Frage: «Wann werden Elektroautos alltäglich sein?»

Autor der englischen Original-Antwort: Jeffrey Blaisdell («über 100.000 Meilen in verschiedenen Elektroautos gefahren»). Beantwortet am 21. März 2019.

Ende 2017 machten Elektrofahrzeuge kaum mehr als 1% der verkauften Neuwagen aus und wurden von den meisten Menschen als eine interessante, aber noch nicht in der Praxis bestätigte Idee angesehen, sondern vielmehr als das Spielzeug für Reiche oder Idealisten, als das man sie seit der Einführung des winzigen Tesla Roadsters im Jahr 2008 zum Preis von über 100’000 Dollar wahrgenommen hatte.

Ende 2018 machten Elektrofahrzeuge nur 2% der verkauften Neuwagen aus und wurden von den meisten Menschen als interessantes, aber immer noch weit entferntes Phänomen angesehen, noch nicht bereit für den breiten Einsatz.

Ende 2019 werden Elektrofahrzeuge auf Basis der aktuellen Wachstumsraten und Prognosen 3,6% der verkauften Neuwagen ausmachen (der Artikel ist von März, bevor das Tesla Model 3 in Europa ausgeliefert wurde; inzwischen könnte es etwas mehr werden, Anm. pho) und von den meisten weiterhin als zwar interessante, aber letztlich immer noch nicht überzeugende Idee angesehen.

Ende 2020, wenn der Trend anhält, wird ein Marktanteil von 6.5% einige Leute nachdenklich machen, indem Tesla rund eine Million Autos pro Jahr ausliefert, davon das Model 3 und das Model Y (etwas grössere und höhere Variante des kleinen Tesla Model 3, soll Ende 2020 eingeführt werden, Anm. pho) zu normalen Neuwagenpreisen. Den beliebten kleinen Crossovers (kompakte SUV-Modelle) werden durch überlegene Leistung und erhebliche Betriebskosteneinsparungen Marktanteile genommen; zudem werden bis dahin zahlreiche Nachahmer auf dem Markt sein.

Im Jahr 2021, einfach nur indem wir das Wachstum von 80% pro Jahr fortschreiben, das nun bereits seit einigen Jahren anhält, sind wir schon bei fast 12% der Neuwagen. Nun lässt es sich von niemandem mehr verleugnen.

2022? 21%.

2023? 38%.

Mitte 2024, in nur fünf Jahren, wird die Marke von 50% durchbrochen. Zu diesem Zeitpunkt wird erwartet, dass Elektroautos durch kontinuierliche Verbesserungen in der Batteriechemie und im Produktionsprozess in der Anschaffung gleich teuer sind wie Verbrenner, was ihren ohnehin schon überzeugenden Betriebskostenvorteil noch verstärken wird. Zu diesem Zeitpunkt wird niemand mehr eine Kaufentscheidung für einen Neuwagen treffen, ohne ein Elektroauto in Betracht zu ziehen. Das Argument der «Reichweitenangst» ist verschwunden, das Kostenargument ebenso, Haltbarkeit und Langlebigkeit sind durch 15 Jahre Verbraucherdaten belegt, die Ladeinfrastruktur ist schnell und allgegenwärtig. Nur wer über die gesamte Lebensdauer seines Fahrzeugs 20’000 Dollar mehr zahlen will, um «WRUMM» zu hören – um dann de facto länger zu brauchen, um tatsächlich zu beschleunigen – hat noch einen Grund, einen Verbrenner zu kaufen.

2025 zeigt sich das, was einige Jahre lang wie ein exponentielles Wachstum aussah, als eine logistische Kurve, wie es im echten Leben fast immer der Fall ist. Die Wachstumsrate sinkt mit zunehmender Sättigung des Marktes und stagniert irgendwo zwischen 80% und 90% der Neuwagen, denn einige Nischenmärkte erweisen sich als resistent gegen vollständige Umstellung auf Elektro – etwa Fahrzeuge mit langen Nutzungszyklen, insbesondere in Gebieten mit knappen Lademöglichkeiten. Andererseits ist der Kostenanreiz bei intensiver Nutzung am stärksten, so dass bessere Lösungen hohe Einsparungen ermöglichen würden. Deshalb geben Verkehrsunternehmen bereits heute (2019) eine halbe Million Dollar mehr für einen Elektrobus aus, der jährlich 50.000 Dollar oder mehr an Kraftstoff und Wartung einspart. Und daher werden wohl auch exotische Einsatzzwecke weitgehend auf Elektroantrieb umgestellt, sobald die Fahrzeuge selbst billiger werden als die Alternative.

2030 sind Verbrennungsmotoren aufgrund des gesunkenen Absatzvolumens und entsprechend höherer Stückkosten für viele Nischen, auch für Lkw und Transporter, vielfach nicht mehr verfügbar. Mit zunehmendem Alter der letzten Generation von Verbrennern übt die sinkende Nachfrage nach Benzin und Diesel einen zusätzlichen Kostendruck auf Produktion und Vertrieb aus, und Tankstellen werden immer seltener, da die Aufladung zuhause zur Hauptenergiequelle geworden ist.

Ab 2035-2040 gelten Autos mit Verbrennungsmotor weitgehend als Spielzeug für Reiche.

Abschliessender Kommentar von Jeffrey Blaisdell: Nur der Tagtraum eines einzelnen, aber die aktuellen Daten unterstützen die Thesen. Ich bestehe nicht darauf, dass man alle Zahlen allein anhand der bisherigen Daten hochrechnen kann, aber wenn man sich die auf den Markt kommenden Modelle und die Investitionen in Forschung und Entwicklung im Elektrobereich ansieht, kann es durchaus so passieren.

Elektro kommt langsam, aber gewaltig (oder: Amara’s Law, Ausgabe 2018)

Die Schweizer Verkaufszahlen für Elektro-Autos für 2018 finden manche enttäuschend. Abwarten. Amara’s Law wird zuschlagen.

Letztes Wochenende (ich habe diesen Post ein paar Tage liegen gelassen, weil ich noch auf detailliertere Statistiken hoffte, die aber bisher nicht kamen) machten die Auto-Zulassungszahlen von 2018 die Runde, und sie lassen sich in der Schweiz wie in Deutschland rasch zusammenfassen:

  • Elektroautos sind im Kommen, aber langsam. Der Zuwachs im Vergleich zum Vorjahr ist zwar hoch, aber die absoluten Zahlen sind immer noch gering.
  • In Deutschland: Zuwachs um 44% auf nunmehr ca. 1% der gesamten Neuzulassungen.
  • Für die Schweiz habe ich bisher nur die Zahl 7.2% für alle alternativen Antriebe, Elektro-, Gas- und Wasserstoff-Antriebe sowie diverse Hybrid-Varianten gesehen, die wenig aussagekräftig ist, aber die Zahl der reinen E-Autos folgt bestimmt noch.
  • Fest steht: Der grosse Durchbruch, den manche erhoffen / erwarten / befürchten ist doch nicht da; von norwegischen Verhältnissen (50% der Neuzulassungen elektrisch) sind beide Länder noch weit entfernt.

