ein Mann der Kurven. Mit einem schwarzen Edding quietscht er zwei davon auf das Flipchart im Besprechungsraum. Die erste Kurve: die Innovationsentwicklung des Tablets. Eine S-Kurve. Die zweite Kurve: die Auflagenentwicklung von Tageszeitungen. Das Spiegelbild einer S-Kurve. „Die Zeitungsauflage mag die letzten zehn Jahre eher sanft gesunken sein. Aber in dem Moment, wo es bei den Tablets wirklich steil nach oben geht, könnte es bei der Zeitungsauflage ebenso steil bergab gehen. Viele rechnen den Schwund nur linear weiter. Das könnte ins Auge gehen.“

«Könnte ins Auge gehen» ist nun mal etwas deutlich anderes als «sieht einen rapiden Auflagenfall kommen». Aber die Wahrheit ist nach wie vor ganz simpel: Wir wissen es alle nicht. Ich auch nicht. Also müssen wir in Szenarien denken.

Für in jedem Fall gefährlich halte ich die zahlreichen Prognosen, die das Ende der gedruckten Zeitung für 2018, 2034 oder 2043 vorhersagen, denn das impliziert: «Beruhigt Euch, Leute, der Medienwandel wird nicht so heiss gegessen, wie er gekocht wird.» Diesen Aspekt finde ich insbesondere fahrlässig, weil aus Verlagssicht nicht relevant ist, wann die letzte Zeitung gedruckt wird, sondern wie lange das heutige Geschäftsmodell der Tageszeitungen (grosse Redaktion, breites Themenspektrum, Zeitungsdruck, Frühzustellung, Abo-Modell etc.) noch Gewinne einfährt. Wer denkt, man könnte in jedem Fall noch bis 203x mit dem Modell weiterfahren, handelt fahrlässig, und deswegen ist diese immer wieder aufbrandende Diskussion mit ihren Argumenten («Haptik!», siehe viertletzter Absatz) strategisch weitgehend irrelevant.

Wer mehr Zeit investieren will als nur für Einzeiler-Zitate, dem empfehle ich zur «S-Kurve» immer noch den netzwertig-Artikel von Andreas Göldi: Innovationspsychologie: Warum der Umgang mit Disruptionen so schwierig ist. Am Ende des ersten Abschnitts schreibt er:

Noch ein weiterer Faktor erschwert die Einschätzung solche Entwicklungen: Oft überlagern sich mehrere zeitversetzt ablaufende Wellen. Während beispielsweise in den meisten Industrieländern die Gesamtzahl der Web-User nur noch langsam ansteigt, wächst die Nutzung von Social Media weiterhin stark, und das mobile Internet hat seinen “Tipping Point” erst gerade überschritten.

Wohlgemerkt, das war 2009. Seitdem ist das iPad als Game Changer hinzugekommen, Smartphones sind inzwischen bei einem Marktanteil von rund 50% angekommen. Einige der sich überlagernden Wellen in der Medienbranche sind die stationäre Internet-Nutzung (NZZ Online), die mobile News-Nutzung auf dem Smartphone (Apps plus mobile-optimiertes Browser-Layout), die Lektüre des E-Papers (Replica) auf dem iPad, der Übergang von der Nutzung weniger Newsquellen (Tagesschau und eine Tageszeitung) zu diversen Quellen, der durch die «Kuratierung» via Social Media beschleunigt wird.

Das alles geht einher mit einer starken Individualisierung. Wenn man die Mediennutzung eines Individuums messen und seine Position auf allen Kurven exakt lokalisieren könnte, würde sich vermutlich herausstellen, dass kaum zwei Personen überall dasselbe Nutzungsverhalten aufweisen. Ich zum Beispiel bin ein News-Junkie im stationären Web wie auch auf dem iPhone, surfe dort lieber im Browser als in News-Apps, nutze RSS-Feeds fast gar nicht (obwohl ich aufgrund meiner Blogger-Biografie eigentlich müsste), lese auf dem iPad erstaunlich selten etc. Und natürlich bewegen wir uns auch noch alle ständig auf den Kurven nach oben; in diesen bewegten Zeiten kann jedes neue Device, jede neue App, jedes neue Feature (mit dem neuen Samsung Galaxy S3 kann man beim Videogucken gleichzeitig ein Browserfenster öffnen und googlen, erzählte mir Digitalredaktor Henning Steier gestern – werde ich vermutlich oft machen!) unser Nutzungsverhalten graduell beeinflussen. Insofern ist auch meine korrekt wiedergegebene Aussage «in dem Moment, wo es bei den Tablets wirklich steil nach oben geht» eine Vereinfachung der Realität; eigentlich geht eine um unsere aggregierte Position auf den Adaptionskurven diverser neuer Technologien.

