Frage: «Wann werden Elektroautos alltäglich sein?»

Autor der englischen Original-Antwort: Jeffrey Blaisdell («über 100.000 Meilen in verschiedenen Elektroautos gefahren»). Beantwortet am 21. März 2019.

Ende 2017 machten Elektrofahrzeuge kaum mehr als 1% der verkauften Neuwagen aus und wurden von den meisten Menschen als eine interessante, aber noch nicht in der Praxis bestätigte Idee angesehen, sondern vielmehr als das Spielzeug für Reiche oder Idealisten, als das man sie seit der Einführung des winzigen Tesla Roadsters im Jahr 2008 zum Preis von über 100’000 Dollar wahrgenommen hatte.

Ende 2018 machten Elektrofahrzeuge nur 2% der verkauften Neuwagen aus und wurden von den meisten Menschen als interessantes, aber immer noch weit entferntes Phänomen angesehen, noch nicht bereit für den breiten Einsatz.

Ende 2019 werden Elektrofahrzeuge auf Basis der aktuellen Wachstumsraten und Prognosen 3,6% der verkauften Neuwagen ausmachen (der Artikel ist von März, bevor das Tesla Model 3 in Europa ausgeliefert wurde; inzwischen könnte es etwas mehr werden, Anm. pho) und von den meisten weiterhin als zwar interessante, aber letztlich immer noch nicht überzeugende Idee angesehen.

Ende 2020, wenn der Trend anhält, wird ein Marktanteil von 6.5% einige Leute nachdenklich machen, indem Tesla rund eine Million Autos pro Jahr ausliefert, davon das Model 3 und das Model Y (etwas grössere und höhere Variante des kleinen Tesla Model 3, soll Ende 2020 eingeführt werden, Anm. pho) zu normalen Neuwagenpreisen. Den beliebten kleinen Crossovers (kompakte SUV-Modelle) werden durch überlegene Leistung und erhebliche Betriebskosteneinsparungen Marktanteile genommen; zudem werden bis dahin zahlreiche Nachahmer auf dem Markt sein.

Im Jahr 2021, einfach nur indem wir das Wachstum von 80% pro Jahr fortschreiben, das nun bereits seit einigen Jahren anhält, sind wir schon bei fast 12% der Neuwagen. Nun lässt es sich von niemandem mehr verleugnen.

2022? 21%.

2023? 38%.

Mitte 2024, in nur fünf Jahren, wird die Marke von 50% durchbrochen. Zu diesem Zeitpunkt wird erwartet, dass Elektroautos durch kontinuierliche Verbesserungen in der Batteriechemie und im Produktionsprozess in der Anschaffung gleich teuer sind wie Verbrenner, was ihren ohnehin schon überzeugenden Betriebskostenvorteil noch verstärken wird. Zu diesem Zeitpunkt wird niemand mehr eine Kaufentscheidung für einen Neuwagen treffen, ohne ein Elektroauto in Betracht zu ziehen. Das Argument der «Reichweitenangst» ist verschwunden, das Kostenargument ebenso, Haltbarkeit und Langlebigkeit sind durch 15 Jahre Verbraucherdaten belegt, die Ladeinfrastruktur ist schnell und allgegenwärtig. Nur wer über die gesamte Lebensdauer seines Fahrzeugs 20’000 Dollar mehr zahlen will, um «WRUMM» zu hören – um dann de facto länger zu brauchen, um tatsächlich zu beschleunigen – hat noch einen Grund, einen Verbrenner zu kaufen.

2025 zeigt sich das, was einige Jahre lang wie ein exponentielles Wachstum aussah, als eine logistische Kurve, wie es im echten Leben fast immer der Fall ist. Die Wachstumsrate sinkt mit zunehmender Sättigung des Marktes und stagniert irgendwo zwischen 80% und 90% der Neuwagen, denn einige Nischenmärkte erweisen sich als resistent gegen vollständige Umstellung auf Elektro – etwa Fahrzeuge mit langen Nutzungszyklen, insbesondere in Gebieten mit knappen Lademöglichkeiten. Andererseits ist der Kostenanreiz bei intensiver Nutzung am stärksten, so dass bessere Lösungen hohe Einsparungen ermöglichen würden. Deshalb geben Verkehrsunternehmen bereits heute (2019) eine halbe Million Dollar mehr für einen Elektrobus aus, der jährlich 50.000 Dollar oder mehr an Kraftstoff und Wartung einspart. Und daher werden wohl auch exotische Einsatzzwecke weitgehend auf Elektroantrieb umgestellt, sobald die Fahrzeuge selbst billiger werden als die Alternative.

2030 sind Verbrennungsmotoren aufgrund des gesunkenen Absatzvolumens und entsprechend höherer Stückkosten für viele Nischen, auch für Lkw und Transporter, vielfach nicht mehr verfügbar. Mit zunehmendem Alter der letzten Generation von Verbrennern übt die sinkende Nachfrage nach Benzin und Diesel einen zusätzlichen Kostendruck auf Produktion und Vertrieb aus, und Tankstellen werden immer seltener, da die Aufladung zuhause zur Hauptenergiequelle geworden ist.

Ab 2035-2040 gelten Autos mit Verbrennungsmotor weitgehend als Spielzeug für Reiche.

Abschliessender Kommentar von Jeffrey Blaisdell: Nur der Tagtraum eines einzelnen, aber die aktuellen Daten unterstützen die Thesen. Ich bestehe nicht darauf, dass man alle Zahlen allein anhand der bisherigen Daten hochrechnen kann, aber wenn man sich die auf den Markt kommenden Modelle und die Investitionen in Forschung und Entwicklung im Elektrobereich ansieht, kann es durchaus so passieren.

Elektro kommt langsam, aber gewaltig (oder: Amara’s Law, Ausgabe 2018)

Die Schweizer Verkaufszahlen für Elektro-Autos für 2018 finden manche enttäuschend. Abwarten. Amara’s Law wird zuschlagen.

Letztes Wochenende (ich habe diesen Post ein paar Tage liegen gelassen, weil ich noch auf detailliertere Statistiken hoffte, die aber bisher nicht kamen) machten die Auto-Zulassungszahlen von 2018 die Runde, und sie lassen sich in der Schweiz wie in Deutschland rasch zusammenfassen:

  • Elektroautos sind im Kommen, aber langsam. Der Zuwachs im Vergleich zum Vorjahr ist zwar hoch, aber die absoluten Zahlen sind immer noch gering.
  • In Deutschland: Zuwachs um 44% auf nunmehr ca. 1% der gesamten Neuzulassungen.
  • Für die Schweiz habe ich bisher nur die Zahl 7.2% für alle alternativen Antriebe, Elektro-, Gas- und Wasserstoff-Antriebe sowie diverse Hybrid-Varianten gesehen, die wenig aussagekräftig ist, aber die Zahl der reinen E-Autos folgt bestimmt noch.
  • Fest steht: Der grosse Durchbruch, den manche erhoffen / erwarten / befürchten ist doch nicht da; von norwegischen Verhältnissen (50% der Neuzulassungen elektrisch) sind beide Länder noch weit entfernt.

Diese Zahlen kann man natürlich unterschiedlich interpretieren, und schon die Überschriften der Medien liefern viel Meinung mit, wiederum sowohl in der Schweiz (Tagi: «4×4-Wagen boomen – Elektroautos nicht», oder ganz anders beim Blick: «4×4 und Öko topp, Diesel Flop»), wie auch in Deutschland, wo die meisten Medien auf den insgesamt rückläufigen Markt fokussieren, manche aber auch auf den E-Aspekt, wie die Wirtschaftswoche: «2019 wird das Jahr des Tesla – danach kommt die Wende» oder heise.de: «Elektroautos: 68.000 Neuzulassungen in Deutschland».

