Die S-Kurve in meinem Zitat im Paywall-Artikel im «Journalist»

Der «journalist» schreibt einen langen Paywall-Artikel. turi2 schreibt das falsche Zitat raus. Ich schreibe immer dasselbe.

(Update vom 10. Mai: Der erwähnte Artikel von Svenja Siegert ist jetzt auch online verfügbar, unter dem Titel: «PAYWALLS – ODER: DIE MÄR VOM DIGITALEN DEICH.»)

Das vom Deutschen Journalisten-Verband in Bonn herausgegebene Medienmagazin «journalist» hat in der diese Woche erschienenen aktuellen Ausgabe unter dem schwer verständlichen Titel «Wenn das Wasser kommt» einen langen Artikel zum Stand der Dinge bezüglich Paywalls von Verlagen veröffentlicht.

Die Redakteurin Svenja Siegert war hervorragend vorbereitet auf unser Gespräch am 3. April und hat eine 18’000 Zeichen lange Fleissarbeit abgeliefert, in der die Paywall-Bemühungen von Titeln wie den «Esslinger Nachrichten» oder dem «Darmstädter Echo» nicht fehlen. Sie hat auch nicht nur alle Zitate autorisieren lassen, sondern meine Präzisierungen sogar übernommen. (Das klingt selbstverständlich, aber ich habe es oft genug anders erlebt; viele Journalisten versuchen, den «Spin», den sie einer Aussage gegeben haben, nicht verloren gehen zu lassen, auch wenn man es anders gemeint hat.)

Hatte mich gestern bei der Lektüre kurz gefragt, wieso sie extra nach Zürich fliegt, um mit mir zu reden, mich dann aber nicht nach einem Foto fragt, sondern von sich aus einen relativ schrecklichen Schnappschuss von mir auf dem Podium bei den Münchner Medientagen im letzten Herbst nimmt, während die anderen vier mit Foto zitierten Leute mit ihren ganz normalen PR-Stockphotos abgebildet sind. Es ist mir dann noch eingefallen. Das Foto geht vermutlich zusammen mit der Tatsache, dass sie mehrfach auf mein Gewicht anspielt (einmal sogar ganz originell: «Peter Hogenkamp ist eigentlich viel zu groß für den acht Quadratmeter kleinen Besprechungsraum im Verlagssitz der Neuen Zürcher Zeitung»), dass sie anmerkt, ich spreche «schnell und laut» (das ist eigentlich ein typisch Schweizer Einwurf…) und dass ich «mit einem schwarzen Edding auf das Flipchart quietsche». Ich glaube, das hat etwas mit Positionierung zu tun, mit dem Ansatz: «Ich zeige keinen unnötigen Respekt vor einem „Manager“». Als Quereinsteiger, der nach wie vor leicht fremdelt mit der erst zwei Jahre alten Rolle «Verlagsestablishment», sind mir solche Spielchen immer noch etwas fremd. Andererseits: Wenn Markus Wiegand in der aktuellen Ausgabe des «Schweizer Journalist» Blick-Chefredaktor Ralph Grosse-Bley mit drei simplen Fragen aus dem Schweizer Einbürgerungstest (z.B. mit der Fangfrage «Wie viele Ständeräte hat der Kanton Aargau?») auf die Palme bringt, finde ich’s auch lustig. Also: geschenkt. Der Artikel ist wie gesagt gut.

Und da beginnt das Problem, denn ich finde es inzwischen sehr unbefriedigend, wenn ich solche für mich, meine Mitarbeiter, meine «Peers» und meine «Community» relevanten Inhalte, in die ich zudem selbst etwa zwei Stunden investiert habe, nur als Print-Artikel verfügbar habe. Ich will diesen Artikel «sharen», und zwar am liebsten mit einem Tweet, der mich 30 Sekunden Zeitaufwand kostet (statt mit einem Blogpost am frühen Samstagmorgen, der zwei Stunden braucht).

