Auf Tuchfühlung mit dem Publikum

[Für die nächste Ausgabe des Netzguide „Business Communications 2007“ habe ich einen Artikel über Corporate Blogging geschrieben. Irgendwie hatte ich gedacht, ich habe nur eine Version 0.8 an die Redaktion gemailt, und ich bekomme die nochmal mit Feedback zum Überarbeiten zurück. Nichts da. Heute kam schon der fertig gesetzte Artikel zurück. Überschrift und Zwischentitel sind nicht von mir, und auch manche Formulierungen kommen mir irgendwie fremd vor, aber was soll’s – weg ist weg. :-) Wenn aber noch jemand meiner werten Leser vor morgen um 12 Uhr noch einen richtigen Fehler findet, bitte melden.
Bin sehr gespannt, ob sie das mit dem Durchstreichen hinbekommen.
Ich mach dann auch noch eine Version mit Links.]

Auf Tuchfühlung mit dem Publikum

Blogs sind als private Tagebücher gross geworden. Inzwischen haben auch viele Unternehmen Corporate Blogs als effektives wie effi zientesKommunikationsmedium entdeckt. Erfolg hat in der Blogosphäre allerdings nur, wer einige Grundprinzipien beachtet. Peter Hogenkamp

Unter „Corporate Blogging“ kann man sowohl Firmen fassen, die ein offizielles Firmenblog führen, wie auch einzelne Personen, die als Aushängeschild ihrer Firma wahrgenommen werden. Es gibt externe Corporate Blogs, die als PR-Instrument eingesetzt werden, wie auch interne, die im Intranet oder passwortgeschützt nur den Mitarbeitenden der Firma zugänglich sind.
Blogs sind deshalb so einflussreich, weil sich mit einem gut gemachten Blog sehr schnell eine relevante Leserschaft erreichen lässt. Aufgrund der speziellen Art, wie Blogs sich gegenseitig verlinken, und durch spezielle Suchmaschinen wie Technorati, über die sie gefunden werden können, wachsen Blogs oft erheblich schneller als vergleichbare klassische Websites. Und das zu einem sehr günstigen Preis.

Blogs sind unkompliziert und günstig
Ein einfaches Blog ist sehr leicht und kostengünstig einzurichten. Die meiste Blogsoftware (eine Art Mini-CMS mit vielen Standardfunktionen) steht als Open Source zur Verfügung. Die „Informationsarchitektur“ ist standardisiert. Individuelle Anpassungen ans Firmen-CI sind eine Sache von wenigen Arbeitstagen. Bereits gibt es KMUs, die nur noch ein Blog mit vorgeschalteter Homepage und einigen weiteren statischen Seiten betreiben. Ist das Blog einmal aufgesetzt, ist die eigentliche Bedienung, also das „Posten“ eines Beitrags, ebenfalls nicht schwierig. Die Blogsoftware bietet ein Webinterface, das aufgrund weniger Pflichtfelder nicht komplizierter auszufüllen ist als eine E-Mail-Maske.

Schon etwas komplizierter wird es bei den grundlegenden Mechanismen, vor und hinter den Kulissen: Wie verlinkt man zu anderen Blogs? Wie funktionieren „Trackbacks“, Kategorien, und was sind „Tags“? Wie wird man in der führenden Blogsuchmaschine Technorati gefunden? Solche Fragen sind schon kniffliger zu beantworten und setzen einige Kenntnisse der bloggenden Personen voraus. Die Erfahrung aus Schulungen zeigt, dass selbst bei Web-affinen Personen erst wenig Blog-Know-how vorhanden ist.

Die grössten Hürden sind kultureller Natur
Die eigentlichen Hürden sind jedoch kultureller Natur. Die erste Frage: Wer soll überhaupt bloggen, wie häufig, mit welchen Themen? Hier müssen Firmen das erste Mal umdenken. Bisher war die Öffentlichkeitsarbeit in der Regel exklusiv an eine Person oder Abteilung delegiert, die aufsetzend auf einem definierten Freigabeprozess wohl formulierte – aber in aller Regel auch stark formalisierte und daher eher langweilige – Pressemitteilungen vom Stapel lässt. Wer dieses Prinzip auf ein Blog überträgt, wird langweilen, denn auch wenn das Format Blog per se für jede Art von Meldung zu gebrauchen wäre, schreit es nach einem lockeren Ton und Spontaneität.

Ein gutes Firmenblog kopiert nicht die Website mit komplizierten Beschreibungen des eigenen Angebots, sondern es enthält etwa Beiträge, die sich lesen, als wären sie aus Gesprächen beim Lunch mit einem Kollegen entnommen. „Weisst Du, was uns letztens passiert ist?“ Natürlich gibt es auch andere Formen (siehe Übersicht im Kasten), aber allen ist gemeinsam, dass die Ideen für Blogeinträge spontan entstehen und möglichst ebenso schnell veröffentlicht werden sollten, mit Verweisen zu anderen Seiten, mit Bildern, Audio- oder Video-Files angereichert.