(Was ich in den Schweizer Artikeln nicht so ganz verstehe, ist der konstruierte Gegensatz 4×4 versus Elektro. Das eine hat mit dem anderen erstmal nichts zu tun. Mein Auto ist inzwischen auch beides. Und die Schweiz war doch immer schon ein Allradland, da ist es einfach noch ein klein wenig hochgegangen von 47,5 auf 49,1 Prozent – natürlich ist das ein Boom, aber einer, der schon recht lange läuft.)

Wenn man die Kommentare liest, die die Debatte um die Elektrifizierung der Automobilflotte seit Jahren begleiten («enttäuschendes Wachstum», «Ziele in weite Ferne gerückt» etc. etc.), ist es wichtig, dass man einmal mehr Amara’s Law hervorholt, das ich schon seit so vielen Jahren immer wieder predige, dass es mich manchmal selbst langweilt – aber es hilft nichts, man muss es immer wieder zitieren:

We tend to overestimate the effect of a technology in the short run and underestimate the effect in the long run.

Roy Amara, 1925-2007, Wikipedia.

In den rund 25 Jahren, seit ich Innovationen einigermassen bewusst miterlebe, habe ich diese Zyklen schon diverse Male gesehen: Durchsetzung des Internets (Unterthema: eCommerce), der Smartphones (Unterthema: mobiles Internet), des Musikkonsums (erst Download/iTunes, dann Streaming/Spotify) und so weiter und so fort. Immer ist man zuerst euphorisch, dann enttäuscht, und dann geht es richtig ab. (Den ganzen Verlauf bildet dann der Hype-Zyklus ab.)

Vor zwei Jahren habe ich am Aufhänger Smartwatches darüber meine Kolumne bei KressPro geschrieben, leider nicht mehr online, daher hier als PDF: «Ein Milliarden-Gesetz».

Einschub: Naturgemäss sind zu jedem Zeitpunkt verschiedene Technologien in ganz verschiedenen Phasen. Bei den Smartwatches sind wir noch unterwegs auf dem Sprung zum Massenmarkt. Meine eigene Hypothese zu Smartwatches (u.a. hier dokumentiert) ist, dass diese endgültig den Durchbruch schaffen, sobald sie – anders als die ersten vier Generationen der Apple Watch – kaum noch von klassischen, auch mechanischen Uhren zu unterscheiden sind. Wer will, kann sich seine Smartwatch so einstellen, dass sie aussieht wie ein Chronometer, aber natürlich einer mit Schrittzähler, Pulsmesser, Push-Funktion für dringende Nachrichten etc. Ausser für Hardcore-Liebhaber und -Sammler, die es natürlich immer geben wird, wird es dann für viele Leute einfach nicht mehr sinnvoll sein, sich eine Uhr kaufen, die diese Features eben nicht hat. Wer sich die aktuellen Modelle von Samsung oder Huawei anschaut, die Swisscom zu Weihnachten in der Schweiz überall plakatiert hatte, weiss, wohin die Reise geht, übrigens auch preislich. Die Apple Watch hat Amaras Gesetz inzwischen schon recht weit durchlaufen; natürlich begonnen dem Klassiker von vor vier Jahren: «Die Apple Watch enttäuscht die Alpha-Nerds».

Läuft der Prozess also immer gleich ab, auch heute bei den Elektroautos? Natürlich nicht. Der viel strapazierte Vergleich von Tesla mit dem iPhone (u.a. «Can Germany survive the ‘iPhone moment’ for cars?», bester Artikel zum Thema: «Tesla, software and disruption») ist zwar nicht ganz unberechtigt, aber man muss sich nur Anschaffungspreise, durchschnittliche Lebensdauer oder auch die definierenden Features eines Autos wie die Reichweite anschauen, um zu merken, dass Autos etwas ganz anderes sind als Telefone oder Uhren.

Eine Besonderheit am Thema Elektromobilität in der derzeitigen Phase ist, dass Tesla derzeit noch so eine grosse Rolle in der Nische der Elektroautos spielt, dass allein die Auslieferungen der bereits bestellten Model 3 in Europa die Statistiken hätten drastisch nach oben ziehen können. Hätte Tesla Mitte 2018 begonnen, auch nach Europa zu liefern statt nur in die USA (was sicher kaufmännisch weniger sinnvoll gewesen wäre als die gewählte Variante: West nach Ost), würden wir heute über ganz andere Zahlen reden, nicht nur für Tesla selbst, sondern für das ganze Segment. Für die gesamte Entwicklung spielt das keine Rolle, denn das Kalenderjahr ist natürlich eine willkürliche Festlegung, und nun schwappt die Welle halt im nächsten Frühling nach Europa und somit in die Statistiken 2019.

Ich bin daher recht sicher, dass der Wind bald drehen wird, einerseits in Form der medialen und öffentlichen Meinung, die ja immer eine gewisse Bremsspur hat – ich lese zum Beispiel immer noch jeden Tag irgendwo, wieviel Geld Tesla doch verliere, dabei hat das vor drei Monaten dramatisch gedreht. Ausserdem werden die Menschen zunehmend viele eAutos sowohl an der Ampel neben sich wie auch in ihrem Freundeskreis sehen, nicht nur von Tesla, sondern demnächst auch von anderen Herstellern. Elektro wird rasch seinen Nimbus als etwas für reiche Freaks verlieren (stimmte eh beides nicht), was wie bei jeder Innovation entlang der Diffusionskurve einen sich selbst verstärkenden Prozesses befeuert, der natürlich auch allen anderen Herstellern helfen wird, ihre neuen eMobile zu verkaufen.

Hier wird sich bei Autos eine Parallele den oben erwähnten Smartwatches, wie auch zu jedem anderen Amara-Verlauf, ergeben: In nicht allzu ferner Zukunft wird einfach der «Default» elektrisch sein, und nur wer ausgesprochener Fan von brummenden Motoren ist, kauft noch Verbrenner. Sascha Lobo hat das vor einem Jahr in seiner SpOn-Kolumne schön beschrieben am Beispiel Voice/Amazon Alexa:

Bei der Verbreitung von Technologie gibt es ein wiederkehrendes Muster, ich bezeichne es als „progress of no return“, Fortschritt ohne Wiederkehr: Durchschnittsnutzer spüren, dass sie nicht mehr hinter diesen Standard zurückfallen wollen. Vorherige Anwendungen erscheinen überholt.

Bequemlichkeit schlägt alles, sogar deutsche Bedenken

2019 wird vermutlich das letzte Jahr sein, in dem das Agieren und der Erfolg von Tesla allein die Zahlen des gesamten Segments entscheidend prägen; unabhängig davon, wie sich die Firma weiter entwickelt. Ich vermute, sie werden die Marktführerschaft in einigen Jahren abgeben, aber als Taktgeber noch lange relevant sein. Auch da passt der Vergleich zum Smartphone derzeit noch.

Deswegen finde ich es richtig, dass Auto Schweiz im eingangs erwähnten Tagi-Artikel an seinem Branchenziel «10/20» festhält: 10% der Neuzulassungen im Jahr 2020 sollen Elektroautos sein (oder Plug-in-Hybrid, wobei ich denke, dass diese sich nie in der Breite durchsetzen werden, weil es nicht sinnvoll ist, mit zwei Speichern rumzufahren).