Natürlich, auf der Website des «journalist» kann man das E-Paper kaufen, aber hallo!, es kostet nicht nur 12 Euro, was eine Menge ist, wenn man sich nicht für die Titelstory «Diagnose: Workaholic» (mit einer in eine Zeitung eingewickelten Weinflasche als Visualisierung, die schiefen Metaphern scheinen ein Identitätsmerkmal des Titels zu sein) interessiert, sondern nur für den einen Paywall-Artikel, sondern man muss auch eine Registrationsmaske mit 20 (!) Feldern ausfüllen. Wer für einen E-Commerce-Vortrag ein Beispiel für einen sicheren Conversion-Killer sucht: Bingo.

Während ich über die Verlagsstrategie des deutschen «journalist» nichts weiss, habe ich mit Chefredaktor Markus Wiegand und Herausgeber Johann Oberauer mal über eine mögliche Online-Strategie des oben erwähnten «Schweizer Journalist» gesprochen. Als zahlender Abonnent bin ich jeden Monat aufs neue frustriert, dass die Newsletter-Ankündigungen mit der Inhaltsangabe eine Woche früher kommen, als das Heft in der Post ist. Zudem kamen wir darauf, weil Wiegand extrem zurückhaltend ist, PDF-Versionen von Artikeln herauszugeben, denn er schätzt, dass jedes PDF durch Weiterleitung «sofort 300 mal kopiert wird, quer durch die Verlagshäuser». Nun, das mag sein, aber mit dem Xerox WorkCentre (Modell typähnlich), das direkt vor meiner Bürotür steht, ist es auch nur eine Sache von zwei Minuten, aus dem gedruckten Artikel ein PDF zu erstellen. Zugegeben, niederschwellig ist anders, aber bei uns intern auf Yammer kursieren diverse Scans von Fachartikeln, die nicht online verfügbar sind (denn niemand scannt freiwillig, wenn er auch einen Link posten kann), da kamen die 300 «Kopien» auch schnell zusammen.

Ich könnte auch nicht aus dem Stegreif sagen, was die Lösung für die Branchenmagazine ist. It’s complicated, wie immer. Das «Metered Paywall»-Modell, das wir bei der NZZ verfolgen wollen, ist ein Consumer-Modell, das nach heutigem Stand der Erkenntnis nur ab einer gewissen Reichweite funktioniert. Es entbehrt dennoch nicht einer gewissen Ironie, dass die Medienmagazine, die sehr abgeklärt und gern mit dem Unterton «Haben die es immer noch nicht kapiert!?» über die Paid-Content-Anstrengungen der Verlage schreiben, ganz offensichtlich noch keine eigene Zukunftsvision entwickelt haben.

Zurück zum «Sharing». Der Link, sagt man nicht umsonst, ist der entscheidende Hebel der ganzen Internetökonomie. Wo er fehlt, herrscht Frustration. Wenn turi2 ein Zitat wie gestern meins mit der Quellenangabe «Journalist 5/2012, S. 53» erwähnt, dann muss man sich schon sehr, sehr für das Thema interessieren, damit man wirklich stante pede anfängt zu googlen und dann das E-Paper trotz der oben beschriebenen Hürden kauft.

Ich kann mich entsinnen, wie Ronnie Grob und ich im Jahr 2006 die tägliche Linksammlung «6 vor 9» konzipiert haben (mehrere Jahre bei «medienlese.com», seitdem beim Bildblog»), dass wir diskutiert haben, ob wir auch Zitate aus Medien nehmen, die nicht online (EDIT: offline war natürlich Unsinn, danke für den Hinweis, Marc) verfügbar sind, die man also nicht anklicken kann. Ich war dafür, im Sinne einer täglichen Presseschau, die auch spannende Presse-Artikel für Nicht-Abonnenten herausgreift. Ronnie war dagegen und argumentierte: «Wenn man nicht direkt klicken kann, nützt es einem nichts.» Ronnie hatte recht. Ich habe in fünf Jahren turi2-Lektüre noch nie ein Offline-Produkt gekauft, weil ich es im Newsletter zitiert sah. (Eine Ausnahme mag der «Spiegel» sein, den ich womöglich mal daraufhin heruntergeladen habe, aber den lese ich eh mehr oder weniger regelmässig, und der Download via iPad ist sehr einfach.) Daher ist aus meiner Sicht ein Zitat, das nicht mit einem Link einhergeht, praktisch nichts wert. Und ich nehme an, dass die turis das auch bei der Zusammenstellung berücksichtigen. Ein Zitat muss deutlich schmissiger sein, um es auch ohne Link in die Sammlung zu schaffen.