Diese Zahlen kann man natürlich unterschiedlich interpretieren, und schon die Überschriften der Medien liefern viel Meinung mit, wiederum sowohl in der Schweiz (Tagi: «4×4-Wagen boomen – Elektroautos nicht», oder ganz anders beim Blick: «4×4 und Öko topp, Diesel Flop»), wie auch in Deutschland, wo die meisten Medien auf den insgesamt rückläufigen Markt fokussieren, manche aber auch auf den E-Aspekt, wie die Wirtschaftswoche: «2019 wird das Jahr des Tesla – danach kommt die Wende» oder heise.de: «Elektroautos: 68.000 Neuzulassungen in Deutschland».

(Was ich in den Schweizer Artikeln nicht so ganz verstehe, ist der konstruierte Gegensatz 4×4 versus Elektro. Das eine hat mit dem anderen erstmal nichts zu tun. Mein Auto ist inzwischen auch beides. Und die Schweiz war doch immer schon ein Allradland, da ist es einfach noch ein klein wenig hochgegangen von 47,5 auf 49,1 Prozent – natürlich ist das ein Boom, aber einer, der schon recht lange läuft.)

Wenn man die Kommentare liest, die die Debatte um die Elektrifizierung der Automobilflotte seit Jahren begleiten («enttäuschendes Wachstum», «Ziele in weite Ferne gerückt» etc. etc.), ist es wichtig, dass man einmal mehr Amara’s Law hervorholt, das ich schon seit so vielen Jahren immer wieder predige, dass es mich manchmal selbst langweilt – aber es hilft nichts, man muss es immer wieder zitieren:

We tend to overestimate the effect of a technology in the short run and underestimate the effect in the long run.

Roy Amara, 1925-2007, Wikipedia.

In den rund 25 Jahren, seit ich Innovationen einigermassen bewusst miterlebe, habe ich diese Zyklen schon diverse Male gesehen: Durchsetzung des Internets (Unterthema: eCommerce), der Smartphones (Unterthema: mobiles Internet), des Musikkonsums (erst Download/iTunes, dann Streaming/Spotify) und so weiter und so fort. Immer ist man zuerst euphorisch, dann enttäuscht, und dann geht es richtig ab. (Den ganzen Verlauf bildet dann der Hype-Zyklus ab.)

Vor zwei Jahren habe ich am Aufhänger Smartwatches darüber meine Kolumne bei KressPro geschrieben, leider nicht mehr online, daher hier als PDF: «Ein Milliarden-Gesetz».

Einschub: Naturgemäss sind zu jedem Zeitpunkt verschiedene Technologien in ganz verschiedenen Phasen. Bei den Smartwatches sind wir noch unterwegs auf dem Sprung zum Massenmarkt. Meine eigene Hypothese zu Smartwatches (u.a. hier dokumentiert) ist, dass diese endgültig den Durchbruch schaffen, sobald sie – anders als die ersten vier Generationen der Apple Watch – kaum noch von klassischen, auch mechanischen Uhren zu unterscheiden sind. Wer will, kann sich seine Smartwatch so einstellen, dass sie aussieht wie ein Chronometer, aber natürlich einer mit Schrittzähler, Pulsmesser, Push-Funktion für dringende Nachrichten etc. Ausser für Hardcore-Liebhaber und -Sammler, die es natürlich immer geben wird, wird es dann für viele Leute einfach nicht mehr sinnvoll sein, sich eine Uhr kaufen, die diese Features eben nicht hat. Wer sich die aktuellen Modelle von Samsung oder Huawei anschaut, die Swisscom zu Weihnachten in der Schweiz überall plakatiert hatte, weiss, wohin die Reise geht, übrigens auch preislich. Die Apple Watch hat Amaras Gesetz inzwischen schon recht weit durchlaufen; natürlich begonnen dem Klassiker von vor vier Jahren: «Die Apple Watch enttäuscht die Alpha-Nerds».

Läuft der Prozess also immer gleich ab, auch heute bei den Elektroautos? Natürlich nicht. Der viel strapazierte Vergleich von Tesla mit dem iPhone (u.a. «Can Germany survive the ‘iPhone moment’ for cars?», bester Artikel zum Thema: «Tesla, software and disruption») ist zwar nicht ganz unberechtigt, aber man muss sich nur Anschaffungspreise, durchschnittliche Lebensdauer oder auch die definierenden Features eines Autos wie die Reichweite anschauen, um zu merken, dass Autos etwas ganz anderes sind als Telefone oder Uhren.

Eine Besonderheit am Thema Elektromobilität in der derzeitigen Phase ist, dass Tesla derzeit noch so eine grosse Rolle in der Nische der Elektroautos spielt, dass allein die Auslieferungen der bereits bestellten Model 3 in Europa die Statistiken hätten drastisch nach oben ziehen können. Hätte Tesla Mitte 2018 begonnen, auch nach Europa zu liefern statt nur in die USA (was sicher kaufmännisch weniger sinnvoll gewesen wäre als die gewählte Variante: West nach Ost), würden wir heute über ganz andere Zahlen reden, nicht nur für Tesla selbst, sondern für das ganze Segment. Für die gesamte Entwicklung spielt das keine Rolle, denn das Kalenderjahr ist natürlich eine willkürliche Festlegung, und nun schwappt die Welle halt im nächsten Frühling nach Europa und somit in die Statistiken 2019.

Ich bin daher recht sicher, dass der Wind bald drehen wird, einerseits in Form der medialen und öffentlichen Meinung, die ja immer eine gewisse Bremsspur hat – ich lese zum Beispiel immer noch jeden Tag irgendwo, wieviel Geld Tesla doch verliere, dabei hat das vor drei Monaten dramatisch gedreht. Ausserdem werden die Menschen zunehmend viele eAutos sowohl an der Ampel neben sich wie auch in ihrem Freundeskreis sehen, nicht nur von Tesla, sondern demnächst auch von anderen Herstellern. Elektro wird rasch seinen Nimbus als etwas für reiche Freaks verlieren (stimmte eh beides nicht), was wie bei jeder Innovation entlang der Diffusionskurve einen sich selbst verstärkenden Prozesses befeuert, der natürlich auch allen anderen Herstellern helfen wird, ihre neuen eMobile zu verkaufen.

Hier wird sich bei Autos eine Parallele den oben erwähnten Smartwatches, wie auch zu jedem anderen Amara-Verlauf, ergeben: In nicht allzu ferner Zukunft wird einfach der «Default» elektrisch sein, und nur wer ausgesprochener Fan von brummenden Motoren ist, kauft noch Verbrenner. Sascha Lobo hat das vor einem Jahr in seiner SpOn-Kolumne schön beschrieben am Beispiel Voice/Amazon Alexa:

Bei der Verbreitung von Technologie gibt es ein wiederkehrendes Muster, ich bezeichne es als „progress of no return“, Fortschritt ohne Wiederkehr: Durchschnittsnutzer spüren, dass sie nicht mehr hinter diesen Standard zurückfallen wollen. Vorherige Anwendungen erscheinen überholt.

Bequemlichkeit schlägt alles, sogar deutsche Bedenken

2019 wird vermutlich das letzte Jahr sein, in dem das Agieren und der Erfolg von Tesla allein die Zahlen des gesamten Segments entscheidend prägen; unabhängig davon, wie sich die Firma weiter entwickelt. Ich vermute, sie werden die Marktführerschaft in einigen Jahren abgeben, aber als Taktgeber noch lange relevant sein. Auch da passt der Vergleich zum Smartphone derzeit noch.