Wer in Andreas‘ Artikel nur den ersten Abschnitt gelesen hat, sollte unbedingt noch den dritten und vierten Abschnitt über «Status-Inseln» lesen und sich dabei Gremien wie Geschäftsleitungen und Verwaltungsräte vorstellen. Für die NZZ kann ich es sagen: In unseren Leitungsgremien — wie zum Glück auch bei der gesamten Leserschaft — ist das E-Paper auf dem iPad ein grosser Erfolg. Mit der «Digitalisierung» hat das aber eigentlich nur wenig zu tun, es wird nur die Originalzeitung («Replica») digital ausgeliefert. Wer nun behauptet, und ich kenne einige, die das tun: «Ich werde die NZZ immer nur als E-Paper lesen wollen», der sollte diese steile These mal angesichts seiner persönlichen Mediennutzungshistorie der letzten 15 Jahre reflektieren. (Und nebenbei, Sätze, die mit «Ich werde immer…» oder «ich werde nie…» anfangen, sollte man sowieso in Zeiten von Archivdatenbanken und Google Cache tunlichst vermeiden.)

Nochmal zur S-Kurve und zur berühmt-berüchtigten Lebensdauer der Zeitung: Der Auflagenschwund der letzten zehn Jahre war bekanntlich einigermassen linear, drei, vier Prozent pro Jahr, was in einem Jahrzehnt die meisten Zeitungen rund ein Viertel ihrer Auflage gekostet hat. Wer das fortschreibt, kommt auf die oben erwähnten vermeintlich beruhigenden Schätzungen. Wer sich jedoch die aggregierten S-Kurven unserer zunehmend digitalen Mediennutzung vorstellt, der wird zumindest die Möglichkeit nicht ausschliessen, dass die Zeitungsauflagen den Weg eines spiegelbildlichen S nehmen könnten, bei dem wir uns die ersten 15 Jahre noch auf dem flachen Stück befunden haben. Und ja, selbstverständlich käme bei so einem S-Verlauf auch unten wieder ein flaches Stück, denn selbstverständlich gibt es Menschen, die bis an ihr Lebensende eine Tageszeitung auf Papier lesen wollen, das heisst: Vielleicht wird es sogar wirklich «immer» Zeitungen auf Papier geben.

Die «Werbewoche» macht es genau richtig, wenn Sie in ihrer Version der obligaten Zukunft-der-Zeitung-Meldung schreibt: «Liebhaberpublikationen ausgenommen». Denn dass Liebhabereien wie Vinylschallplatten (von 70 Millionen auf 600’000 pro Jahr in Deutschland) nicht dasselbe sind wie ein Massenmarkt, wissen andere Branchen bereits bestens.

Ich weiss, ich wiederhole mich, nicht nur in diesem Blogpost, sondern einiges davon habe ich schon vor eineinhalb Jahren geschrieben: «Können wir für die strategische Planung des Hauses NZZ das Szenario «ohne gedruckte Zeitung» mit absoluter Sicherheit ausschliessen? Meiner Meinung nach können wir das nicht.» Aber die Gebetsmühle gehört nun mal zur wichtigen Grundausstattung in meinem Job, und ich werde sie gern weiter drehen.

Laudatio für Beat Schmid, Ehrenpreisträger Best of Swiss Web 2012

Gestern Abend wurde der «Best of Swiss Web»-Ehrenpreis an Prof. em. Beat Schmid verliehen, meinen ehemaligen Chef. Ich durfte ein Drittel der Laudatio halten.

Nachtrag vom 6. Oktober 2012: Die sind lustig der Organisation von «Best of Swiss Web»: Stellen das Video von meiner Laudatio eine Woche nach der Veranstaltung auf YouTube, sagen mir aber vorsichtshalber nichts davon. Gerade zufällig entdeckt, dümpelte bei 100 Views dahin. Der Text unten basierte auf meinem Manuskript; da gibt es nun halt gewisse Abweichungen, die ich aber nicht mehr abgleiche. Es gilt das gesprochene Wort – ausser dort, wo ich versehentlich etwas provokant wurde, dort gilt der gemässigtere Text.