Auch richtig ist die Aussage von GLP-Chef Jürg Grossen als Präsident des Verbands Swiss E-Mobility:

Die «zaghafte» Entwicklung erklärt sich Grossen mit den mangelnden Kenntnissen der Käuferschaft zu den Vorteilen von Elektroautos und mit dem Widerstand der «Verbrennerlobby, welche keine Gelegenheit auslässt, die Neuentwicklung schlechtzureden».

Das stimmt beides, aber die Taktik des Schlechtredens ist sehr endlich, darüber müssen wir gar nicht mehr gross lamentieren. Die Verbrennerlobby redet ja auch nur noch vorn schlecht, hinten werkelt sie hektisch an der Elektro-Pipeline. Die Menschen hören nur so lange auf die mediale Meinung, bis sie genügend Stimmen in ihrer Peer Group beisammen haben, und da wird die kritische Masse irgendwann erreicht sein.

Nochmal zurück zu Tesla. Die Verkaufszahlen für das letzte Quartal 2018 liegen vor, aber noch nicht die Quartalsergebnisse. Die Entwicklung der Absatzzahlen von 2012 bis heute nach Quartal sind eindrücklich:

Dazu der Satz aus dem Artikel, der gleichermassen gut für Vorträge über Innovation oder zum Apéro-Smalltalk taugt:

In the final weeks of 2018, Tesla sold its 500,000th car. That milestone took 10 years to achieve. The next half-million car deliveries will take about 15 months, if the company maintains its current pace (…).

Tesla’s Life After Hell: 7 Charts Show Musk on Firmer Footing

Der Bloomberg-Artikel enthält, wie der Titel schon sagt, sieben Grafiken, und man sollte ihn unbedingt bis zum Abschnitt über die Batteriekosten lesen, der aus meiner Sicht einmal mehr den Weitblick von Elon Musk zeigt, als er entschied, auch Batterien selbst zu bauen.

Vertiefen wir jetzt nicht. Dazu passt aber gut ein Zitat des neuen Board-Mitglieds Larry Ellison über Elon Musk, der offenbar für eine Milliarde Dollar Tesla-Aktien gekauft hat:

Ellison also discussed his frustration with critics of SpaceX, Musk’s private space travel company.

„You’re telling me he’s an idiot. I just want to know who you are. Why should I believe you, as opposed to my friend Elon? We’re out here watching this rocket land, which I think is really cool, and you’re there in front of your Apple Macintosh, and typing up an article saying Elon’s an idiot,“ Ellison said.

„This guy’s landing rockets. He’s landing rockets on robot drone rafts in the ocean,“ Ellison said, referring to SpaceX’s trademark drone ships. „And you’re saying he doesn’t know what he’s doing. Well, who else is landing rockets? You ever land a rocket on a robot drone? Who are you?“

Before Oracle billionaire Larry Ellison joined Tesla’s board, he gave an impassioned defense of his ‚very close friend‘ Elon Musk

Fun Fact: Ich musste etwas schmunzeln, wie Stefan Paravicini für die NZZ «robot drone rafts» übersetzt hat: «Dieser Typ landet mit Raketen auf Roboterflossen im Ozean, und ihr sagt, dass er nicht wisse, was er tut». Aber wir schweifen ab, sorry.

Fazit: Es passiert auch diesmal wieder. Zugegeben, was man nie so genau weiss, ist wann. Aber es würde mich nicht wundern, wenn es 2020 sogar mehr als 10% in der Schweiz werden, und auch die ominöse Million in Deutschland wird kommen, ob nun 2020 oder 21 oder 22.

Ich lege mich fest und wette, dass in zwei Jahren die Schlagzeilen lauten werden: «Elektrische Neuzulassungen übertreffen Erwartungen.» Roy Amara, dann 15 Jahre tot, lässt grüssen.

Websites altern schlecht

Meine Firma Scope sitzt in einem über hundertjährigen Haus an der Weinbergstrasse unter­halb vom Zürcher Schaffhauserplatz. Besu­cher freuen sich an den Marmorierungen im Treppenhaus und den generell schönen Büros. Jeder weiss: Häuser al­tern gut, wenn man ih­nen Sorge trägt.

Web­sites dagegen altern ge­nerell schlecht. Zum Bei­ spiel mein Lieblings­-Pizzabringdienst «Flying Pizza» in Zürich­-Wipkin­gen, bei dem ich 2013 das erste Mal bestellt habe: Damals entsprach flyingpizza.ch noch dem Stand der Technik – wo­ bei ich an den Tippfeh­lern auf dem Liefer­schein immer schon merkte, dass ihn wohl jemand abtöggelet.

Fünf Jahre später hat die Website leider einen morbiden Charme: Die Adresszeile sagt «Nicht sicher», Aussehen und Menüführung sind veral­tet, das Kontaktformular ist ganz kaputt, seit Google V1 das Abtipp­-Rätsel reCaptcha abge­schaltet hat. Pizza und Salate sind nach wie vor fein, aber wenn die Tech­nik nicht ersetzt wird, bin ich bald weg.

Was wäre mein Tipp an das sympathische Team? Keine Agentur basteln lassen, sondern «Food Delivery Software» goo­geln und eine Lösung mieten, die nach dem Modell «Software als Service» auf jedem Gerät läuft. Dann bestelle ich gern jahrelang weiter.

En Guete mitenand!

(Veröffentlicht im «Blick am Abend vom 10. Juli 2018.)

Staunen Sie, was passieren wird – meine Empfehlung für «Slack»

Staunen Sie, was passieren wird (Kolumne in KressPro)

„Internes Instant Messaging? Brauchen wir nicht!“ Das haben über E-Mail auch erst alle gesagt. Aber jetzt ist die Zeit reif für „Slack“ – und zwar nicht nur, weil Sie dann cool sind.

Der Star des Jahres im Silicon Valley heißt Slack, gegründet vom Kanadier Stewart Butterfield, der nach dem Fotosharing-Dienst Flickr zum zweiten Mal mit einem Nebenprojekt ganz groß rauskommt. Auf den ersten Blick ist Slack ein simples Chat-Tool für interne Kommunikation, wie es schon viele davor gab. Auf den zweiten Blick zeigt es seine enorme Wucht: Der E-Mail-Killer, von dem seit 20 Jahren alle reden, ist jetzt da. Ich übertreibe nicht: Seit dem vergangenen Herbst nutze ich intern in mehreren Organisationen Slack, und wir versenden seitdem keine internen E-Mails mehr. Null. Sieben Gründe für Slack und Co.:

1. Sie denken, Ihre Mitarbeiter nutzen brav nur E-Mail? Denkste!
Ihre Leute haben sich untereinander längst für Direktnachrichten vernetzt via: SMS, iMessage, WhatsApp, Facebook Messenger, Skype. Das ist erstens unproduktiv, weil jeder woanders kommuniziert, und zweitens ein Alptraum aus Compliance-Sicht. Stewart Butterfield erzählte neulich in einer Podiumsdiskussion in Austin, er habe eine große Kanzlei als Kunden gewonnen, indem er dem CEO sagte: „Wenn Ihr intern SMS als Kanal nutzt und mal einen Rechtsstreit habt, bei dem die Kommunikation eingesehen wird, schauen fremde Junior-Anwälte deine privaten Nachrichten an.“ Der Kunde habe sofort unterschrieben.

2. Slack ist Spam-frei
Slack ist nur für die interne Kommunikation, jeder Teilnehmer braucht ein Konto. Was zunächst wie ein Nachteil aussieht, ist ein Vorteil: Alle sind bekannt, niemand kann einen vollmüllen mit Sales- oder Spam-E-Mails.