Deswegen finde ich es richtig, dass Auto Schweiz im eingangs erwähnten Tagi-Artikel an seinem Branchenziel «10/20» festhält: 10% der Neuzulassungen im Jahr 2020 sollen Elektroautos sein (oder Plug-in-Hybrid, wobei ich denke, dass diese sich nie in der Breite durchsetzen werden, weil es nicht sinnvoll ist, mit zwei Speichern rumzufahren).

Auch richtig ist die Aussage von GLP-Chef Jürg Grossen als Präsident des Verbands Swiss E-Mobility:

Die «zaghafte» Entwicklung erklärt sich Grossen mit den mangelnden Kenntnissen der Käuferschaft zu den Vorteilen von Elektroautos und mit dem Widerstand der «Verbrennerlobby, welche keine Gelegenheit auslässt, die Neuentwicklung schlechtzureden».

Das stimmt beides, aber die Taktik des Schlechtredens ist sehr endlich, darüber müssen wir gar nicht mehr gross lamentieren. Die Verbrennerlobby redet ja auch nur noch vorn schlecht, hinten werkelt sie hektisch an der Elektro-Pipeline. Die Menschen hören nur so lange auf die mediale Meinung, bis sie genügend Stimmen in ihrer Peer Group beisammen haben, und da wird die kritische Masse irgendwann erreicht sein.

Nochmal zurück zu Tesla. Die Verkaufszahlen für das letzte Quartal 2018 liegen vor, aber noch nicht die Quartalsergebnisse. Die Entwicklung der Absatzzahlen von 2012 bis heute nach Quartal sind eindrücklich:

Dazu der Satz aus dem Artikel, der gleichermassen gut für Vorträge über Innovation oder zum Apéro-Smalltalk taugt:

In the final weeks of 2018, Tesla sold its 500,000th car. That milestone took 10 years to achieve. The next half-million car deliveries will take about 15 months, if the company maintains its current pace (…).

Tesla’s Life After Hell: 7 Charts Show Musk on Firmer Footing

Der Bloomberg-Artikel enthält, wie der Titel schon sagt, sieben Grafiken, und man sollte ihn unbedingt bis zum Abschnitt über die Batteriekosten lesen, der aus meiner Sicht einmal mehr den Weitblick von Elon Musk zeigt, als er entschied, auch Batterien selbst zu bauen.

Vertiefen wir jetzt nicht. Dazu passt aber gut ein Zitat des neuen Board-Mitglieds Larry Ellison über Elon Musk, der offenbar für eine Milliarde Dollar Tesla-Aktien gekauft hat:

Ellison also discussed his frustration with critics of SpaceX, Musk’s private space travel company.

„You’re telling me he’s an idiot. I just want to know who you are. Why should I believe you, as opposed to my friend Elon? We’re out here watching this rocket land, which I think is really cool, and you’re there in front of your Apple Macintosh, and typing up an article saying Elon’s an idiot,“ Ellison said.

„This guy’s landing rockets. He’s landing rockets on robot drone rafts in the ocean,“ Ellison said, referring to SpaceX’s trademark drone ships. „And you’re saying he doesn’t know what he’s doing. Well, who else is landing rockets? You ever land a rocket on a robot drone? Who are you?“

Before Oracle billionaire Larry Ellison joined Tesla’s board, he gave an impassioned defense of his ‚very close friend‘ Elon Musk

Fun Fact: Ich musste etwas schmunzeln, wie Stefan Paravicini für die NZZ «robot drone rafts» übersetzt hat: «Dieser Typ landet mit Raketen auf Roboterflossen im Ozean, und ihr sagt, dass er nicht wisse, was er tut». Aber wir schweifen ab, sorry.

Fazit: Es passiert auch diesmal wieder. Zugegeben, was man nie so genau weiss, ist wann. Aber es würde mich nicht wundern, wenn es 2020 sogar mehr als 10% in der Schweiz werden, und auch die ominöse Million in Deutschland wird kommen, ob nun 2020 oder 21 oder 22.

Ich lege mich fest und wette, dass in zwei Jahren die Schlagzeilen lauten werden: «Elektrische Neuzulassungen übertreffen Erwartungen.» Roy Amara, dann 15 Jahre tot, lässt grüssen.

Staunen Sie, was passieren wird – meine Empfehlung für «Slack»

Staunen Sie, was passieren wird (Kolumne in KressPro)

„Internes Instant Messaging? Brauchen wir nicht!“ Das haben über E-Mail auch erst alle gesagt. Aber jetzt ist die Zeit reif für „Slack“ – und zwar nicht nur, weil Sie dann cool sind.

Der Star des Jahres im Silicon Valley heißt Slack, gegründet vom Kanadier Stewart Butterfield, der nach dem Fotosharing-Dienst Flickr zum zweiten Mal mit einem Nebenprojekt ganz groß rauskommt. Auf den ersten Blick ist Slack ein simples Chat-Tool für interne Kommunikation, wie es schon viele davor gab. Auf den zweiten Blick zeigt es seine enorme Wucht: Der E-Mail-Killer, von dem seit 20 Jahren alle reden, ist jetzt da. Ich übertreibe nicht: Seit dem vergangenen Herbst nutze ich intern in mehreren Organisationen Slack, und wir versenden seitdem keine internen E-Mails mehr. Null. Sieben Gründe für Slack und Co.:

1. Sie denken, Ihre Mitarbeiter nutzen brav nur E-Mail? Denkste!
Ihre Leute haben sich untereinander längst für Direktnachrichten vernetzt via: SMS, iMessage, WhatsApp, Facebook Messenger, Skype. Das ist erstens unproduktiv, weil jeder woanders kommuniziert, und zweitens ein Alptraum aus Compliance-Sicht. Stewart Butterfield erzählte neulich in einer Podiumsdiskussion in Austin, er habe eine große Kanzlei als Kunden gewonnen, indem er dem CEO sagte: „Wenn Ihr intern SMS als Kanal nutzt und mal einen Rechtsstreit habt, bei dem die Kommunikation eingesehen wird, schauen fremde Junior-Anwälte deine privaten Nachrichten an.“ Der Kunde habe sofort unterschrieben.

2. Slack ist Spam-frei
Slack ist nur für die interne Kommunikation, jeder Teilnehmer braucht ein Konto. Was zunächst wie ein Nachteil aussieht, ist ein Vorteil: Alle sind bekannt, niemand kann einen vollmüllen mit Sales- oder Spam-E-Mails.

3. Cut the crap!
E-Mails, die mit „Sehr geehrte Damen und Herren“ beginnen, dann in mehreren Sätzen die Lage schildern, bevor der Autor zu seiner kurzen Frage kommt, um mit „Beste Grüße und ein schönes Wochenende“ zu enden, sind ein Relikt aus der Brie ultur. Manche mögen es als Verrohung der Sitten verteufeln, aber die Essenz „Kann der Text so raus? (Link)“ sollte eigentlich intern reichen.

4. Flexible Gruppen
Slack-Gruppen können Themen oder Organisationseinheiten folgen. Gleichzeitig ist aber auch in Sekunden ein virtuelles Team zur kurzen und knackigen Diskussion einer Sachfrage formiert. Ist diese gelöst, wird die Konversation archiviert, kann aber jederzeit reaktiviert oder durchsucht werden. Slack unterstützt damit, wie Firmen in Zukunft funktionieren sollten: als Ansammlung von Ad-hoc-Teams.

