Letztes Wochenende (ich habe diesen Post ein paar Tage liegen gelassen, weil ich noch auf detailliertere Statistiken hoffte, die aber bisher nicht kamen) machten die Auto-Zulassungszahlen von 2018 die Runde, und sie lassen sich in der Schweiz wie in Deutschland rasch zusammenfassen:
- Elektroautos sind im Kommen, aber langsam. Der Zuwachs im Vergleich zum Vorjahr ist zwar hoch, aber die absoluten Zahlen sind immer noch gering.
- In Deutschland: Zuwachs um 44% auf nunmehr ca. 1% der gesamten Neuzulassungen.
- Für die Schweiz habe ich bisher nur die Zahl 7.2% für alle alternativen Antriebe, Elektro-, Gas- und Wasserstoff-Antriebe sowie diverse Hybrid-Varianten gesehen, die wenig aussagekräftig ist, aber die Zahl der reinen E-Autos folgt bestimmt noch.
- Fest steht: Der grosse Durchbruch, den manche erhoffen / erwarten / befürchten ist doch nicht da; von norwegischen Verhältnissen (50% der Neuzulassungen elektrisch) sind beide Länder noch weit entfernt.
Diese Zahlen kann man natürlich unterschiedlich interpretieren, und schon die Überschriften der Medien liefern viel Meinung mit, wiederum sowohl in der Schweiz (Tagi: «4×4-Wagen boomen – Elektroautos nicht», oder ganz anders beim Blick: «4×4 und Öko topp, Diesel Flop»), wie auch in Deutschland, wo die meisten Medien auf den insgesamt rückläufigen Markt fokussieren, manche aber auch auf den E-Aspekt, wie die Wirtschaftswoche: «2019 wird das Jahr des Tesla – danach kommt die Wende» oder heise.de: «Elektroautos: 68.000 Neuzulassungen in Deutschland».
(Was ich in den Schweizer Artikeln nicht so ganz verstehe, ist der konstruierte Gegensatz 4×4 versus Elektro. Das eine hat mit dem anderen erstmal nichts zu tun. Mein Auto ist inzwischen auch beides. Und die Schweiz war doch immer schon ein Allradland, da ist es einfach noch ein klein wenig hochgegangen von 47,5 auf 49,1 Prozent – natürlich ist das ein Boom, aber einer, der schon recht lange läuft.)
Wenn man die Kommentare liest, die die Debatte um die Elektrifizierung der Automobilflotte seit Jahren begleiten («enttäuschendes Wachstum», «Ziele in weite Ferne gerückt» etc. etc.), ist es wichtig, dass man einmal mehr Amara’s Law hervorholt, das ich schon seit so vielen Jahren immer wieder predige, dass es mich manchmal selbst langweilt – aber es hilft nichts, man muss es immer wieder zitieren:
We tend to overestimate the effect of a technology in the short run and underestimate the effect in the long run.
Roy Amara, 1925-2007, Wikipedia.
In den rund 25 Jahren, seit ich Innovationen einigermassen bewusst miterlebe, habe ich diese Zyklen schon diverse Male gesehen: Durchsetzung des Internets (Unterthema: eCommerce), der Smartphones (Unterthema: mobiles Internet), des Musikkonsums (erst Download/iTunes, dann Streaming/Spotify) und so weiter und so fort. Immer ist man zuerst euphorisch, dann enttäuscht, und dann geht es richtig ab. (Den ganzen Verlauf bildet dann der Hype-Zyklus ab.)
Vor zwei Jahren habe ich am Aufhänger Smartwatches darüber meine Kolumne bei KressPro geschrieben, leider nicht mehr online, daher hier als PDF: «Ein Milliarden-Gesetz».