3. Cut the crap!
E-Mails, die mit „Sehr geehrte Damen und Herren“ beginnen, dann in mehreren Sätzen die Lage schildern, bevor der Autor zu seiner kurzen Frage kommt, um mit „Beste Grüße und ein schönes Wochenende“ zu enden, sind ein Relikt aus der Brie ultur. Manche mögen es als Verrohung der Sitten verteufeln, aber die Essenz „Kann der Text so raus? (Link)“ sollte eigentlich intern reichen.

4. Flexible Gruppen
Slack-Gruppen können Themen oder Organisationseinheiten folgen. Gleichzeitig ist aber auch in Sekunden ein virtuelles Team zur kurzen und knackigen Diskussion einer Sachfrage formiert. Ist diese gelöst, wird die Konversation archiviert, kann aber jederzeit reaktiviert oder durchsucht werden. Slack unterstützt damit, wie Firmen in Zukunft funktionieren sollten: als Ansammlung von Ad-hoc-Teams.

5. Slack ist offen und wird immer intelligenter
Seit Jahrzehnten werden uns Management Information Systems versprochen, die Unternehmensdaten aggregiert und zugleich detailliert zur Verfügung stellen. Der monolithische Ansatz von SAP und Co. ist jedoch in den meisten Unternehmen gescheitert, man bekommt die Daten nur schlecht wieder aus dem System heraus. In Austin zitierte Butterfield eine Studie, wonach Firmen bis zu 20 Prozent der Arbeitszeit aufwenden, um intern vorhandene Informationen wieder aufzufinden. Die Internet-Apps der letzten Jahre setzen dagegen auf das Konzept „Small pieces loosely joined“: Spezialisierte Systeme können vor allem eine Sache gut – zum Beispiel Umfragen, Zeiterfassung, Spesenabrechnung – und sind über Programmierschnittstellen miteinander verbunden. Und Slack kann als universelle Abfrageschnittstelle an viele Systeme andocken. Laut Butterfield wird es die Frage „Wie hoch waren meine Spesen im Januar?“ bald beantworten können. Das klingt wie Zukunftsmusik, aber Slacks „App Store“ umfasst bereits Hunderte von Integrationen.

6. Es ist Slack – und nicht Skype for Business
Wer denkt, Skype mache ja eigentlich genau das Gleiche wie Slack, sollte noch mal überlegen. Einer ist übrigens Bill Gates, der sich o enbar in den vergangenen Jahren zu viel mit Malaria beschäftigt hat und zu wenig mit Convenience, denn er persönlich hat laut Techcrunch verhindert, dass Microsoft Slack für acht Milliarden kauft, weil er findet, man könne ja Skype ausbauen. Slack und Skype könnten nicht unterschiedlicher sein, nicht zuletzt aufgrund des enormen Drives, mit dem das Slack-Team bei der Sache ist und im Wochentakt neue Innovationen bringt. Der einzig ernst zu nehmende Slack-Konkurrent wäre für mich übrigens der Facebook Messenger, den Mark Zuckerberg sich ganz oben auf die Agenda geschrieben hat – allerdings bisher nicht für den Einsatz in Firmen.

7. Heute sind Sie noch vorn
Ich bin überzeugt: Instant Messaging als Enterprise-Anwendung kommt so oder so. Aber es ist einfach cooler, wenn man Early Adopter als Late Adopter ist.

MEIN TIPP: Geben Sie nicht Ihrer IT-Abteilung den Auftrag herauszufinden, ob es einen Bedarf gibt, denn deren Antwort kennen wir bereits. Suchen Sie sich ein kleines Team von 15 bis 50 Personen in Ihrer Firma, stellen Sie es denen einfach hin – und staunen Sie, was passieren wird!

Peter Hogenkamp ist CEO der Scope Content AG, die die Plattform «Scope» für handkuratierte Nachrichten zu Fachthemen mit derzeit 70 Channels betreibt.

Aus: KressPro 4/2016
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Convenience is King

Convenience is King (Kolumne in KressPro)

Wer meint, seine Inhalte seien so unverzichtbar, dass seine Kunden jegliche Mühsal auf sich nehmen, sollte sich anschauen, wie einfach es weltweite Marktführer ihren Kunden machen.

„CONTENT IS KING“, SAGT MAN GERN. Dabei wird übersehen, dass oft die Einfachheit, mit der dieser Content zugestellt wird, vielleicht sogar noch wichtiger ist. Natürlich: Wenn der neue Star-Wars-Film erstmalig zum Download verfügbar ist, und das nur bei iTunes, wird man sich als guter Vater dort einfinden und zähneknirschend die 20 Euro abdrücken. Hier ist Content zweifellos noch King, denn die Söhne akzeptieren nur das Original.

Die meisten Medienleute denken, ihre Inhalte seien absolut unverzichtbar, aber Experten sind sich da längst nicht sicher, ob das wirklich stimmt. Häufig sei der zu erledigende „Job“ ein überraschend anderer als nur der Content, fand etwa Harvard-Professor Clayton Christensen („The Innovator’s Dilemma“), als er vor einigen Jahren sein Jobs-to-be-done-Framework – also die Frage: Was ist die eigentliche Aufgabe eines Produkts? – auf Medien anwandte (http://goo.gl/NlV8Dn). Diverse Beispiele kennen wir in den Medien bereits seit Langem: Die Regionalzeitung wird nicht nur wegen der Artikel gelesen, sondern auch wegen der Schweinebauch- und Todesanzeigen. Und die womöglich wichtigste Funktion eines Pendlerblatts ist es, die Zeit auf dem Arbeitsweg zu vertreiben – „20 Minuten“ bei uns in der Schweiz bezieht sogar seinen Namen daher.

Zurück zu Videos wie Star Wars und einer der großen globalen Erfolgsgeschichten der vergangenen Jahre: Netflix, dem Video-Streaming-Dienst mit 80 Millionen zahlenden Nutzern. Wenn Journalisten über Video-Anbieter schreiben, denken sich alle dasselbe Testverfahren aus: Wie viele Filme und Serien sind wo verfügbar? Das Testergebnis lautet dann: Dienst A gewinnt gegen Dienst B mit 120.000 zu 100.000 Titeln.

Dieses Verfahren ignoriert nicht nur die Tatsache, dass eh niemand Zehntausende von Filmen anschauen kann, sondern vor allem, dass der „Job to be done“ für viele Zuschauer schlicht lautet: „Wenn ich abends meinen Fernseher einschalte, will ich werbefrei zwei Stunden gut unterhalten werden.“ Womöglich mit dem Zusatzwunsch: „Wenn ich unterwegs bin, will ich dieselbe Auswahl haben.“ Welche Serie jemand dann anschaut oder ob sie von 2016 oder 2014 ist, ist ihm vielleicht – Schock für die Content-Branche! – mehr oder weniger egal.

Sobald man sich vom Unser-Inhalt-ist-der-beste-Mantra löst, tritt sofort das Nutzererlebnis ins Zentrum. Wenn ich die PR-Aussagen großer Telekom-Anbieter wie Telekom, Unity Media oder Swisscom lese, die regelmäßig sagen: „Unsere Videothek ist genauso gut wie Netflix“, denke ich immer, dass vermutlich kaum ein Konsument Inventarlisten vergleicht wie die PS-Zahlen zweier Autos.