Apropos Zitat: Ich finde durchaus, dass der Artikel es verdient, «verlinkt» zu werden, ich finde aber nicht, dass mein Zitat, das sie für das nachmittägliche «heute2» herausgezogen haben, das interessanteste ist. Der Abschnitt «Zitate» ist ja Heimat der Zuspitzungen, und es langweilt mich langsam enorm, dass immer die ollen Auflagenprognosen, die die uralte Debatte «Wie lange wird es noch Zeitungen geben?» befeuern, dafür rausgezerrt werden.

Zudem ist es mit der turi-Zusammenfassung «NZZ-Online-Chef Peter Hogenkamp sieht einen rapiden Auflagenfall kommen» völlig unzulässig vereinfacht. Hier der Originaltext von Svenja Siegert:

Peter Hogenkamp ist ein Mann der Kurven. Mit einem schwarzen Edding quietscht er zwei davon auf das Flipchart im Besprechungsraum. Die erste Kurve: die Innovationsentwicklung des Tablets. Eine S-Kurve. Die zweite Kurve: die Auflagenentwicklung von Tageszeitungen. Das Spiegelbild einer S-Kurve. „Die Zeitungsauflage mag die letzten zehn Jahre eher sanft gesunken sein. Aber in dem Moment, wo es bei den Tablets wirklich steil nach oben geht, könnte es bei der Zeitungsauflage ebenso steil bergab gehen. Viele rechnen den Schwund nur linear weiter. Das könnte ins Auge gehen.“

«Könnte ins Auge gehen» ist nun mal etwas deutlich anderes als «sieht einen rapiden Auflagenfall kommen». Aber die Wahrheit ist nach wie vor ganz simpel: Wir wissen es alle nicht. Ich auch nicht. Also müssen wir in Szenarien denken.

Für in jedem Fall gefährlich halte ich die zahlreichen Prognosen, die das Ende der gedruckten Zeitung für 2018, 2034 oder 2043 vorhersagen, denn das impliziert: «Beruhigt Euch, Leute, der Medienwandel wird nicht so heiss gegessen, wie er gekocht wird.» Diesen Aspekt finde ich insbesondere fahrlässig, weil aus Verlagssicht nicht relevant ist, wann die letzte Zeitung gedruckt wird, sondern wie lange das heutige Geschäftsmodell der Tageszeitungen (grosse Redaktion, breites Themenspektrum, Zeitungsdruck, Frühzustellung, Abo-Modell etc.) noch Gewinne einfährt. Wer denkt, man könnte in jedem Fall noch bis 203x mit dem Modell weiterfahren, handelt fahrlässig, und deswegen ist diese immer wieder aufbrandende Diskussion mit ihren Argumenten («Haptik!», siehe viertletzter Absatz) strategisch weitgehend irrelevant.

Wer mehr Zeit investieren will als nur für Einzeiler-Zitate, dem empfehle ich zur «S-Kurve» immer noch den netzwertig-Artikel von Andreas Göldi: Innovationspsychologie: Warum der Umgang mit Disruptionen so schwierig ist. Am Ende des ersten Abschnitts schreibt er:

Noch ein weiterer Faktor erschwert die Einschätzung solche Entwicklungen: Oft überlagern sich mehrere zeitversetzt ablaufende Wellen. Während beispielsweise in den meisten Industrieländern die Gesamtzahl der Web-User nur noch langsam ansteigt, wächst die Nutzung von Social Media weiterhin stark, und das mobile Internet hat seinen “Tipping Point” erst gerade überschritten.

Wohlgemerkt, das war 2009. Seitdem ist das iPad als Game Changer hinzugekommen, Smartphones sind inzwischen bei einem Marktanteil von rund 50% angekommen. Einige der sich überlagernden Wellen in der Medienbranche sind die stationäre Internet-Nutzung (NZZ Online), die mobile News-Nutzung auf dem Smartphone (Apps plus mobile-optimiertes Browser-Layout), die Lektüre des E-Papers (Replica) auf dem iPad, der Übergang von der Nutzung weniger Newsquellen (Tagesschau und eine Tageszeitung) zu diversen Quellen, der durch die «Kuratierung» via Social Media beschleunigt wird.