Gestern Abend war die Preisverleihung der «Best of Swiss Web»-Awards, einem seit zwölf Jahren durchgeführten Branchenpreis der Schweizer Webszene. Ich war bis vor zwei Jahren Jury-Präsident der Kategorie Usability und durfte gestern zurückkehren, um eine Laudatio auf Professor Beat Schmid zu halten, bei dem ich vor gut 15 Jahren studiert und gearbeitet habe. Beat Schmid ist eine Art «Hidden Champion» der Schweizer Internetbranche: Wenige wissen, dass er sehr früh wichtige Impulse für die Entwicklung gegeben hat, und wie viele inzwischen namhafte Firmen wie Namics und Crealogix aus seinem Lehrstuhl hervor gingen. Entsprechend würdigten ihn drei Laudatoren: Prof. Andrea Back (meine Doktormutter) über sein Wirken an der HSG und am Institut für Wirtschaftsinformatik, Bruno Richle, Gründer von Crealogix, über sein Wirken als Verwaltungsrat, schliesslich ich aus Sicht eines damaligen Studierenden.

Hier mein Text:

Lieber Herr Schmid
Meine Damen und Herren

Viele Leute neigen dazu, ihre Studienzeit im Nachhinein zu verklären. Ich nicht.

Einer meiner schlimmsten Momente an der HSG war für mich im Jahr 1993, als meine Kollegen am Institut für Wirtschaftsinformatik, die «Forschung» betrieben, eine IP-Adresse bekamen (die HSG war damals noch auf IPX/SPX) — aber ich nicht, weil ich für die Lehre zuständig war.

Kurz danach stand der erste Webserver der Ostschweiz, der am Lehrstuhl Schmid aufgesetzt wurde (die Streber von der ETH waren natürlich schneller, nicht zu reden von denen am CERN) quasi in der Abstellkammer neben mir — und ich konnte nicht drauf.

Meine Büronachbarn, die Kollegen vom «CC TeleCounter», Richard Dratva sitzt dort vorn, die damals das Online-Banking der Zukunft erfanden — das zwar heute etwas anders aussieht als damals in Visual Basic mit Drag and Drop von Einzahlungsscheinen und Bleistiften skizziert, aber das immerhin eingetreten ist — sie konnten endlich zuschauen, wie sich die Schwarz-Weiss-Websites von amerikanischen Universitäten in nur wenigen Minuten in «Mosaic» auf dem eigenen PC aufbauten.

Einige Monate später gab es dann zwar TCP/IP für die ganze HSG. Aber wenn ich mir auch nur die Entwicklung von Namics und Crealogix anschaue, die aus diesem Team hervorgingen, stelle ich fest, dass ich den Initial-Rückstand von 1993 offenbar bis heute nicht aufgeholt habe.

Was habe ich also in der Zeit gemacht, in der die anderen surften? Was jeder gute Assi macht: PowerPoint.

Einige Slides davon habe ich mitgebracht, nämlich die legendäre Präsentation, mit der Herr Schmid damals durch die Lande reiste und das Internet erklärte. Ich bin überzeugt, dass die Zahl der Schweizer Führungskräfte, die zum ersten Mal von Beat Schmid vom Internet hörten, in die Tausende geht.

Slides mitgebracht — das tönt, als sei ich gut organisiert. In Wirklichkeit habe ich natürlich Andreas Göldi nach Boston geschrieben, der hat das PPT95-File, das man mit heutiger Software gar nicht mehr öffnen kann, durch irgendeinen Online-Konverter gejagt und es mir zehn Minuten später gemailt. Er lässt Sie übrigens schön grüssen.

Was ich hier zeige, sind wirklich nur die Slides, die ich selbst gemalt habe, denn die komplizierteren, auf denen die elektronischen Märkte erklärt werden, habe ich ehrlich gesagt bis heute nicht genau verstanden.

Wirklich, so sah das damals aus, dieses bunte war modern!

Auf dem nächsten Slide sehen wir, dass wir es mit ortslosen, interaktiven und multimediale Informationsobjekten zu tun bekommen würden – die wir heute jeden Tag besuchen und zum Beispiel Websites nennen.