Wem ein Videobeispiel als Analogie für seine Branche zu wenig relevant ist, für den hätte ich noch zwei andere:

Spotify: Der Musik-Streaming-Dienst aus Schweden hat sich zu einer Art De-facto-Standard für Musik im Netz entwickelt. Die Tatsache, dass immer wieder Künstler mit großem Getöse ihre Titel aus dem Spotify-Inventar entfernen lassen, weil sie denken, sie könnten via Downloads (noch) mehr verdienen, tut seiner Popularität keinen Abbruch. Und auch als im Sommer 2015 Apple Music lanciert wurde, wurde das voreilig als Todesstoß für Spotify ausgerufen, der jedoch keineswegs eingetreten ist, sondern es wuchs im Jahr 2015 auf 30 Millionen User. Apple Music ist in Leistung und Preis absolut vergleichbar, doch ist so merkwürdig zu bedienen (das
bis heute seltsam anmutende iTunes lässt grüßen), dass Spotify weit enteilt bleibt.

Kindle: Der E-Reader von Amazon ist ein geschlossenes System, auf das man sich einlassen muss, denn man nimmt hin, dass Amazon das Sagen hat. Aber wer das tut, wird mit einer phänomenalen User Experience belohnt, und zwar über alle Plattformen hinweg. Ein Buch, das man auf dem Kindle zu lesen beginnt, kann man jederzeit auf praktisch jedem anderen Endgerät (Laptop, Smartphone, Tablet) an derselben Stelle weiterlesen. Amazon, dem auch der Hörbuchanbieter Audible gehört, experimentiert sogar damit, dass man ein Hörbuch an derselben Stelle, an der man im E-Book war, weiter hören kann. Die vom deutschen Buchhandel als Alternative forcierte Lösung Tolino ist ein offeneres System, kann aber mit diesen Features nicht ansatzweise mithalten.

Es soll hier nicht darum gehen, blindlings internationale Lösungen gegenüber lokalen in den Himmel zu heben. Und ja, Spotify hat noch keinen Gewinn gemacht, und Netflix stößt an die Grenzen seines Wachstums. Aber wenn jemand behauptet: Unsere Lösung ist gleichwertig, weil unser Content genauso reichhaltig ist, muss erlaubt sein zu sagen: Erstens müssen das die User auch zuerst finden, und zweitens ist der Content nur die halbe Miete.
Als deutschsprachiger Verlag kann man nicht 1 : 1 mithalten mit den Großen aus dem Silicon Valley. Aber man kann sich durchaus jeden Tag ein Beispiel an ihnen nehmen.

Peter Hogenkamp ist CEO der Scope Content AG, die die Plattform «Scope» für handkuratierte Nachrichten zu Fachthemen mit derzeit 70 Channels betreibt.

Aus: KressPro 3/2016
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«Ich vermesse mich» – mein Artikel in der NZZaS (Langversion)

Hier die ungekürzte Version sowie Links zum Original meines Artikels «Ich vermesse mich» in der NZZ am Sonntag.

Vorgeschichte: Letzten Mittwoch, ich sass gerade gemütlich in Köln im Pressecenter der dmexco, rief mich Francesco Benini an, Ressortleiter Hintergrund und Meinungen bei der NZZ am Sonntag. Sie hätten in der Redaktionskonferenz über Self Tracking geredet, und einer wusste: «Der Hogenkamp macht das doch.» Ob ich einen Artikel dazu schreiben könne, der viel über Self Tracking und noch ein wenig über die neue Apple Watch sagt. Ich schrieb, es wurde natürlich zu lang, ich schickte ihm die lange Version, um zu fragen, wo ich kürzen solle, er fand den Self Tracking-Teil gut (was viel Sinn ergibt, wenn man weiss, dass in der NZZ am Sonntag von heute über die Apple Watch auch noch ein Text in der Wirtschaft und einer in Wissen/Technologie war), und so fokussierten wir auf den vorderen Teil. Wo ich mir aber schon mal extra die Keynote angeschaut habe (die etwa 750 Informationen enthält, die ich in keinem Pressebericht gelesen habe), vertraue ich Euch hier die lange Version an. Im Wissen, dass der Print-Artikel besser, weil kompakter ist. Kürzen hilft fast immer. Und auch die kleinen Textänderungen, die die Produzentin vorgenommen hat, finde ich alle sinnvoll. – Das Foto von mir, wen’s interessiert, ist übrigens von der sehr netten Barbara Sigg.

Wer die Print-Version, die bereits in sozialen Medien die Runde machte, lesen will: Hier das PDF im Original-Layout und hier der Link zum «Webpaper».

Selbstvermessung mit Apple-Schick

Die angekündigte Apple Watch könnte der «Quantified Self»-Bewegung zum Durchbruch verhelfen
von Peter Hogenkamp

Mein Studienfreund Tim, heute Unternehmensberater für Digitales, rennt. In Küsnacht im Kreis herum, während ich noch im Bett liege. Die App «UP» zeigt es mir an: «Tim hat eine Aktivität abgeschlossen: 4.87 km.» Ausserdem die Uhrzeit, das Tempo, eine Landkarte mit der Route (auf der Leichtathletikbahn von überschaubarer Aussagekraft; interessanter, wenn er auf Geschäftsreise ist und ich anhand des kleinen Ausschnitts die Gegend rate), seine Anzahl Schritte sowie eine Hochrechnung der verbrannten Kalorien.

Wie ich auch trägt Tim am Handgelenk Tag und Nacht das mit einem Bewegungssensor ausgestattete elektronische Armband «Jawbone UP24», das die Daten mehrmals täglich an sein iPhone überträgt. Von dort aus werden sie auf einen Server der Firma Jawbone hochgeladen, das aus den Bewegungen tagsüber die Schrittzahl und nachts die Schlafqualität errechnet und zurückspielt – nicht nur auf Tims iPhone, sondern auch auf die Geräte seiner Freunde, die sich gegenseitig freigeschaltet haben. Für sportliche Aktivitäten gibt zusätzlich spezialisierte Apps wie «RunKeeper».

Letzten Sonntag ist Tim sogar 16 km gelaufen. Natürlich freut mich das für ihn, und ich «like» seine Leistung mit einem gelben Emoticon, das jubelnd die Arme hochreisst. Zugleich ärgere ich mich, wenn ich weniger aktiv war als er, und lege rasch eine Extrarunde im Fitnesscenter oder auf dem Velo ein.

In meiner überschaubaren Runde von derzeit 18 aktiven Personen (seine Kontakte fügt jeder bilateral hinzu, so dass niemand denselben Freundeskreis hat) sehen wir gegenseitig unser Bewegungs- und Schlafverhalten. 10’000 Schritte pro Tag sind die vom System vorgeschlagene und den meisten übernommene Parole; die vorgeschlagene acht Stunden Schlaf dagegen erreicht kaum jemand, so dass die meisten ihr Anspruchsniveau heruntergesetzt haben – und trotzdem oft scheitern. Bewegung scheint einfacher als Schlaf.

Die 10’000 einmal zu schaffen, ist nichts besonderes; sie um das Doppelte zu übertreffen, führt zu Beifall im Freundeskreis. Am wichtigsten sind Serien, im englischen Original «Streaks», also «Strähnen» genannt. Denn die App führt Buch über den Tag hinaus und bejubelt Freund Andreas für seine «10-Tage-Serie», an denen er ununterbrochen seine Schrittzahl erreicht hat. Von Zeit zu Zeit werden zudem eher abstrakte Jubiläen gefeiert: Freund Markus hat in einem Jahr bereits 5 Millionen Schritte gezählt.