Das alles geht einher mit einer starken Individualisierung. Wenn man die Mediennutzung eines Individuums messen und seine Position auf allen Kurven exakt lokalisieren könnte, würde sich vermutlich herausstellen, dass kaum zwei Personen überall dasselbe Nutzungsverhalten aufweisen. Ich zum Beispiel bin ein News-Junkie im stationären Web wie auch auf dem iPhone, surfe dort lieber im Browser als in News-Apps, nutze RSS-Feeds fast gar nicht (obwohl ich aufgrund meiner Blogger-Biografie eigentlich müsste), lese auf dem iPad erstaunlich selten etc. Und natürlich bewegen wir uns auch noch alle ständig auf den Kurven nach oben; in diesen bewegten Zeiten kann jedes neue Device, jede neue App, jedes neue Feature (mit dem neuen Samsung Galaxy S3 kann man beim Videogucken gleichzeitig ein Browserfenster öffnen und googlen, erzählte mir Digitalredaktor Henning Steier gestern – werde ich vermutlich oft machen!) unser Nutzungsverhalten graduell beeinflussen. Insofern ist auch meine korrekt wiedergegebene Aussage «in dem Moment, wo es bei den Tablets wirklich steil nach oben geht» eine Vereinfachung der Realität; eigentlich geht eine um unsere aggregierte Position auf den Adaptionskurven diverser neuer Technologien.

Wer in Andreas‘ Artikel nur den ersten Abschnitt gelesen hat, sollte unbedingt noch den dritten und vierten Abschnitt über «Status-Inseln» lesen und sich dabei Gremien wie Geschäftsleitungen und Verwaltungsräte vorstellen. Für die NZZ kann ich es sagen: In unseren Leitungsgremien — wie zum Glück auch bei der gesamten Leserschaft — ist das E-Paper auf dem iPad ein grosser Erfolg. Mit der «Digitalisierung» hat das aber eigentlich nur wenig zu tun, es wird nur die Originalzeitung («Replica») digital ausgeliefert. Wer nun behauptet, und ich kenne einige, die das tun: «Ich werde die NZZ immer nur als E-Paper lesen wollen», der sollte diese steile These mal angesichts seiner persönlichen Mediennutzungshistorie der letzten 15 Jahre reflektieren. (Und nebenbei, Sätze, die mit «Ich werde immer…» oder «ich werde nie…» anfangen, sollte man sowieso in Zeiten von Archivdatenbanken und Google Cache tunlichst vermeiden.)

Nochmal zur S-Kurve und zur berühmt-berüchtigten Lebensdauer der Zeitung: Der Auflagenschwund der letzten zehn Jahre war bekanntlich einigermassen linear, drei, vier Prozent pro Jahr, was in einem Jahrzehnt die meisten Zeitungen rund ein Viertel ihrer Auflage gekostet hat. Wer das fortschreibt, kommt auf die oben erwähnten vermeintlich beruhigenden Schätzungen. Wer sich jedoch die aggregierten S-Kurven unserer zunehmend digitalen Mediennutzung vorstellt, der wird zumindest die Möglichkeit nicht ausschliessen, dass die Zeitungsauflagen den Weg eines spiegelbildlichen S nehmen könnten, bei dem wir uns die ersten 15 Jahre noch auf dem flachen Stück befunden haben. Und ja, selbstverständlich käme bei so einem S-Verlauf auch unten wieder ein flaches Stück, denn selbstverständlich gibt es Menschen, die bis an ihr Lebensende eine Tageszeitung auf Papier lesen wollen, das heisst: Vielleicht wird es sogar wirklich «immer» Zeitungen auf Papier geben.

Die «Werbewoche» macht es genau richtig, wenn Sie in ihrer Version der obligaten Zukunft-der-Zeitung-Meldung schreibt: «Liebhaberpublikationen ausgenommen». Denn dass Liebhabereien wie Vinylschallplatten (von 70 Millionen auf 600’000 pro Jahr in Deutschland) nicht dasselbe sind wie ein Massenmarkt, wissen andere Branchen bereits bestens.