5. Slack ist offen und wird immer intelligenter
Seit Jahrzehnten werden uns Management Information Systems versprochen, die Unternehmensdaten aggregiert und zugleich detailliert zur Verfügung stellen. Der monolithische Ansatz von SAP und Co. ist jedoch in den meisten Unternehmen gescheitert, man bekommt die Daten nur schlecht wieder aus dem System heraus. In Austin zitierte Butterfield eine Studie, wonach Firmen bis zu 20 Prozent der Arbeitszeit aufwenden, um intern vorhandene Informationen wieder aufzufinden. Die Internet-Apps der letzten Jahre setzen dagegen auf das Konzept „Small pieces loosely joined“: Spezialisierte Systeme können vor allem eine Sache gut – zum Beispiel Umfragen, Zeiterfassung, Spesenabrechnung – und sind über Programmierschnittstellen miteinander verbunden. Und Slack kann als universelle Abfrageschnittstelle an viele Systeme andocken. Laut Butterfield wird es die Frage „Wie hoch waren meine Spesen im Januar?“ bald beantworten können. Das klingt wie Zukunftsmusik, aber Slacks „App Store“ umfasst bereits Hunderte von Integrationen.

6. Es ist Slack – und nicht Skype for Business
Wer denkt, Skype mache ja eigentlich genau das Gleiche wie Slack, sollte noch mal überlegen. Einer ist übrigens Bill Gates, der sich o enbar in den vergangenen Jahren zu viel mit Malaria beschäftigt hat und zu wenig mit Convenience, denn er persönlich hat laut Techcrunch verhindert, dass Microsoft Slack für acht Milliarden kauft, weil er findet, man könne ja Skype ausbauen. Slack und Skype könnten nicht unterschiedlicher sein, nicht zuletzt aufgrund des enormen Drives, mit dem das Slack-Team bei der Sache ist und im Wochentakt neue Innovationen bringt. Der einzig ernst zu nehmende Slack-Konkurrent wäre für mich übrigens der Facebook Messenger, den Mark Zuckerberg sich ganz oben auf die Agenda geschrieben hat – allerdings bisher nicht für den Einsatz in Firmen.

7. Heute sind Sie noch vorn
Ich bin überzeugt: Instant Messaging als Enterprise-Anwendung kommt so oder so. Aber es ist einfach cooler, wenn man Early Adopter als Late Adopter ist.

MEIN TIPP: Geben Sie nicht Ihrer IT-Abteilung den Auftrag herauszufinden, ob es einen Bedarf gibt, denn deren Antwort kennen wir bereits. Suchen Sie sich ein kleines Team von 15 bis 50 Personen in Ihrer Firma, stellen Sie es denen einfach hin – und staunen Sie, was passieren wird!

Peter Hogenkamp ist CEO der Scope Content AG, die die Plattform «Scope» für handkuratierte Nachrichten zu Fachthemen mit derzeit 70 Channels betreibt.

Aus: KressPro 4/2016
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Convenience is King

Convenience is King (Kolumne in KressPro)

Wer meint, seine Inhalte seien so unverzichtbar, dass seine Kunden jegliche Mühsal auf sich nehmen, sollte sich anschauen, wie einfach es weltweite Marktführer ihren Kunden machen.

„CONTENT IS KING“, SAGT MAN GERN. Dabei wird übersehen, dass oft die Einfachheit, mit der dieser Content zugestellt wird, vielleicht sogar noch wichtiger ist. Natürlich: Wenn der neue Star-Wars-Film erstmalig zum Download verfügbar ist, und das nur bei iTunes, wird man sich als guter Vater dort einfinden und zähneknirschend die 20 Euro abdrücken. Hier ist Content zweifellos noch King, denn die Söhne akzeptieren nur das Original.

Die meisten Medienleute denken, ihre Inhalte seien absolut unverzichtbar, aber Experten sind sich da längst nicht sicher, ob das wirklich stimmt. Häufig sei der zu erledigende „Job“ ein überraschend anderer als nur der Content, fand etwa Harvard-Professor Clayton Christensen („The Innovator’s Dilemma“), als er vor einigen Jahren sein Jobs-to-be-done-Framework – also die Frage: Was ist die eigentliche Aufgabe eines Produkts? – auf Medien anwandte (http://goo.gl/NlV8Dn). Diverse Beispiele kennen wir in den Medien bereits seit Langem: Die Regionalzeitung wird nicht nur wegen der Artikel gelesen, sondern auch wegen der Schweinebauch- und Todesanzeigen. Und die womöglich wichtigste Funktion eines Pendlerblatts ist es, die Zeit auf dem Arbeitsweg zu vertreiben – „20 Minuten“ bei uns in der Schweiz bezieht sogar seinen Namen daher.

Zurück zu Videos wie Star Wars und einer der großen globalen Erfolgsgeschichten der vergangenen Jahre: Netflix, dem Video-Streaming-Dienst mit 80 Millionen zahlenden Nutzern. Wenn Journalisten über Video-Anbieter schreiben, denken sich alle dasselbe Testverfahren aus: Wie viele Filme und Serien sind wo verfügbar? Das Testergebnis lautet dann: Dienst A gewinnt gegen Dienst B mit 120.000 zu 100.000 Titeln.

Dieses Verfahren ignoriert nicht nur die Tatsache, dass eh niemand Zehntausende von Filmen anschauen kann, sondern vor allem, dass der „Job to be done“ für viele Zuschauer schlicht lautet: „Wenn ich abends meinen Fernseher einschalte, will ich werbefrei zwei Stunden gut unterhalten werden.“ Womöglich mit dem Zusatzwunsch: „Wenn ich unterwegs bin, will ich dieselbe Auswahl haben.“ Welche Serie jemand dann anschaut oder ob sie von 2016 oder 2014 ist, ist ihm vielleicht – Schock für die Content-Branche! – mehr oder weniger egal.

Sobald man sich vom Unser-Inhalt-ist-der-beste-Mantra löst, tritt sofort das Nutzererlebnis ins Zentrum. Wenn ich die PR-Aussagen großer Telekom-Anbieter wie Telekom, Unity Media oder Swisscom lese, die regelmäßig sagen: „Unsere Videothek ist genauso gut wie Netflix“, denke ich immer, dass vermutlich kaum ein Konsument Inventarlisten vergleicht wie die PS-Zahlen zweier Autos.

Wem ein Videobeispiel als Analogie für seine Branche zu wenig relevant ist, für den hätte ich noch zwei andere:

Spotify: Der Musik-Streaming-Dienst aus Schweden hat sich zu einer Art De-facto-Standard für Musik im Netz entwickelt. Die Tatsache, dass immer wieder Künstler mit großem Getöse ihre Titel aus dem Spotify-Inventar entfernen lassen, weil sie denken, sie könnten via Downloads (noch) mehr verdienen, tut seiner Popularität keinen Abbruch. Und auch als im Sommer 2015 Apple Music lanciert wurde, wurde das voreilig als Todesstoß für Spotify ausgerufen, der jedoch keineswegs eingetreten ist, sondern es wuchs im Jahr 2015 auf 30 Millionen User. Apple Music ist in Leistung und Preis absolut vergleichbar, doch ist so merkwürdig zu bedienen (das
bis heute seltsam anmutende iTunes lässt grüßen), dass Spotify weit enteilt bleibt.