Einschub: Naturgemäss sind zu jedem Zeitpunkt verschiedene Technologien in ganz verschiedenen Phasen. Bei den Smartwatches sind wir noch unterwegs auf dem Sprung zum Massenmarkt. Meine eigene Hypothese zu Smartwatches (u.a. hier dokumentiert) ist, dass diese endgültig den Durchbruch schaffen, sobald sie – anders als die ersten vier Generationen der Apple Watch – kaum noch von klassischen, auch mechanischen Uhren zu unterscheiden sind. Wer will, kann sich seine Smartwatch so einstellen, dass sie aussieht wie ein Chronometer, aber natürlich einer mit Schrittzähler, Pulsmesser, Push-Funktion für dringende Nachrichten etc. Ausser für Hardcore-Liebhaber und -Sammler, die es natürlich immer geben wird, wird es dann für viele Leute einfach nicht mehr sinnvoll sein, sich eine Uhr kaufen, die diese Features eben nicht hat. Wer sich die aktuellen Modelle von Samsung oder Huawei anschaut, die Swisscom zu Weihnachten in der Schweiz überall plakatiert hatte, weiss, wohin die Reise geht, übrigens auch preislich. Die Apple Watch hat Amaras Gesetz inzwischen schon recht weit durchlaufen; natürlich begonnen dem Klassiker von vor vier Jahren: «Die Apple Watch enttäuscht die Alpha-Nerds».
Läuft der Prozess also immer gleich ab, auch heute bei den Elektroautos? Natürlich nicht. Der viel strapazierte Vergleich von Tesla mit dem iPhone (u.a. «Can Germany survive the ‘iPhone moment’ for cars?», bester Artikel zum Thema: «Tesla, software and disruption») ist zwar nicht ganz unberechtigt, aber man muss sich nur Anschaffungspreise, durchschnittliche Lebensdauer oder auch die definierenden Features eines Autos wie die Reichweite anschauen, um zu merken, dass Autos etwas ganz anderes sind als Telefone oder Uhren.
Eine Besonderheit am Thema Elektromobilität in der derzeitigen Phase ist, dass Tesla derzeit noch so eine grosse Rolle in der Nische der Elektroautos spielt, dass allein die Auslieferungen der bereits bestellten Model 3 in Europa die Statistiken hätten drastisch nach oben ziehen können. Hätte Tesla Mitte 2018 begonnen, auch nach Europa zu liefern statt nur in die USA (was sicher kaufmännisch weniger sinnvoll gewesen wäre als die gewählte Variante: West nach Ost), würden wir heute über ganz andere Zahlen reden, nicht nur für Tesla selbst, sondern für das ganze Segment. Für die gesamte Entwicklung spielt das keine Rolle, denn das Kalenderjahr ist natürlich eine willkürliche Festlegung, und nun schwappt die Welle halt im nächsten Frühling nach Europa und somit in die Statistiken 2019.
Ich bin daher recht sicher, dass der Wind bald drehen wird, einerseits in Form der medialen und öffentlichen Meinung, die ja immer eine gewisse Bremsspur hat – ich lese zum Beispiel immer noch jeden Tag irgendwo, wieviel Geld Tesla doch verliere, dabei hat das vor drei Monaten dramatisch gedreht. Ausserdem werden die Menschen zunehmend viele eAutos sowohl an der Ampel neben sich wie auch in ihrem Freundeskreis sehen, nicht nur von Tesla, sondern demnächst auch von anderen Herstellern. Elektro wird rasch seinen Nimbus als etwas für reiche Freaks verlieren (stimmte eh beides nicht), was wie bei jeder Innovation entlang der Diffusionskurve einen sich selbst verstärkenden Prozesses befeuert, der natürlich auch allen anderen Herstellern helfen wird, ihre neuen eMobile zu verkaufen.
Hier wird sich bei Autos eine Parallele den oben erwähnten Smartwatches, wie auch zu jedem anderen Amara-Verlauf, ergeben: In nicht allzu ferner Zukunft wird einfach der «Default» elektrisch sein, und nur wer ausgesprochener Fan von brummenden Motoren ist, kauft noch Verbrenner. Sascha Lobo hat das vor einem Jahr in seiner SpOn-Kolumne schön beschrieben am Beispiel Voice/Amazon Alexa:
Bei der Verbreitung von Technologie gibt es ein wiederkehrendes Muster, ich bezeichne es als „progress of no return“, Fortschritt ohne Wiederkehr: Durchschnittsnutzer spüren, dass sie nicht mehr hinter diesen Standard zurückfallen wollen. Vorherige Anwendungen erscheinen überholt.
Bequemlichkeit schlägt alles, sogar deutsche Bedenken
2019 wird vermutlich das letzte Jahr sein, in dem das Agieren und der Erfolg von Tesla allein die Zahlen des gesamten Segments entscheidend prägen; unabhängig davon, wie sich die Firma weiter entwickelt. Ich vermute, sie werden die Marktführerschaft in einigen Jahren abgeben, aber als Taktgeber noch lange relevant sein. Auch da passt der Vergleich zum Smartphone derzeit noch.