Ich weiss, ich wiederhole mich, nicht nur in diesem Blogpost, sondern einiges davon habe ich schon vor eineinhalb Jahren geschrieben: «Können wir für die strategische Planung des Hauses NZZ das Szenario «ohne gedruckte Zeitung» mit absoluter Sicherheit ausschliessen? Meiner Meinung nach können wir das nicht.» Aber die Gebetsmühle gehört nun mal zur wichtigen Grundausstattung in meinem Job, und ich werde sie gern weiter drehen.

«Die Zeitung neuen Lesegewohnheiten anpassen»

Peter Hogenkamp, bei der NZZ für digitale Inhalte zuständig, befasst sich seit Jahren mit Online-Geschäftsmodellen. Im Gespräch äussert er sich zur Zukunft gedruckter Zeitungen und zur Herausforderung der Digitalisierung von Medieninhalten.

Am 22. September 2011 erschien dieses Interview mit mir in der Sonderbeilage Mobilkommunikation der Neuen Zürcher Zeitung.

«Die Zeitung neuen Lesegewohnheiten anpassen»

NZZ-Digital-Chef Peter Hogenkamp zur Zukunft des Medienkonsums

Peter Hogenkamp, bei der NZZ für digitale Inhalte zuständig, befasst sich seit Jahren mit Online-Geschäftsmodellen. Im Gespräch äussert er sich zur Zukunft gedruckter Zeitungen und zur Herausforderung der Digitalisierung von Medieninhalten.

Interview: Walter Hagenbüchle

Peter Hogenkamp, blicken wir Jahre zurück. Welche Ideen gab es damals für eine Digitalisierung von Informationsinhalten? Gab es Konzepte für einen Transfer der Zeitung aufs Mobiltelefon?
Nur sehr rudimentär, etwa mit stark überteuerten SMS-Abos, an denen aber die Telekommunikationsfirmen mehr verdienten als die Inhaltelieferanten.

Von welcher Zeitrechnung sprechen Sie?
Die Mobiltelefonie im heutigen Format gibt es seit fünfzehn Jahren, die Produktkategorie «Smartphone» immerhin seit rund zehn Jahren, aber das Handling war doch sehr mühsam. Noch zu Zeiten meines Nokia E61, also bis 2006, kannte ich nur einige wenige Leute, die sich zusätzliche Software zum Zeitungslesen auf ihrem Handy installiert hatten. Dann aber kam das iPhone, kurz danach der App-Store – und plötzlich zeigten sich 60-jährige Banker beim Lunch gegenseitig ihre neusten digitalen Errungenschaften.

Das Rennen bei den Businessmodellen auf dem Handy gemacht haben also anfangs ganz andere Geschäftsinhalte. Zeitung auf dem Handy, das war doch eher eine «mission impossible», allein schon wegen des Formfaktors?
Die Zeitung, wie wir sie auf Papier kennen, 1:1 auf dem Handy abzubilden, war schwierig, ist schwierig und wird es immer bleiben. Der Smartphone-Bildschirm bedeckt nur rund einen Sechzigstel einer Broadsheet-Zeitungsseite. Um eine Zeitung im Original-Layout komplett zu lesen, ist also 1800-mal Blättern und Zoomen notwendig.
«Es gibt in der NZZ-Zielgruppe Zahlungsbereitschaft für digitale Inhalte.»

Also doch eine «mission impossible»?
Es ist tatsächlich nur etwas für Hardcore-Fans. Es kommt indes immer darauf an, welche Quellen man gerade zur Verfügung hat. Ich habe in den Ferien am Strand schon komplette «Spiegel»-Ausgaben auf dem iPhone gelesen, um teures Roaming zu vermeiden.