Kindle: Der E-Reader von Amazon ist ein geschlossenes System, auf das man sich einlassen muss, denn man nimmt hin, dass Amazon das Sagen hat. Aber wer das tut, wird mit einer phänomenalen User Experience belohnt, und zwar über alle Plattformen hinweg. Ein Buch, das man auf dem Kindle zu lesen beginnt, kann man jederzeit auf praktisch jedem anderen Endgerät (Laptop, Smartphone, Tablet) an derselben Stelle weiterlesen. Amazon, dem auch der Hörbuchanbieter Audible gehört, experimentiert sogar damit, dass man ein Hörbuch an derselben Stelle, an der man im E-Book war, weiter hören kann. Die vom deutschen Buchhandel als Alternative forcierte Lösung Tolino ist ein offeneres System, kann aber mit diesen Features nicht ansatzweise mithalten.

Es soll hier nicht darum gehen, blindlings internationale Lösungen gegenüber lokalen in den Himmel zu heben. Und ja, Spotify hat noch keinen Gewinn gemacht, und Netflix stößt an die Grenzen seines Wachstums. Aber wenn jemand behauptet: Unsere Lösung ist gleichwertig, weil unser Content genauso reichhaltig ist, muss erlaubt sein zu sagen: Erstens müssen das die User auch zuerst finden, und zweitens ist der Content nur die halbe Miete.
Als deutschsprachiger Verlag kann man nicht 1 : 1 mithalten mit den Großen aus dem Silicon Valley. Aber man kann sich durchaus jeden Tag ein Beispiel an ihnen nehmen.

Peter Hogenkamp ist CEO der Scope Content AG, die die Plattform «Scope» für handkuratierte Nachrichten zu Fachthemen mit derzeit 70 Channels betreibt.

Aus: KressPro 3/2016
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Medienmitteilung: Umzugs-Serviceplattform movu.ch schliesst Finanzierungsrunde erfolgreich ab

Diese Mitteilung hat Laurent heute an diverse (Fach-)Medien verschickt.

Medienmitteilung
Zürich, 27. November 2014

Umzugs-Serviceplattform movu.ch schliesst Finanzierungsrunde erfolgreich ab

Sieben Monate nach dem Launch der Online-Plattform movu.ch, die Dienstleister für Umzug und Reinigung vermittelt, hat die Betreiberin Movu AG erfolgreich eine Finanzierungsrunde («Seed-Serie») abgeschlossen. Zu den neuen Investoren gehören u.a. Stefan Schärer, Dr. Peter Hogenkamp, Thomas Langenegger und Beat Schillig.

«Wir haben in den letzten Monaten bereits für über 1000 Kunden die besten Umzugs- und Reinigungsfirmen gefunden. Mit diesen Erfahrungen und dem neuen Kapital können wir das Produkt zügig weiter entwickeln und movu.ch als führendes Umzugsportal der Schweiz positionieren», sagt Laurent Decrue, CEO der Movu AG.

Von den Investoren nehmen Stefan Schärer, früherer CEO von Immoscout Schweiz, und Dr. Peter Hogenkamp, ehemaliger Leiter Digital der NZZ-Mediengruppe, Einsitz im Verwaltungsrat der Movu AG.

Dazu Nicolas Bürer, Verwaltungsratspräsident der Movu AG: «Wir sind sehr froh, mit Stefan einen ausgewiesenen Experten im Schweizer Immobilienmarkt und mit Peter einen langjährigen Kenner der digitalen Szene an Bord zu haben.»

Kontakt:
Movu AG – Erlebe modernes Umziehen!
LAURENT DECRUE
CEO & Co-Founder
Badenerstrasse 551, 8048 Zürich
Mobil +41 79 482 40 **
la****t@m***.ch | www.movu.ch

Über die Movu AG
Die Online-Plattform movu.ch (sprich: «move-you») hilft, den Umzug stress- und sorgenfrei organisieren zu können. Nachdem der Kunde online die Eckdaten seines geplanten Umzugs eingegeben hat, erhält er bis zu fünf kostenlose Offerten von Firmen aus seiner Umgebung. Im Online-Ratgeber sind zudem zu allen Fragen rund ums Thema Umzug Anleitungen, Checklisten und Tipps verfügbar, wobei Movu zudem viel Wert auf persönliche Beratung legt und mit jedem Kunden direkt Kontakt aufnimmt.

Steve Ballmer meets Hermann Hesse: Zum Abschied von Blogwerk

Meine Rede zum Abschied bei Blogwerk nach dem Verkauf an die WEKA-Firmengruppe.

Gestern Abend haben wir bekannt gegeben, dass die Aktionäre die Blogwerk AG an die WEKA-Firmengruppe verkauft haben. Gleichzeitig war die Blogwerk-Büroeinweihung, bei der ich eine Rede gehalten habe. Sie war recht lang, was ich vorher wusste, aber es war nun mal die letzte Gelegenheit, alles zu sagen, was ich sagen wollte. Als Abtretender kann man sich das leisten, weil alle, die sich langweilen, denken: «Ist ja wenigstens das letzte Mal.» Ich habe aber von den Anwesenden viel positives Feedback erhalten, was mich sehr gefreut hat. Hier mein Manuskript:

***

Zu Beginn eine Bitte: Bitte Smartphones wegstecken und kurz nicht twittern. Ich rede nur 45 Minuten, das haltet Ihr mal aus.

Ihr kennt sicher alle das Video von Steve Ballmer, das schon lange vor YouTube per E-Mail zirkulierte (das «virale» File hatte jemand dancemonkeyboy.avi genannt, weshalb das Video noch heute oft so bezeichnet wird), bei dem er auf die Bühne springt minutenlang rumtanzt und jauchzt, bevor er völlig ermattet ins Mikrofon schreit: I got four words for you: I love this company. Dafür hat er viel Spott geerntet, aber ich kann ihn gut verstehen, vor allem heute.

Dieses neue Büro, das wir heute einweihen, ist für Blogwerk ein Meilenstein, bei dem man automatisch zurückdenkt an andere Meilensteine.

Natürlich an ehemalige Büros: Das Büro in St. Gallen in der leeren Hauptpost, mit ihren leeren Räumen und leeren Gängen, in der man auch gut einen Horrorfilm hätte drehen können.

Das Büro bei Zeix, hier um die Ecke, wo wir uns sehr wohl gefühlt haben, auch wenn wir regelmässig daran erinnert wurden, dass wir beim WC-Papier gesponsert wurden. Olivia und ich haben uns vorgenommen, den Ausgleich beim WC-Papier irgendwann noch herzustellen. Aus dem Büro waren wir dann aber Anfang 2010 rausgewachsen, weil wir dringend aus diesem Gefühl der Untermiete raus mussten. Trotzdem nochmal herzlichen Dank an Zeix für die Starthilfe damals.

Um dann gleich wieder zur Untermiete woanders einzuziehen: in das Büro an der Stauffacherstrasse, für das ich mich immer etwas geschämt habe, weil es so klein war, und ich dachte, ich bin schuld, dass Ihr dort sitzt wie die Hühner auf der Stange, aber zu meiner Ehrenrettung muss ich sagen, ich wollte ja das grosse Büro daneben mieten, aber Jens von Mediafocus hat mich nicht gelassen.