Deswegen finde ich es richtig, dass Auto Schweiz im eingangs erwähnten Tagi-Artikel an seinem Branchenziel «10/20» festhält: 10% der Neuzulassungen im Jahr 2020 sollen Elektroautos sein (oder Plug-in-Hybrid, wobei ich denke, dass diese sich nie in der Breite durchsetzen werden, weil es nicht sinnvoll ist, mit zwei Speichern rumzufahren).
Auch richtig ist die Aussage von GLP-Chef Jürg Grossen als Präsident des Verbands Swiss E-Mobility:
Die «zaghafte» Entwicklung erklärt sich Grossen mit den mangelnden Kenntnissen der Käuferschaft zu den Vorteilen von Elektroautos und mit dem Widerstand der «Verbrennerlobby, welche keine Gelegenheit auslässt, die Neuentwicklung schlechtzureden».
Das stimmt beides, aber die Taktik des Schlechtredens ist sehr endlich, darüber müssen wir gar nicht mehr gross lamentieren. Die Verbrennerlobby redet ja auch nur noch vorn schlecht, hinten werkelt sie hektisch an der Elektro-Pipeline. Die Menschen hören nur so lange auf die mediale Meinung, bis sie genügend Stimmen in ihrer Peer Group beisammen haben, und da wird die kritische Masse irgendwann erreicht sein.
Nochmal zurück zu Tesla. Die Verkaufszahlen für das letzte Quartal 2018 liegen vor, aber noch nicht die Quartalsergebnisse. Die Entwicklung der Absatzzahlen von 2012 bis heute nach Quartal sind eindrücklich:
Dazu der Satz aus dem Artikel, der gleichermassen gut für Vorträge über Innovation oder zum Apéro-Smalltalk taugt:
In the final weeks of 2018, Tesla sold its 500,000th car. That milestone took 10 years to achieve. The next half-million car deliveries will take about 15 months, if the company maintains its current pace (…).
Tesla’s Life After Hell: 7 Charts Show Musk on Firmer Footing
Der Bloomberg-Artikel enthält, wie der Titel schon sagt, sieben Grafiken, und man sollte ihn unbedingt bis zum Abschnitt über die Batteriekosten lesen, der aus meiner Sicht einmal mehr den Weitblick von Elon Musk zeigt, als er entschied, auch Batterien selbst zu bauen.
Vertiefen wir jetzt nicht. Dazu passt aber gut ein Zitat des neuen Board-Mitglieds Larry Ellison über Elon Musk, der offenbar für eine Milliarde Dollar Tesla-Aktien gekauft hat:
Ellison also discussed his frustration with critics of SpaceX, Musk’s private space travel company.
„You’re telling me he’s an idiot. I just want to know who you are. Why should I believe you, as opposed to my friend Elon? We’re out here watching this rocket land, which I think is really cool, and you’re there in front of your Apple Macintosh, and typing up an article saying Elon’s an idiot,“ Ellison said.
„This guy’s landing rockets. He’s landing rockets on robot drone rafts in the ocean,“ Ellison said, referring to SpaceX’s trademark drone ships. „And you’re saying he doesn’t know what he’s doing. Well, who else is landing rockets? You ever land a rocket on a robot drone? Who are you?“
Before Oracle billionaire Larry Ellison joined Tesla’s board, he gave an impassioned defense of his ‚very close friend‘ Elon Musk
Fun Fact: Ich musste etwas schmunzeln, wie Stefan Paravicini für die NZZ «robot drone rafts» übersetzt hat: «Dieser Typ landet mit Raketen auf Roboterflossen im Ozean, und ihr sagt, dass er nicht wisse, was er tut». Aber wir schweifen ab, sorry.
Fazit: Es passiert auch diesmal wieder. Zugegeben, was man nie so genau weiss, ist wann. Aber es würde mich nicht wundern, wenn es 2020 sogar mehr als 10% in der Schweiz werden, und auch die ominöse Million in Deutschland wird kommen, ob nun 2020 oder 21 oder 22.
Ich lege mich fest und wette, dass in zwei Jahren die Schlagzeilen lauten werden: «Elektrische Neuzulassungen übertreffen Erwartungen.» Roy Amara, dann 15 Jahre tot, lässt grüssen.