Weiten wir also den Blick vom winzigen 3-Zoll-Screen eines Smartphones hin zur digitalen Revolution des 10-Zoll-iPad. Dieser Quantensprung gilt ja als Initialzündung für den Transfer der Zeitung auf den digitalen Kanal. Haben sich die Erwartungen der Verleger erfüllt?
Ich fand es immer etwas blauäugig, als einige letztes Jahr dachten, nur weil wir jetzt einen grösseren Bildschirm und einen etablierten Zahlungsprozess hätten, werde automatisch alles gut. Die ersten euphorischen Meldungen einiger Verleger waren wohl etwas voreilig. Unsere Erfahrungen als NZZ mit dem iPad sind aber sehr positiv: Mit rund 6000 bezahlten Downloads unseres E-Papers pro Tag nehmen wir den Spitzenplatz in der Schweiz ein. Zugegeben: noch eine kleine Zahl verglichen mit der gedruckten Auflage, aber stetig wachsend.

Von einem künftigen Alternativmodell zur Zeitung, also einem rentabel mit Online-Werbung finanzierten Medienauftritt im Netz, ist man also weit entfernt. Oder anders gesagt: Die prognostizierte Goldader für die Verleger konnte bisher nicht freigelegt werden.
Ich kann mich nicht entsinnen, dass – vielleicht abgesehen von der kurzen Euphorie der «internet bubble» von 1999 – jemand behauptet hätte, werbefinanzierte Online-Nachrichten seien eine Goldader. Aber es gibt natürlich inzwischen zahlreiche Beispiele, die sehr profitabel sind.

Können Sie solche nennen?
In den USA haben in den letzten Jahren werbefinanzierte Inhaltsanbieter bei Verkäufen mehrstellige Millionenbeträge erlöst, wie etwa die «Huffington Post» beim Verkauf an AOL. Aber auch im deutschsprachigen Raum macht etwa das international bekannteste deutsche Nachrichtenangebot «Spiegel Online» schöne Gewinne, wie man hört. Das über Jahrzehnte sehr profitable Zeitungsgeschäft mit Oligopolen oder gar regionalen Monopolen hat halt alle verwöhnt, da hat es jedes andere Modell schwer.

Welches sind denn, ausgehend von dieser unternehmerischen Challenge, die anderen grossen Knacknüsse im Businessmodell bei der Übertragung von Zeitungsinhalten auf digitale Kanäle?
Die grösste Knacknuss ist, das Angebot dem Leseverhalten anzupassen. Früher las man die Zeitung beim Frühstück oder auf dem Weg zur Arbeit – und dann war’s das in der Regel mit dem Nachrichtenkonsum bis zur «Tagesschau» am Abend. Heute wissen wir, dass viele Leute das Smartphone als Wecker nutzen und entsprechend im Bett das erste Mal die Nachrichten der Nacht anschauen. Dann auf dem Arbeitsweg und immer wieder zwischendurch am Arbeitsplatz. Die Mittagspause war ein Online-Jahrzehnt lang eine «Peakzeit», verliert aber nun diese Stellung, denn durch die mobilen Geräte haben die Menschen das Internet immer bei sich, einfach auf verschiedenen Geräten mit unterschiedlichen Bildschirmgrössen.

Das heisst also, dass für jede Bildschirmgrösse unterschiedliche Auftritte programmiert werden müssen, die vom PDF über die App bis hin zum interaktiven Zeitungsmodell reichen? Entstehen da also völlig unterschiedliche Auftritte unter demselben Brand? Oder anders gefragt: Müssen sich die Zeitungsinhalte der Technik unterordnen?
Das ist eine gute Frage, die bis jetzt noch nicht definitiv beantwortet ist. Der Erfolg unseres E-Paper-Angebots auf dem iPad zeigt einerseits, dass viele Leserinnen und Leser heute noch die Zeitung als Bündelungsform wünschen. Das Format ist ihnen vertraut, sie bevorzugen es aber ortslos bzw. je nach Gelegenheit manchmal auf Papier, manchmal elektronisch. Aber das dürfte für viele Nutzer letztlich nur ein Zwischenschritt sein. Denn je länger der Tag fortschreitet, desto weniger will man den Stand des Vorabends lesen.

Wie also sähe dieser Kompromiss aus verlegerischer Optik aus?
Die Zukunft könnte eine Art Live-Paper auf dem mobilen Endgerät sein: Zeitungsqualität, rund um die Uhr aktualisiert. Ob die Inhalte dabei je nach Bildschirmgrösse variieren sollen oder ob gilt: «Ein Angebot auf allen Plattformen», wird sich zeigen. Unsere Arbeitshypothese derzeit ist Letzteres.