Und nun dieses Büro hier: Bei dem jeder sieht: Jetzt ist Blogwerk eine richtige Firma, nicht mehr nur ein vergrössertes Wohnzimmer mit Sitzungstisch in der Mitte, Blogwerk ist jetzt auch hier professionell geworden, wie in anderen Bereichen ja schon längst.

Es gibt natürlich auch viele weitere Meilensteine, die nichts mit Büros zu tun haben, ich kann nur wenige aufzählen.

Zum Beispiel ein ganzseitiger Artikel in der SonntagsZeitung, nur ein paar Wochen nach der Gründung, von dem wir völlig geplättet waren, der sich dann aber leider ein totaler Verriss aus ideologischen Gründen unter dem Titel «Mit Blogs auf grosse Kasse hoffen» rausstellte, weil man dort dachte, wir wollten Journalisten ausbeuten – und das dürfen bekanntlich nur richtige Verlage, keine hergelaufenen Start-ups.

Der erste Firmenauftrag für die Erstellung von wiederkehrendem Content, dem Modell, das heute den Löwenanteil des Umsatzes ausmacht: C36daily für die Exhibit AG, Giancarlo Palmisani ist heute auch da.

Der erste Firmenauftrag für ein Corporate Blog: ebookers.ch.

Der erste Auftrag mit einem sechsstelligen Volumen, immer ein wichtiger Meilenstein für jede Firma: energiedialog.ch für Axpo.

Eine Spendenaktion, als wir medienlese.com einstellen wollten, bei der quasi über Nacht über 2000 Euro gesammelt wurden – was leider nicht geholfen hat.

Der grösste Meilenstein von allen liegt allerdings unmittelbar vor bzw. hinter uns: Wir haben vor einigen Tagen sämtliche Blogwerk-Aktien an die WEKA-Firmengruppe aus Deutschland verkauft.

Ich bin überzeugt, dass das eine gute Sache wird. Vor einem Jahr dachte ich noch, WEKA sei etwas verstaubt, aber da hatte ich mich geirrt. WEKA ist eine Firma, die inzwischen zwei Drittel ihres Umsatzes mit zugekauften Geschäften macht, was zeigt, dass sie das wollen und können, und WEKA ist die Umsetzung ihrer Digitalstrategie ganz offenbar ernst. Ausserdem habe ich die Herren, die ich kennenlernen durfte, vor allem Werner Pehland und Eberhard Opl, im persönlichen Kontakt als sehr angenehm schätzen gelernt, so dass ich überzeugt bin, dass sie für Kunden und Mitarbeiter von Blogwerk die richtige Wahl sind, um die Kontinuität zu gewährleisten, und zugleich den Drive zu entwickeln, Blogwerk ein noch schnelleres Wachstum zu erlauben, als wir das in den letzten Jahren allein geschafft haben.

Herr Pehland ist auch hier und wird im Anschluss einige Worte sagen.

Denkt jetzt bloss nicht, ich sei fertig. Jetzt, wo klar ist, dass das meine allerletzte Ansprache als irgendwas bei Blogwerk ist, müsst Ihr mir die restlichen 40 Minuten noch geben.

Das besondere an diesem Abschied ist nun, dass er zwar mit zwei Jahren Vorlauf kommt, in denen ich schon nicht mehr operativ tätig bin, aber dafür nun sehr abrupt ist: Ich bin nicht mehr VR-Präsident, ja, mit der Unterschrift unter dem Kaufvertrag habe ich quasi jede Bindung abgebrochen. Das schmerzt etwas, aber es ist auch richtig so.

Was werde ich vermissen? Natürlich sehr viel!

Am meisten wohl den Skype-Gruppenchat. 40% drehen sich nur um die Tatsache, wohin man Mittagessen geht, die für mich völlig irrelevant ist, ausser, dass ich immer schon um halb zwölf Hunger kriege, wenn die hier anfangen, übers Essen zu reden, weitere 40% sind unverständliche Insiderwitze – aber 20% sind spannende Facts und Figures, in denen ich schon viel Nützliches erfahren habe, mit dem ich gelegentlich an der Falkenstrasse als Immer-noch-Internet-Insider auftrumpfen konnte. Vor allem ist der Skype-Chat das Manifest einer Firmenkultur, die immer noch sehr cool, startup-mässig – und auch gnadenlos im Urteil ist. Mit einem anerkennenden Wort oder gelegentlich auch mal einem kleinen Ausdruck des Tadels positioniert das Blogwerk-Team sich im Online-Wertesystem. Etwa so: «Hier, geiler Scheiss: (link)» oder «Fremdschämen: (link).»

Nicht zuletzt habe ich natürlich Angst, wenn ich morgen aus dem Gruppenchat fliege, dass ich dann auch bei Fremdschämen vorkomme.

Ich liebe diesen Start-up-Groove auch nach sechs Jahren. Man kann abends spontan hinkommen, alle sitzen um den Tisch herum, es ist saugemütlich, man trinkt Bier und knobelt, wer Pizza holen muss, und ich fühle mich sofort zehn Jahre jünger.

Gern redet man ja bei solchen Anlässen über die schlechten Zeiten: Damals, nach dem Krieg, wir hatten ja nichts. Das will ich heute weitgehend vermeiden. Obwohl es stimmt, wir hatten wirklich nichts, damals, 2008. Mein Treuhänder, der damals meine Steuererklärung gemacht hat, hat wahrscheinlich gedacht: Dafür, dass der Hogenkamp an der HSG studiert hat, muss danach irgendwas ganz, ganz schief gelaufen sein.

Pit Sennhauser, damals noch im Silicon Valley, hat mal zu mir gesagt: Ich hab schon viel über diese Achterbahn der Gefühle in einem Start-up gehört, bei der jeden Tag zwischen Euphorie und Verzweiflung schwankt, aber man muss dabei sein, um wirklich zu wissen, wie es ist. Das ist einfach so.

Natürlich muss ich in dieser Abschiedsrede, die meine letzte Chance dafür ist, noch einigen Blogwerk-Alumni danken, willkürlich ausgewählt und nicht mal in chronologischer Reihenfolge:

Ronnie Grob
– der zwar nicht aussieht wie ein Schweizer Uhrwerk, aber so schreibt, wie man an seinem «6 vor 9» sieht, das wir beide uns damals in der erwähnten St. Galler Post ausgedacht haben, und das seit nunmehr sechs Jahren an jedem Werktag erscheint, seit August 2009 beim BildBLOG.

Damian Amherd
– der selbst ernannte Vorsitzende der Blogwerk-Alumni-Stiftung, der einer der furchtlosesten Praktikanten war, den ich je erlebt habe, der für mich die grössten Vorträge auf Zuruf übernommen hat – und den ich morgen wieder einstellen würde, egal für welchen Job.

Moritz Adler
Ich finde, man sollte Punkte vergeben dafür, wer gute Deutsche nach Zürich geholt hat – eine Art Natalie-Rickli-Gedächtnis-Badge. Und bei Moritz gehört der mir, und ich hab ihn sogar über Twitter geholt. Er war damals intensiv bei dem ersten grossen Auftrag dabei war und macht jetzt tolle Sachen bei local.ch – vor allem seine App-Download-Zahlen hätte ich sehr gern.