Bei mir setzen diese Serien erstaunliche Energien frei: Mit jedem erfolgreichen Tag wächst mein Ehrgeiz, diese nicht abreissen zu lassen. Zur Verwunderung nicht eingeweihter Mitmenschen raffe ich mich abends um elf nochmal zu einem Spaziergang auf, um vor Mitternacht die 10’000er-Marke zu schaffen – die Vorstellung, nach einem schlechten Tag wieder von vorn anzufangenm schmerzt ebenso wie ein langgezogenes virtuelles «Ohhhhh» im Freundeskreis, wenn ich auf 4000 zurückfalle. Eines Nachts allerdings, ich hatte den halben Tag im Zug nach Lugano und zurück, die andere Hälfte dort sitzend verbracht, marschierte ich noch los auf dem stockdunklen Fischerweg unterhalb von Zürich-Höngg, und geblendet von meinem iPhone-Bildschirm, auf dem ich den Fortschritt kontrollierte, wäre ich fast die Böschung hinunter in die Limmat gestürzt. Wie überall verläuft ein feiner Grat zwischen gesundem Ehrgeiz und dem buchstäblichen Absturz ins Absurde.

Als ich per Mail meine UP-Freunde und «Freunde» befragte, die meisten in Zürich, einige über Deutschland verteilt, vermeldeten alle dasselbe: Ja, die Kombination von Armband, App und Freundeskreis bringt mich dazu, mich deutlich mehr zu bewegen als früher. Man ist sich einig, dass das Sichtbarmachen des sonst eher vagen Aktivitätsniveaus eine ernome Hilfe ist. «Die Ernüchterung ist gross, wenn man sieht, wie wenig man sich effektiv bewegt», schreibt Freund Thomas.

Die übergeordnete Bewegung nennt sich «Quantified Self», also die Vermessung des eigenen Körpers und seiner Aktivitäten. Ambitionierte Jünger erheben Daten aus allen Lebensbereichen. Die vom Produktivitätsguru David Allen unterstützte App «Lift» lässt einen jeden beliebigen Vorsatz durch tägliche «Check-ins» protokollieren; der weltweit populärste lautet derzeit: «Drink more Water»; auf Platz 11 folgt: «Save Money». Beiden lassen sich nur näher spezifiziert mit «Heute erledigt» beantworten; es braucht also weiterhin Disziplin, um sich nicht selbst zu überlisten.

Nach wie vor ist das Erfassen von Bewegung am naheliegendsten und am einfachsten zu automatisieren. Dass die entsprechenden Geräte inzwischen einige Popularität erlangt haben, lässt sich an der Schätzung von 17 Millionen im Jahr 2014 weltweit verkauften Aktivitätsmessern für das Handgelenk ablesen, wie auch hierzulande an der Tatsache, dass es die erwähnten UP24-Armbänder inzwischen sogar in der Elektronikkette der Migros zu kaufen gibt. Ich habe meiner Mutter, die jeglichen Technikkults unverdächtig ist, bei ihrem letzten Besuch im Mai ein Armband angeschnallt. Sie trägt es jeden Tag und verfolgt und kommentiert die Ergebnisse regelmässig.

Und trotzdem stehen wir Armbandträger immer noch in der Ecke der Nerds, wie man heute die Computerfreaks nennt. Während Smartphones schon lange nicht nur in der Mitte der Gesellschaft, sondern auch an ihren Rändern angekommen sind, wird Selbstvermessung jenseits der Waage nach wie vor skeptisch beäugt. Wieso sollte man so etwas machen, und vor allem, wieso sollte man es auch noch mit anderen teilen? Freund Stefan mailte: «Bestimmte Leute schieben mich damit in eine ‹Möchtegern-Gesundhalter›-Kategorie – das habe ich nicht verdient. Ich bin so gemütlich wie vorher!»

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9420 km westlich von Zürich, im kalifornischen Cupertino, schickte man sich am letzten Dienstag an, dies zu ändern. Dort lancierte Apple neben zwei grösseren iPhones die lange erwartete «Apple Watch», die nun doch nicht «iWatch» heisst, um Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden. Diese kann zwar nicht so viel, wie sich manche erhofft hatten (siehe Kasten), aber solcher Gospel begleitet seit der Vorstellung des ersten iPhones vor sieben Jahren jeden Produktlaunch von Apple: Die Fans vor Ort applaudieren, die Technikjournalisten maulen – und die Konsumenten kaufen, in der Regel in Scharen. Die neuen iPhones, lediglich etwas grösser, melden Rekordzahlen bei den Vorbestellungen.

Während die Aktualisierungen des iPhones wie im Takt eines Uhrwerks ablaufen (neue Zahl alle zwei Jahre, neuer Buchstabe im Zwischenjahr), hat sich Apple mit der Smartwatch Zeit gelassen, zu viel Zeit, meinen viele, denn nun sind die Konkurrenten wie Samsung, LG oder Motorola schon da. Doch den Durchbruch zur Massenanwendung hat noch niemand geschafft. Dieses Kunststück könnte einmal mehr Apple gelingen: eine Kategorie nicht selbst zu erfinden, aber neu zu definieren.

Heute teilt sich der Markt auf in Hardwarehersteller wie Jawbone, Fitbit oder Withings, die eigene Apps für die sozusagen «beiläufige» Bewegung mitliefern, sowie spezialisierte Softwareanbieter wie RunKeeper, Runtastic und unzählige weitere Tracker und Communities, oft mit Fokus auf bestimmte Sportarten. Die Spezialisierung ergibt Sinn, denn wer sich erinnern lassen will, zwischen zwei Sitzungen ein paar Schritte zu machen, hat andere Bedürfnisse als jemand, der sich heute für den Zürich-Marathon im nächsten April anmeldet.

Die neue Apple Watch ist ein frontaler Angriff sowohl auf die Hardware- als auch auf die Software-Anbieter, denn entsprechend der bisherigen Aufteilung hat auch Apple zwei Apps für das Zusammenspiel mit der Uhr entwickelt, «Activity» und «Workout». Dabei zielt die Activity-App auf die breite Masse der potenziellen Self Tracker und dürfte daher wichtiger für den Markterfolg sein.

Eingebaute Sensoren messen die Bewegung der Uhr insgesamt, den Puls des Trägers für die Intensität der Aktivität sowie via dem GPS im zwingend verbundenen iPhone die zurückgelegte Distanz. Die Activity-App gibt drei verschiedene tägliche Ziele vor, die es in Kreisen visualisiert, wobei ein voller Kreis das Erreichen des Tagesziels bedeutet:

– «Stand»: während 12 Stunden am Tag jeweils mindestens eine Minute aufstehen, um das Dauersitzen zu durchbrechen
– «Move»: Erreichen eines täglichen Kalorienverbrauchs durch normale Bewegung – eine differentiertere Weiterentwicklung unseres 10’000-Schritte-Clubs.
– «Exercise»: 30 Minuten pro Tag mit erhöhtem Puls, der auch mit einem zügigen Spaziergang erreicht werden kann. Bei «richtigem» Sport überschneiden sich hier die Funktionen der «Activity»-App mit der «Workout»-App.

Mit diesen drei aus der Ferne sinnvoll erscheinenden Messgrössen kommt die Apple Watch ambitionierter daher als die heutigen Schrittzähler. Schlaf dagegen kommt bisher nicht vor, was leidgeprüfte iPhone-Besitzer nicht verwundert, denn die im Vergleich zu einem Armband ohne Display um ein vielfaches stromhungrigere Uhr muss natürlich nachts geladen werden. Diverse Schlaftracker-Apps sitzen sicher schon in den Startlöchern.

Vieles an der neuen Apple Watch liegt noch im Ungewissen, als Launchdatum wurde nebulös «Anfang 2015» angegeben; viele Details dürften auch unbekannt geblieben sein, weil sie noch in Entwicklung sind. Ein wichtiger Erfolgsfaktor lässt sich derzeit noch nicht beurteilen, nämlich das Gefühl der «Nahtlosigkeit» bei der Verzahnung von Hardware und Software einerseits sowie Hauptgerät iPhone und Satellit Apple Watch andererseits. Es verwundert nicht, dass die in Cupertino gezeigten Videos vielversprechend aussehen. Doch ob das reicht, ist unklar. Vielleicht sind die bereits andernorts bestehenden Gemeinschaften schon zu robust, oder der Einstiegspreis von 349 Dollar schreckt ab.