Analysieren wir diese Inhalte näher. Ketzerische Stimmen monieren ja, Online-Inhalte seien weniger tiefschürfend recherchiert und könnten daher eine Marke qualitativ unterwandern. Wie kontern Sie den Vorwurf?
Wieso Vorwurf? Das ist eine Tatsache. Wo Online- und Print-Redaktionen getrennt arbeiten – also in den meisten Verlagen –, sind Online-Ableger meist nur mit einem Bruchteil der Ressourcen dotiert. Wie wollen Sie mit einem Zehntel der Leute rund um die Uhr ein Angebot erbringen, das mit einer sechs Mal die Woche erscheinenden Zeitung mithalten kann? Die bis heute noch geltende Aufteilung Print/Online war ein Konzept für das erste Online-Jahrzehnt. Es wird nun aber reihum den neuen Nutzungsgewohnheiten angepasst.

Trotzdem nachgehakt: Also doch die Gefahr eines qualitativen Bruches zwischen den beiden Inhalten?
In der Tat kann sich ein schlechter Online-Auftritt auf die Wahrnehmung der gesamten Marke auswirken. In Deutschland gibt es gut sichtbare Beispiele dafür. NZZ-Online aber hat immer seriösen News-Journalismus erbracht, daher sehe ich bei uns bis jetzt keine negativen Auswirkungen auf die Marke, vor allem da wir künftig auch personell aufstocken können.

Ich resümiere also: Der vielzitierte Qualitätsjournalismus ist auch beim Online-Auftritt die entscheidende Leitplanke. Eine NZZ kommt folglich auch auf digitalen Kanälen, was die Relevanz der Themen betrifft, künftig nie wie eine Gratiszeitung daher?
Eine Zeitlang war man der Meinung, die Leute wollten im Netz nur Anspruchsloses lesen, aber das ist inzwischen klar widerlegt. Die deutsche «Zeit» unterstreicht das eindrücklich mit ihrem Angebot «Zeit Online», das sehr seriös daherkommt, aber selbstverständlich anders als die Wochenzeitung. Auch die NZZ muss auf jedem Kanal ihr Markenversprechen einlösen, seriös und kompetent zu informieren, wobei es durchaus kanalspezifische Eigenheiten geben kann.

Dann stellen Sie konsequenterweise an einen Online-Redaktor auch die gleichen Anforderungen wie an jenen, der für die gedruckte Zeitung arbeitet?
Man muss jedes Angebot refinanzieren können. Online ist als Medium noch gar nicht so alt, wie viele Print-Journalisten schon bei einer Zeitung arbeiten. Das ist wohl auch der naheliegendste Grund für allfällige Einkommensunterschiede. Wenn aber elektronische Medien dann so ertragreich arbeiten wie Zeitungen, wüsste ich nicht, wieso man die Journalisten schlechter bezahlen sollte.

Dieses Argument müsste ja dann wohl auch umgekehrt gelten?
Ja. Wenn Zeitungen einmal weniger Geld verdienen, wird man auch Print-Journalisten weniger bezahlen können – oder weniger von ihnen beschäftigen, was vielerorts schon geschehen ist. Viele Journalisten aller Sparten könnten bekanntlich in anderen Branchen, etwa im PR-Bereich, mehr verdienen; es ist nie verkehrt, wenn man seinen Beruf vor allem als Herzensangelegenheit sieht.

Wenn es ums Geld geht, dann muss auch von einem zweiten Pièce de Résistance beim digitalen Medienkonsum gesprochen werden: von der Paywall, hinter der Lesen etwas kostet. Glauben Sie, dass die an Gratiskultur im Netz und beim News-Konsum gewöhnten Nutzer sich auf Bezahlmodelle umerziehen lassen?
Diese berüchtigte «Gratiskultur im Internet» ist doch vor allem ein Schlagwort. Ich gebe fast jeden Tag Geld im Internet aus. Für Software, für Services, für Musik, für Filme und so weiter. Zugegeben, für aktuelle Nachrichten in der Regel nicht. Deswegen können wir auch das heutige NZZ-Online nicht kostenpflichtig machen.