Florian Steglich
– über den werde ich hier nichts Nettes sagen, weil er zu spät kommt (das Tram hatte einen Unfall, nachträglich entschuldigt).

Philip Hetjens
– der uns erst ganz kürzlich verlassen hat und den ich heute Abend noch ganz dringend fragen muss, ob es bei Namics nun wirklich besser ist als hier, was ich mir natürlich partout nicht vorstellen kann. Ich hab Dir schon neulich gesagt, Philip, dass ich Dir nie vergessen werde, wie Du in Japan für uns von Gastfamilie zu Gastfamilie gereist bist und überall energiedialog.ch IE6-kompatibel gemacht hast. Wer IE6 kennt, weiss, was das bedeutet.

Nur ganz kurz erwähne ich hier drei, die auch Aktionäre waren und daher auf dem Weg schon ausführlich verdankt wurden, wie Andreas Göldi, dessen tolle Blogbeiträge ich immer noch vermisse, Pit Sennhauser, von dem die Laien unter uns, zu denen ich natürlich auch gehöre, viel über Journalismus gelernt haben, und Lea Barmettler, die jahrelang die Stellung als Mutter der Kompanie gehalten hat, bis sie leider der Online-Welt verloren ging und in die Physiotherapiebranche abrutschte.

Brigitte Federi, Karin Friedli und Mathias Vettiger
– denen ich die Gemeinheit angetan habe, sie einzustellen und direkt danach zu verschwinden, wofür ich bis heute ein etwas schlechtes Gewissen habe, auch wenn ich ja jeden Tag sehe, wie toll Ihr es hier habt ohne mich. Heute ist der letzte Tag, an dem Ihr mir verzeihen könnt! Bitte tut es!

Und natürlich danke ich dem ganzen Team, wozu ich heute morgen schon in einer kleinen Pre-Show um 9.00 Uhr Gelegenheit hatte.

Am Ende sind es aber von den vielen Namen aus sechseinhalb Jahren vor allem drei, denen ich heute nochmal insbesondere danken möchte:

Andreas Von Gunten
Du bist ein leuchtendes Vorbild für mich für das sonst eher albern klingende Wort «Empowerment»: die Mitarbeiter befähigen, grosse Dinge zu machen – im Gegensatz zu mir, der ich vorher gelegentlich gedacht hatte, am besten ist es, wenn ich alles allein mache. Dieses Vorbild hat mir auch bei der NZZ geholfen, wo man sowieso praktisch nichts mehr selbst macht.

Olivia Menzi und Thomas Mauch
Das gilt zwar für alle, aber trotzdem für Euch beide am meisten: Ohne Euch beide würden wir heute nicht hier stehen.

Wie Ihr das hier durchzieht, Respekt. Ich bin ja jemand, der gern auch mal Sachen nicht ganz sofort macht, sondern denkt, übermorgen langt wahrscheinlich auch noch. Insofern bin ich immer wieder schlicht platt, wenn ich Euer vorausschauendes Arbeiten und Euren Organisationsgrad und sehen. An der Stelle noch eine Frage: Wenn ich mal umziehe, kann ich mich dann vielleicht bei Euch melden? (Olivia schüttelte kurz, aber entschieden den Kopf.)

Ich war immer jemand, der alle paar Jahre was Neues gemacht hat, ich habe einen Drei- bis Vier-Jahre-Rhythmus, der sich durch mein Leben zieht.

«Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne», habe ich zu dem Thema immer gern zitiert – ehrlich gesagt, ich wusste nicht mal genau, von wem das ist. Das habe ich für heute mal nachgeschaut.

Wer weiss es? Vettiger? (Mathias Vettiger tippt erst Rilke, dann korrekt: Hesse.)

Ich habe seit der Schulzeit kein Gedicht öffentlich rezitiert, möchte das aber heute gern machen. Ist von 1941, aber immer noch gut:

Hermann Hesse: Stufen
Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.

Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf‘ um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.

Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden…
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!

Wem das zu lang war: I got four words for you: I love this company!

Vielen Dank für alles! Ich wünsche Euch von Herzen alles Gute, und lasst uns Freunde bleiben, online und offline.

(Peter Hogenkamp hat den Skype-Chat verlassen: Donnerstag, 27. September 2012, 10.50 Uhr.)

Der Unterschied zwischen IT und Informationsmanagement am Beispiel SBB

Bei der SBB wird demnächst wird der Leiter des Informatikbereichs Mitglied der Konzernleitung. Wichtig wäre zu wissen, wie der Mann seine Rolle interpretiert – als Serverchef oder als CIO?

Aus einem Artikel bei inside-it:

«CIOs sind bereits in vielen Grossunternehmen Mitglieder der Geschäftsleitung. Nun folgt auch die Schweizerische Bundesbahn diesem Trend und trägt der zunehmenden Bedeutung der Informatik Rechnung. Ab dem 1. Januar wird die jeweilige Leiterin oder der Leiter des Informatikbereichs – gegenwärtig wäre das Peter Kummer – Mitglied der Konzernleitung.»

(via @c36daily)

Abgesehen von der dümmlichen Überschrift «SBB adelt Informatik» – ausgerechnet bei einer IT-News-Site – ist das Problem, dass der «Leiter IT» in vielen Unternehmen etwas ganz anderes macht als ein «Chief Information Officer» machen sollte.

Der «Leiter IT» hiess früher «Leiter EDV», und viele sind auch schon so lange im Amt, dass sie jetzt schon den dritten Titel haben, aber immer noch das gleiche machen: Sie sorgen dafür, dass die Server stabil laufen, dass die Total Cost of Ownership im Rahmen bleibt (bzw. nach Möglichkeit laufend gesenkt wird) und dass die User nicht mehr über den schlechten Support meckern als überall anders auch. Ein CIO sollte das aber allenfalls nebenbei machen.

Das habe ich an der HSG im Studiengang «Informationsmanagement» bei Hubert Österle gelernt: «Informationsmanagement ist das Management der Ressource Information im Unternehmen». Damals habe ich gar nicht so recht gewusst, was das ist – heute schon.

Es gibt ganz offenbar Unternehmen, bei denen die Kern-IT passabel läuft, die Ressource Information aber eher stiefmütterlich gemanagt wird, und vor allem auch sehr wenig Awareness beim Management vorhanden ist, dass es hier grosse Potenziale gäbe. Der CIO muss auch oberster technologischer Trendscout sein und laufend neue Möglichkeiten von technischer Infrastruktur (zur Zeit in aller Munde: alles mit «Cloud»), Kollaboration (zur Zeit alles mit «Social») und ähnliches evaluieren und auch zügig einzuführen oder zumindest zu testen bereit sein. Das sind Ziele, die den oben genannten teilweise konträr entgegen stehen.

Insofern ist die Nachricht, dass die SBB den obersten Informatiker in die Geschäftsleitung hebt (wieso eigentlich erst per 1. Januar?), noch nicht wirklich aussagekräftig. Wichtig wäre zu wissen, wie die Person ihre Rolle interpretiert.

(Ich habe keine Ahnung, wie das bei der SBB läuft. In vielen Bereichen wie der Website, den Apps, den elektronischen Tickets etc. sind sie ja sehr innovativ, aber das läuft, wenn ich recht informiert bin, nicht bei der IT, sondern bei Patrick Comboeuf, und der ist beim Personenverkehr. Hoffen wir, dass dem nicht in Zukunft das neue Organigramm in die Quere kommt.)