Die diese Woche in der Presse meistdiskutierte Frage ist die ästhetische: Will der prestigebewusste Schweizer statt seines hochwertigen Chronographen, allenfalls in Verbindung mit dem diskreten Tracker, eine bunt blinkende Uhr am Handgelenk tragen? Nick Hayek und Jean-Claude Biver als Vertreter der Uhrenindustrie verwarfen den Gedanken öffentlich als völlig absurd.

Doch ein grosser Teil meines Freundeskreises, wie auch ich selbst, trägt gar keine IWC-Hublot-Omega, sondern seit Jahren überhaupt keine Uhr mehr. Ich finde es inzwischen eher unangenehm, wenn etwas an meinem Handgelenk herumbaumelt, das mich vor allem beim Tippen stört.

Doch wer es probiert, könnte schnell «angefixt» sein vom neben Laptop und Smartphone dritten Bildschirm, nicht zuletzt von den Selftracking-Funktionen. Darauf dürfte Apple spekulieren, denn von wem hätte man jemals gehört, der nach Nutzung eines Smartphones wieder zum alten Nur-Telefonie-Handy zurückgekehrt ist?

Ich habe mein Jawbone-Armband nun seit eineinhalb Jahren und in dieser Zeit 25 kg abgenommen. Wieviel das mit dem virtuellen Wettstreit mit Tim und den anderen Freunden zu tun hat, ist natürlich unklar; geschadet hat es sicher nicht.

Und da jedes neue technische Spielzeug immer auch einen frischen Motivationsschub bedeutet, steht für mich fest: Ich bin dabei. Auf die Gefahr hin, dass ich mir neue Freunde suchen muss.

(PS. Ich poste später noch etwas zum Thema Datenschutz.)

Der Unterschied zwischen IT und Informationsmanagement am Beispiel SBB

Bei der SBB wird demnächst wird der Leiter des Informatikbereichs Mitglied der Konzernleitung. Wichtig wäre zu wissen, wie der Mann seine Rolle interpretiert – als Serverchef oder als CIO?

Aus einem Artikel bei inside-it:

«CIOs sind bereits in vielen Grossunternehmen Mitglieder der Geschäftsleitung. Nun folgt auch die Schweizerische Bundesbahn diesem Trend und trägt der zunehmenden Bedeutung der Informatik Rechnung. Ab dem 1. Januar wird die jeweilige Leiterin oder der Leiter des Informatikbereichs – gegenwärtig wäre das Peter Kummer – Mitglied der Konzernleitung.»

(via @c36daily)

Abgesehen von der dümmlichen Überschrift «SBB adelt Informatik» – ausgerechnet bei einer IT-News-Site – ist das Problem, dass der «Leiter IT» in vielen Unternehmen etwas ganz anderes macht als ein «Chief Information Officer» machen sollte.

Der «Leiter IT» hiess früher «Leiter EDV», und viele sind auch schon so lange im Amt, dass sie jetzt schon den dritten Titel haben, aber immer noch das gleiche machen: Sie sorgen dafür, dass die Server stabil laufen, dass die Total Cost of Ownership im Rahmen bleibt (bzw. nach Möglichkeit laufend gesenkt wird) und dass die User nicht mehr über den schlechten Support meckern als überall anders auch. Ein CIO sollte das aber allenfalls nebenbei machen.

Das habe ich an der HSG im Studiengang «Informationsmanagement» bei Hubert Österle gelernt: «Informationsmanagement ist das Management der Ressource Information im Unternehmen». Damals habe ich gar nicht so recht gewusst, was das ist – heute schon.

Es gibt ganz offenbar Unternehmen, bei denen die Kern-IT passabel läuft, die Ressource Information aber eher stiefmütterlich gemanagt wird, und vor allem auch sehr wenig Awareness beim Management vorhanden ist, dass es hier grosse Potenziale gäbe. Der CIO muss auch oberster technologischer Trendscout sein und laufend neue Möglichkeiten von technischer Infrastruktur (zur Zeit in aller Munde: alles mit «Cloud»), Kollaboration (zur Zeit alles mit «Social») und ähnliches evaluieren und auch zügig einzuführen oder zumindest zu testen bereit sein. Das sind Ziele, die den oben genannten teilweise konträr entgegen stehen.

Insofern ist die Nachricht, dass die SBB den obersten Informatiker in die Geschäftsleitung hebt (wieso eigentlich erst per 1. Januar?), noch nicht wirklich aussagekräftig. Wichtig wäre zu wissen, wie die Person ihre Rolle interpretiert.

(Ich habe keine Ahnung, wie das bei der SBB läuft. In vielen Bereichen wie der Website, den Apps, den elektronischen Tickets etc. sind sie ja sehr innovativ, aber das läuft, wenn ich recht informiert bin, nicht bei der IT, sondern bei Patrick Comboeuf, und der ist beim Personenverkehr. Hoffen wir, dass dem nicht in Zukunft das neue Organigramm in die Quere kommt.)

Anruf aus Indien: «Dein Windows ist verseucht, wir helfen Dir!»

Eine Anruferin aus einem Call Center aus Indien beschwört mich, meinen Windows-Computer einzuschalten, um gemeinsam einen Virus zu entfernen.

Habe gerade einen Scam-Anruf aus Indien bekommen. Mit einer US-Telefonnummer (972-453-9824, Area Code gehört zu Dallas, aber ist sicher faked, man findet auch im Netz diverse «Beschwerden» über die Nummer) und heftigem indischen Akzent rief um 8 Uhr morgens eine Frau an und sagte: «I’m calling from Microsoft. We have received reports from your internet service provider of virus problems with your Windows computer. Can you tell me who owns the computer?» – Ich wollte die Geschichte hören, log also: «That would be me.» Sie so: «May I ask you to switch on your computer? You have serious problems, and I can put you through to somebody from technical service who can help clean your Windows.»

Ich hätte gern gehört, wie es weiter geht, und hab kurz überlegt, ob ich wirklich den Windows-Computer einschalte, der hier rumsteht (nicht meiner, ich hab noch irgendwo einen alten DELL-Laptop in der Ecke liegen, den ich aber seit 2007 nicht eingeschaltet habe), aber dann war mir doch schon die Vorstellung zu anstrengend, während des Bootens fünf Minuten, oder wie lange das heutzutage dauert, mit der Frau am Telefon – und Sohn2 im Hintergrund – zu verbringen, und ich sagte: «You know what, this whole story sounds pretty funny to me.» Die Frau wurde ärgerlich: «You think this is funny? What makes you think is is funny? This is very serious!» – «And besides, I have a Mac», sagte ich. «You have Macintosh?» – «Yes.» – Klick, aufgelegt.

Da soll noch jemand sagen, einen Mac zu haben hilft nichts.

Hab die Geschichte natürlich sofort gegoogelt (nach „windows scam india“) und diverses Englischsprachige gefunden, u.a. diverse Artikel und Blogposts beim Guardian, wie den hier: «Virus phone scam being run from call centres in India».

Dort steht auch, wie es weitergegangen wäre:

The puzzled owner is then directed to their computer, and asked to open a program called „Windows Event Viewer“. Its contents are, to the average user, worrying: they look like a long list of errors, some labelled „critical“. „Yes, that’s it,“ says the caller. „Now let me guide you through the steps to fixing it.“

The computer owner is directed to a website and told to download a program that hands over remote control of the computer, and the caller „installs“ various „fixes“ for the problem. And then it’s time to pay a fee: £185 for a „subscription“ to the „preventative service“.