Ich finde es bis heute gut zu wissen, dass das Internet etwas silbrig glänzt aussenrum.

Schön fand ich noch die Grafik der Anzahl Internet-Hosts, die im Jahrzehnt von 1985 bis 1995 schon ein beeindruckendes Wachstum von 0 auf 7 Millionen hinter sich hatte. Wer es vergleichen möchte: Vor genau einem Jahr gingen bekanntlich die Adressen für den Adressraum IPv4 aus, mit dem man 4.3 Milliarden Hosts adressieren konnte.

Meine Lieblingsgrafik bis zum heutigen Tage bleibt aber die letzte Folie, die ich eigentlich gern gross in meinem Büro aufhängen würde: die Substitution von Pferden durch Autos.


(JPG grossPDF)

Denn auch 1995 musste man Managern schon mit Metaphern, die sie verstehen konnten, die Zukunft erklären. 1995 war das die Substitution von Pferden durch Autos zu Beginn des Jahrhunderts.

Ich weiss noch genau, wie Herr Schmid damals in den Vorträgen immer sagte: «Um die ersten Autos zu bedienen, musste man noch ein halber Ingenieur sein, weshalb die Droschkenkutscher sagten: ‚Das wird sich nie durchsetzen!’»

Nun, man könnte heute die Pferde und Autos in der Grafik durch eine Menge aktuelle Dinge ersetzen — sagen wir zum Beispiel durch Zeitungen und iPads — und einigen müsste eigentlich einiges klarer werden. Erstaunlicherweise ist das aber nicht so, sondern ich verbringe in meinem Job recht viel Zeit damit, mit Leuten zu debattieren, die diese Entwicklung in Frage stellen.

Ich frage mich, wie damals die Argumentation lief. Vielleicht sagten einige: «Die Haptik ist bei so einem Pferd einfach viel besser», oder: «Zu einem schönen Tag gehört für mich einfach dazu, dass ich morgens zur Arbeit reite.»

Und tatsächlich, es gibt ja auch immer noch Pferde und Fuhrwerke und Kutscher, und ich unternehme sogar regelmässig Kutschfahrten: im Schnitt etwa alle zwei Jahre, in den Ferien, wenn meine Söhne mich dazu zwingen.

Lieber Herr Schmid, ich könnte noch diverse Beispiele bringen, etwa von Brillen, mit denen wir ab ca. 1997 «in die Daten gehen», aber ich darf hier nicht länger.

Was ich Ihnen an dieser Stelle sagen möchte: Das Rüstzeug, um diese Transitionen vielleicht etwas früher und etwas klarer zu erkennen als andere, haben wir damals von Ihnen im Studiumgang «Informationsmanagement» bekommen.

Herzlichen Dank dafür!

Anruf aus Indien: «Dein Windows ist verseucht, wir helfen Dir!»

Eine Anruferin aus einem Call Center aus Indien beschwört mich, meinen Windows-Computer einzuschalten, um gemeinsam einen Virus zu entfernen.

Habe gerade einen Scam-Anruf aus Indien bekommen. Mit einer US-Telefonnummer (972-453-9824, Area Code gehört zu Dallas, aber ist sicher faked, man findet auch im Netz diverse «Beschwerden» über die Nummer) und heftigem indischen Akzent rief um 8 Uhr morgens eine Frau an und sagte: «I’m calling from Microsoft. We have received reports from your internet service provider of virus problems with your Windows computer. Can you tell me who owns the computer?» – Ich wollte die Geschichte hören, log also: «That would be me.» Sie so: «May I ask you to switch on your computer? You have serious problems, and I can put you through to somebody from technical service who can help clean your Windows.»

Ich hätte gern gehört, wie es weiter geht, und hab kurz überlegt, ob ich wirklich den Windows-Computer einschalte, der hier rumsteht (nicht meiner, ich hab noch irgendwo einen alten DELL-Laptop in der Ecke liegen, den ich aber seit 2007 nicht eingeschaltet habe), aber dann war mir doch schon die Vorstellung zu anstrengend, während des Bootens fünf Minuten, oder wie lange das heutzutage dauert, mit der Frau am Telefon – und Sohn2 im Hintergrund – zu verbringen, und ich sagte: «You know what, this whole story sounds pretty funny to me.» Die Frau wurde ärgerlich: «You think this is funny? What makes you think is is funny? This is very serious!» – «And besides, I have a Mac», sagte ich. «You have Macintosh?» – «Yes.» – Klick, aufgelegt.