Anruf aus Indien: «Dein Windows ist verseucht, wir helfen Dir!»

Eine Anruferin aus einem Call Center aus Indien beschwört mich, meinen Windows-Computer einzuschalten, um gemeinsam einen Virus zu entfernen.

Habe gerade einen Scam-Anruf aus Indien bekommen. Mit einer US-Telefonnummer (972-453-9824, Area Code gehört zu Dallas, aber ist sicher faked, man findet auch im Netz diverse «Beschwerden» über die Nummer) und heftigem indischen Akzent rief um 8 Uhr morgens eine Frau an und sagte: «I’m calling from Microsoft. We have received reports from your internet service provider of virus problems with your Windows computer. Can you tell me who owns the computer?» – Ich wollte die Geschichte hören, log also: «That would be me.» Sie so: «May I ask you to switch on your computer? You have serious problems, and I can put you through to somebody from technical service who can help clean your Windows.»

Ich hätte gern gehört, wie es weiter geht, und hab kurz überlegt, ob ich wirklich den Windows-Computer einschalte, der hier rumsteht (nicht meiner, ich hab noch irgendwo einen alten DELL-Laptop in der Ecke liegen, den ich aber seit 2007 nicht eingeschaltet habe), aber dann war mir doch schon die Vorstellung zu anstrengend, während des Bootens fünf Minuten, oder wie lange das heutzutage dauert, mit der Frau am Telefon – und Sohn2 im Hintergrund – zu verbringen, und ich sagte: «You know what, this whole story sounds pretty funny to me.» Die Frau wurde ärgerlich: «You think this is funny? What makes you think is is funny? This is very serious!» – «And besides, I have a Mac», sagte ich. «You have Macintosh?» – «Yes.» – Klick, aufgelegt.

Da soll noch jemand sagen, einen Mac zu haben hilft nichts.

Hab die Geschichte natürlich sofort gegoogelt (nach „windows scam india“) und diverses Englischsprachige gefunden, u.a. diverse Artikel und Blogposts beim Guardian, wie den hier: «Virus phone scam being run from call centres in India».

Dort steht auch, wie es weitergegangen wäre:

The puzzled owner is then directed to their computer, and asked to open a program called „Windows Event Viewer“. Its contents are, to the average user, worrying: they look like a long list of errors, some labelled „critical“. „Yes, that’s it,“ says the caller. „Now let me guide you through the steps to fixing it.“

The computer owner is directed to a website and told to download a program that hands over remote control of the computer, and the caller „installs“ various „fixes“ for the problem. And then it’s time to pay a fee: £185 for a „subscription“ to the „preventative service“.

Natürlich ist die Geschichte so absurd, dass es mir rätselhaft wäre, wie jemand darauf reinfallen könnte. Woher sollte Microsoft meine Nummer haben? Wieso sollte mein ISP Swisscom merken, dass ich einen Virus habe, und wenn doch, wieso sollte er mich bei Microsoft melden, statt mich direkt anzugehen? Und wieso sollten die aus Indien anrufen, mit einem Akzent, den man fast nicht versteht?

Andererseits glauben die Leute ja auch, dass ihnen jemand aus Nigeria 50 Millionen vererben will. Ja nun.

Deutschsprachige Artikel oder Blogposts habe ich gar nicht gefunden. Aber natürlich gehe ich davon aus, dass ich nicht der erste in der Schweiz bin, der angerufen wird, und dass die Geschichte in wenigen Tagen bis Wochen, je nach Intensität der Bewirtschaftung der hiesigen Adressen, morgens im «20 Minuten» steht. Barbara Josef, kannst schon mal ein Statement vorbereiten.

Update: Ach, es war schon bei 20 Minuten, hab’s bei meiner ersten Suchrunde wegen «Indien» nicht gefunden: Wenn Jenny anruft, droht Gefahr.

Just my four cents für den Kapitalismus

Kein einzelner Marktteilnehmer strebt direkt danach, das Volkseinkommen zu maximieren; jeder will nur seinen Güterbedarf decken. Und doch führt der Marktmechanismus durch seine unsichtbare Hand zum volkswirtschaftlichen Optimum.

Hier die Dienste von vier «Kapitalisten», die mir spontan einfallen, weil ich ihre Dienste in der vergangenen Woche genutzt habe.

  1. Der Blumenverkäufer, der morgens Blumen beim Grossmarkt eingekauft hat und sie an der Strasse zwischen Küsnacht und Zollikon aus dem Kofferraum weiterverkauft. Mit Gewinn, vermute ich. Wobei ich mir spontan Sorgen gemacht hatte, dass er die Riesenmenge, die er um 16 Uhr noch hatte, auch los wird, bevor sie vergammeln — aber das muss eben nicht meine Sorge sein.
  2. Ein iPhone-Schwarzmarkthändler, der am Freitag stundenlang angestanden hat, um mir gestern das nagelneue iPhone 4S weiterzuverkaufen — mit einem nicht unerheblichen Aufschlag, der meine Mutter ziemlich empört hat. Zugegeben, sein Risiko, das Gerät gar nicht loszuwerden, ist überschaubar, aber wie hoch der Aufschlag sein würde, wusste er beim Anstehen noch nicht, er hat in der Hoffnung auf Gewinn erstmal Arbeitszeit investiert.
  3. Der Mann, der am Freitag zwei IKEA-Möbel für mich zusammengeschraubt hat, weil ich das hasse und auch echt schlecht kann.
  4. Leute, die sonntags, wenn alle anderen frei haben, in einem Restaurant arbeiten.
  5. Wer heute an einer der diversen «Occupy»-Veranstaltungen teilnimmt: Einerseits kann ich Euch gut verstehen. Eine Art von Staatsversagen liegt sicher vor bei dem, was Banken und internationale Politik uns derzeit vorführen, und deswegen sollte man irgendwas ändern, einverstanden. Von mir aus halt Transaktionssteuer.

    Aber wenn jemand «Kapitalismus überwinden» skandiert, möchte ich kurz zu bedenken geben, dass vermutlich fast alle, die das hier jetzt lesen, inmitten der Annehmlichkeiten der Marktwirtschaft aufgewachsen sind, und dass sich vermutlich niemand von uns vorstellen kann (inklusive mir), wie es wirklich wäre, in einem anderen Wirtschaftssystem zu leben.

    Wir schlagen mal ganz kurz bei Adam Smith nach:

    Kein einzelner Marktteilnehmer strebt direkt danach, das Volkseinkommen zu maximieren; jeder will nur seinen Güterbedarf decken. Und doch führt der Marktmechanismus durch seine unsichtbare Hand zum volkswirtschaftlichen Optimum.

    Ich bin kein Experte für Utopien, und mein makroökonomisches Wissen hat eher die Tiefe einer Pfütze. Wenn also jetzt einer kommt, der über den Dritten Weg promoviert hat, suche ich sofort das Weite. Aber trotzdem: Ich für meinen Teil finde es gut, wie der Kapitalismus einen wunderbaren Markt schafft, der Grundbedürfnisse wie obskure Bedürfnisse gleichermassen adressiert, was uns teilweise gar nicht mehr klar ist. Das würde ich wohl oprimieren wollen, nicht aber abschaffen.