Natürlich ist die Geschichte so absurd, dass es mir rätselhaft wäre, wie jemand darauf reinfallen könnte. Woher sollte Microsoft meine Nummer haben? Wieso sollte mein ISP Swisscom merken, dass ich einen Virus habe, und wenn doch, wieso sollte er mich bei Microsoft melden, statt mich direkt anzugehen? Und wieso sollten die aus Indien anrufen, mit einem Akzent, den man fast nicht versteht?

Andererseits glauben die Leute ja auch, dass ihnen jemand aus Nigeria 50 Millionen vererben will. Ja nun.

Deutschsprachige Artikel oder Blogposts habe ich gar nicht gefunden. Aber natürlich gehe ich davon aus, dass ich nicht der erste in der Schweiz bin, der angerufen wird, und dass die Geschichte in wenigen Tagen bis Wochen, je nach Intensität der Bewirtschaftung der hiesigen Adressen, morgens im «20 Minuten» steht. Barbara Josef, kannst schon mal ein Statement vorbereiten.

Update: Ach, es war schon bei 20 Minuten, hab’s bei meiner ersten Suchrunde wegen «Indien» nicht gefunden: Wenn Jenny anruft, droht Gefahr.

Krisenkommunikation: NZZ Online lahmt

NZZ Online hat grössere Probleme. Wir informieren behelfsmässig hier und bitten um Verständnis.

Update von 14.58 Uhr: Wir verschieben die Krisenkommunikation hierher: nzzonline.tumblr.com/

(Ich poste das hier in meinem privaten Blog, weil nzz.ch nicht immer aktualisiert werden kann und/oder nicht immer erreichbar ist. Ungewöhnliche Situationen erfordern ungewöhnliche Massnahmen.)

Gestern Mittag wurde ein neuer Software-Release auf NZZ Online eingespielt. Seit ca. 23 Uhr am Abend haben wir Probleme, die vermutlich damit zusammen hängen.

Hintergrund: NZZ Online besteht technisch aus zwei separaten Modulen: den «Backend-Servern» mit dem Redaktionssystem und den «Frontend-Servern», die die Website ausliefern. Dieser Setup stellt sicher, dass die Website auch erreichbar, wenn das Backend einmal abstürzt.

Seit heute morgen ist es durch Probleme im Backend unserer Online-Redaktion teilweise nicht möglich, die Website zu aktualisieren. Gleichzeitig bringen die Probleme im Backend zeitweise auf die Frontend-Server zum Absturz, so dass NZZ Online immer mal wieder gar nicht erreichbar ist. Die meiste Zeit ist aber die Website scheinbar in Ordnung, kann «nur» nicht aktualisiert werden (was natürlich sehr schlimm ist für eine Nachrichten-Site).

Nachdem alle anderen Massnahmen fehlgeschlagen sind, prüfen wir derzeit ein Wiederherstellen des Zustands vor der Installation gestern Mittag («Rollback»). Dadurch wird auch der inhaltliche Stand vorübergehend der von gestern Mittag sein, was wir allerdings schnellstmöglich wieder korrigieren werden.

Wir halten Sie hier dort: http://nzzonline.tumblr.com/ auf dem Laufenden. Danke für das Verständnis.

(Stand von 14.30 Uhr)

Mini-Website «Kleiner Hinweis» lanciert

Aus meinem Helfersyndrom heraus und weil mich die «(0)» in den Telefonnummern genervt hat, habe ich die Mini-Website «Kleiner Hinweis» lanciert.

Ich gebe es zu: Ich habe ein Helfersyndrom.

Ständig möchte ich Leuten Sachen erklären, die sie aus meiner Sicht besser machen könnten. Zum Beispiel «Wer brauchen nicht mit zu gebraucht…». Oder: «Schalt doch mal auf Deinem iPhone das Feature „Auf Netze hinweisen“ ab, es macht schon mich wahnsinnig, wenn ich mit ansehe, wie Du immer erst auf „Abbrechen“ klicken musst, wenn Du es in die Hand nimmst.» Sehr gern würde ich auch immer morgens mit einem grossen Schild «Rechts stehen, links gehen!» die Rolltreppe hochgehen. Und so weiter. Meine Ex-Firma Zeix ist aus dieser Idee heraus entstanden, die wir «User Education» genannt haben, nachdem ich das mal auf einer Visitenkarte einer Mitarbeiterin von eBay Deutschland gesehen hatte. Natürlich ist das ganze nicht selten auch egoistisch, weil nämlich ich gern links vorbeigehen würde, aber noch öfter ist es tatsächlich altruistisch.

Schon lange, konkret wohl, als wir bei Zeix e-fon eingeführt haben und ich meinen ersten VoIP-Client installiert habe, hat es mich gestresst, wenn die Leute ihre Telefonnummer so angeben, dass man sie nicht direkt anklicken kann — vor allem durch eine „(0)“ in der Mitte. Früher war das ein Nischenthema, von dem ich das Gefühl hatte, es betrifft nur mich (dann halte ich mich mit Missionieren) zurück, aber mit dem zunehmenden Erfolg der Smartphones ändert sich das. Es ist doch toll, wenn man ein nur mässig gepflegtes Adressbuch hat, schnell in seinen Mails jemanden suchen kann und anhand von dessen Signature mit einem Klick anrufen. Wenn er dagegen diese doofe Null in der Telefonnummer hat, muss man sie sich merken, zwischen den Apps wechseln und sie eintippen — auf der Autobahn eine nicht ungefährliche Sache.

Zugleich ist das ganze Thema natürlich nicht soo wichtig, dass ich nun deswegen lange 1:1-Mails schreiben würde, in denen ich das erkläre. Zwar bin ich Möchtegern-Weltverbesserer, aber ich will nicht als notorischer Missionar rüberkommen (die Phase habe ich hinter mir), und vor allem habe ich eigentlich sowieso gar keine Zeit für sowas.

Gut gefallen hat mir in diesem Kontext der schlanke Ansatz von five.sentenc.es, den ich schon unter ein paar Mails als Fusszeile verlinkt gesehen habe, u.a. bei Thomas Benkö und Martin Weigert. So mag ich’s: schlank, unaufdringlich, sharable.

Wollte das daher schon lange mal mit dem genanntem Beispiel «keine Null!» nachbauen. Und nachdem ich gestern Nacht von sohn2 geweckt wurde und wusste, dass ich eh nicht mehr schlafen kann, war der Moment gekommen. Habe um 5.10 Uhr die Domain kleinerhinweis.com registriert (hinweis.com hätte man kaufen können, bei buydomains.com für $38’488, hahaha!) und hatte mich zur «Timebox» selbst verpflichtet, dass die Website live gehen muss, bevor ich um 8 Uhr das Haus verlasse. Damit war für mich als Laien gesetzt, dass ich mir kein eigenes Layout ausdenken kann und es auch nicht mit einem CMS schaffe, sondern nur mit einer einzelnen HTML-Seite (hat ja fast etwas romantisches, mal wieder HMTL in einem Texteditor zu bearbeiten, im Admin-Interface von Cyon).

Jedenfalls, diese Website gibt jetzt, sie hat bisher nur eine Seite, und hier ist sie: kleinerhinweis.com/keine-null/

Weshalb ich diesen Post eigentlich schreibe: Anregungen für die nächsten kleinen Hinweise werden gern entgegen genommen. Gestern kam schon: «URLs nicht ins Subject pasten».