Da soll noch jemand sagen, einen Mac zu haben hilft nichts.

Hab die Geschichte natürlich sofort gegoogelt (nach „windows scam india“) und diverses Englischsprachige gefunden, u.a. diverse Artikel und Blogposts beim Guardian, wie den hier: «Virus phone scam being run from call centres in India».

Dort steht auch, wie es weitergegangen wäre:

The puzzled owner is then directed to their computer, and asked to open a program called „Windows Event Viewer“. Its contents are, to the average user, worrying: they look like a long list of errors, some labelled „critical“. „Yes, that’s it,“ says the caller. „Now let me guide you through the steps to fixing it.“

The computer owner is directed to a website and told to download a program that hands over remote control of the computer, and the caller „installs“ various „fixes“ for the problem. And then it’s time to pay a fee: £185 for a „subscription“ to the „preventative service“.

Natürlich ist die Geschichte so absurd, dass es mir rätselhaft wäre, wie jemand darauf reinfallen könnte. Woher sollte Microsoft meine Nummer haben? Wieso sollte mein ISP Swisscom merken, dass ich einen Virus habe, und wenn doch, wieso sollte er mich bei Microsoft melden, statt mich direkt anzugehen? Und wieso sollten die aus Indien anrufen, mit einem Akzent, den man fast nicht versteht?

Andererseits glauben die Leute ja auch, dass ihnen jemand aus Nigeria 50 Millionen vererben will. Ja nun.

Deutschsprachige Artikel oder Blogposts habe ich gar nicht gefunden. Aber natürlich gehe ich davon aus, dass ich nicht der erste in der Schweiz bin, der angerufen wird, und dass die Geschichte in wenigen Tagen bis Wochen, je nach Intensität der Bewirtschaftung der hiesigen Adressen, morgens im «20 Minuten» steht. Barbara Josef, kannst schon mal ein Statement vorbereiten.

Update: Ach, es war schon bei 20 Minuten, hab’s bei meiner ersten Suchrunde wegen «Indien» nicht gefunden: Wenn Jenny anruft, droht Gefahr.

Krisenkommunikation: NZZ Online lahmt

NZZ Online hat grössere Probleme. Wir informieren behelfsmässig hier und bitten um Verständnis.

Update von 14.58 Uhr: Wir verschieben die Krisenkommunikation hierher: nzzonline.tumblr.com/

(Ich poste das hier in meinem privaten Blog, weil nzz.ch nicht immer aktualisiert werden kann und/oder nicht immer erreichbar ist. Ungewöhnliche Situationen erfordern ungewöhnliche Massnahmen.)

Gestern Mittag wurde ein neuer Software-Release auf NZZ Online eingespielt. Seit ca. 23 Uhr am Abend haben wir Probleme, die vermutlich damit zusammen hängen.

Hintergrund: NZZ Online besteht technisch aus zwei separaten Modulen: den «Backend-Servern» mit dem Redaktionssystem und den «Frontend-Servern», die die Website ausliefern. Dieser Setup stellt sicher, dass die Website auch erreichbar, wenn das Backend einmal abstürzt.

Seit heute morgen ist es durch Probleme im Backend unserer Online-Redaktion teilweise nicht möglich, die Website zu aktualisieren. Gleichzeitig bringen die Probleme im Backend zeitweise auf die Frontend-Server zum Absturz, so dass NZZ Online immer mal wieder gar nicht erreichbar ist. Die meiste Zeit ist aber die Website scheinbar in Ordnung, kann «nur» nicht aktualisiert werden (was natürlich sehr schlimm ist für eine Nachrichten-Site).

Nachdem alle anderen Massnahmen fehlgeschlagen sind, prüfen wir derzeit ein Wiederherstellen des Zustands vor der Installation gestern Mittag («Rollback»). Dadurch wird auch der inhaltliche Stand vorübergehend der von gestern Mittag sein, was wir allerdings schnellstmöglich wieder korrigieren werden.

Wir halten Sie hier dort: http://nzzonline.tumblr.com/ auf dem Laufenden. Danke für das Verständnis.

(Stand von 14.30 Uhr)