Sie meinen, dass für reine Online-News nie bezahlt werden wird?
Ja, aber die «Neue Zürcher Zeitung» und die «NZZ am Sonntag» bieten ja eben deutlich mehr als nur News. Ich bin daher überzeugt, dass es in unserer Zielgruppe eine Zahlungsbereitschaft geben wird. Allerdings wird man dann strenggenommen wohl weniger für Inhalte zahlen als für eine Dienstleistung. Ein Student zum Beispiel kann es sich leisten, eine halbe Stunde zu suchen, bis er etwas gratis findet. Ein Berufstätiger zahlt dagegen hoffentlich lieber weiter sein Abo, damit die NZZ-Redaktion ihm diese Arbeit abnimmt.

Wie sieht denn nach Ihrer Prognose der künftige Zeitungsalltag aus? Gibt es ein friedliches Nebeneinander von Print und Online? Oder müssen wir gar davon ausgehen, dass die gedruckte Zeitung mittelfristig ausstirbt?
Das weiss niemand. Ich vermute, dass es die Tageszeitung auf Dauer schwer haben wird, weil der Prozess der nächtlichen Produktion und Distribution aufwendig und teuer ist. Und je mehr Leute ins Digitale abwandern, desto mehr müssen die verbleibenden Zeitungsleser zahlen. Aber wie gesagt, ich lasse mich zu keinen Prognosen hinreissen. Und es muss für einen Verlag auch egal sein: Wir sind schlicht und einfach verpflichtet, innovative Vertriebs- und Geschäftsmodelle aufzubauen, die es uns ermöglichen, auch ein Szenario ohne gedruckte Zeitung zu bewältigen. Dann können wir der Entwicklung gelassen entgegensehen.

Lassen sich denn die Rückgänge bei der Print-Leserschaft überhaupt durch den Einsatz mobiler Devices als alternative Plattformen substituieren?
Natürlich, denn die Menschen werden sich ja weiter darüber informieren wollen, was in der Welt passiert. Und sie werden, soweit wir das heute beurteilen können, auch weiter Selektion und Einordnung wünschen. Ich bin sogar überzeugt, dass wir in Zukunft viel mehr Kontakte zu unseren Leserinnen und Lesern haben werden, weil der Nachrichtenkonsum sich über den ganzen Tag verteilt.

Noch eine Frage zum Businessmodell nachgereicht. Bekanntlich erodieren die Inserateeinnahmen im traditionellen Zeitungsgeschäft stark. Rechnen Sie damit, dass sich der Rückgang angesichts weit tieferer Tarife bei der Online-Werbung überhaupt jemals auffangen lässt?
Wie gesagt, die Verlage waren lange in einer äusserst glücklichen Situation mit sehr guten und stabilen Renditen. Sie fragen mich, ob ich glaube, dass sich dieser Zustand in der digitalen Welt wieder einstellt? Nein. Und glaube ich, dass man mit Nachrichten weiterhin Geld verdienen kann? Ja. Es wird nur alles sehr viel komplizierter, und alle in der Branche sind noch am Üben.

Die traditionelle Zeitung lebt ja vom Stammleser. Kann denn digital überhaupt eine solche Identität hergestellt werden, die all jene Vorzüge der Markentreue umfasst, wie wir sie kennen? Oder anders gefragt: Wird es angesichts der flüchtigen Rezeption auf den elektronischen Kanälen in einer Vielzahl von Communitys überhaupt künftig noch so etwas wie die traditionellen Stammleser einer Zeitung geben?
Auch das ist schwer zu sagen. Ich glaube, im Netz wird es beides geben: die als «long tail» bekannte Fragmentierung, aber auch weiterhin die quasi natürliche Tendenz zum Massenmedium. Die Menschen sind gesellig und versammeln sich gern mit vielen anderen an einem Ort, auch an einem virtuellen. Die Zugehörigkeit von Stammlesern zu einem digitalen Medienangebot kann wegen der vielen Interaktionsmöglichkeiten sogar enger sein als bei der herkömmlichen Zeitung. Allerdings braucht es dazu auch interagierende Journalisten.