Billige PR-Tricks werden nicht goutiert
Spontaneität heisst jedoch nicht, dass in Blogs alles erlaubt wäre. Ein Tippfehler wird gern verziehen, jedoch gibt es einige Regeln der „Blog-Etiquette“, über die Blogger gern wachen. Etwa, dass nichts gelöscht werden darf. Wer etwa einen Beitrag korrigiert, weil er selbst oder andere einen Fehler entdeckt haben, tut dies in der Regel durch Durchstreichen des korrigierten Textes. Dieses Durchstreichen ist auch sonst eine beliebte Marotte von Bloggern wird oft auch absichtlich als Stilmittel zur Illustration von verworfenen Gedanken genutzt. So haben sich einige stilistische Spielereien entwickelt, die sich aber jeder sehr schnell aneignen kann, der Blogs mitverfolgt.

Corporate Blogging boomt bisher vor allem in den USA. Dort werden Firmenblogs bereits seit einiger Zeit auch von vielen grossen Firmen eingesetzt. Daher gibt es schon zahlreiche positive wie negative Beispiele, von denen man lernen kann. Unter den positiven ist etwa Fords „Bold Moves“ zu vermerken, auf dem der Autobauer souverän auf der Klaviatur des Web 2.0 spielt – mit kurzen Blogbeiträgen, Videos, die die User in ihre eigenen Blogs einbinden können, Kommentarmöglichkeiten und so weiter.

Weniger gut ist der Detailhandelsriese Wal-Mart gefahren, nachdem am 27. September 2006 Walmartingacrossamerica.com online ging, ein Blog von „Laura und Jim“, die mit einem Wohnmobil durch die USA fuhren und die Nacht jeweils auf den Gratisparkplätzen von Wal-Mart verbrachten. Das Blog fand viel Zuspruch, was sich aber über Nacht änderte, als herauskam, dass die beiden von Wal-Mart bezahlt wurden.

Unternehmen dürfen Feedback nicht scheuen
Europa ist etwas zurückhaltender, was sowohl an unterschiedlichen Kommunikationsstrukturen wie auch an allgemeiner Vorsicht liegen könnte. Denn nicht zu vergessen ist die anarchische Komponente: Da alle Lesenden Blogbeiträge kommentieren können, schlägt die Kritik schnell hohe Wellen. Im Intranet-Blog von Siemens wurden nach dem BenQ-Debakel Beiträge von CEO Klaus Kleinfeld von Mitarbeitern heftig kritisiert – Zitate aus den Kommentaren wurden von Spiegel.de und von Welt.de veröff entlicht.

In der Schweiz gibt es durchaus schon viel versprechende Ansätze. Das Schweizer Fernsehen etwa betreibt mehrere Blogs, am bekanntesten sind jene von Chefredaktor Ueli Haldimann und von Talkmaster Kurt Aeschbacher. Beide schreiben so, wie es gedacht ist, frei von der Leber weg, Aeschbacher schreibt teilweise nachts nach der Aufzeichnung seiner Sendung sehr persönliche Dinge, etwa wenn ihm die Sendung aus seiner Sicht total misslungen ist, wovon man vor dem Fernseher hinterher nichts merken soll. Das macht ihn sehr sympathisch, und ausserdem haben seine Zuschauer einen Rückkanal für Feedback jenseits des Anrufs beim Fernsehen, der für viele Leute nicht in Frage kommt.

Blogs sind keine offiziellen Firmenmeldungen
Die Kehrseite dieser neuen Offenheit sind die klassischen Medien. Die Presse liest inzwischen gern Blogs, und wenn sie Beiträge mit vermeintlichem oder tatsächlichem Skandalpotenzial wittert, wird gern einmal die Tatsache ausgeblendet, dass es sich bei Blogtexten eben nicht um offizielle Firmenmeldungen handelt.

So haben es beide SF-Blogs bereits auf die Titelseite der Boulevardzeitung „Blick“ gebracht, Haldimann im Juni 2006 mit einem Beitrag, in dem er vor der Fussball-WM 2006 die Sammler von Paninibildchen als „Neandertaler“ bezeichnete, Aeschbacher im November 2006 mit abfälligen Bemerkungen über Elton John nach dessen Konzert. Der Blick fuhr Kampagnen, das Fernsehen löschte leider die beiden Texte – was eigentlich wenig sinnvoll ist, denn Blogbeiträge sind wie alle Online-Inhalte, bei Archive.org oder im Google Cache noch über Jahre zu lesen.

Insgesamt schafft es Ringier aber trotzdem, eher als blogfreundlich dazustehen, insbesondere mit der Gratiszeitung „heute „, die sogar eine Rubrik „Daily Blogging“ führt. Die Konkurrenz von „20 Minuten“ dagegen gilt von jeher als bloggerfeindlich, unter anderem weil sie auf das Pendlerblog, geführt von zwei bissigen, aber im Wesentlichen harmlosen jungen Männern, sichtlich humorlos reagierte – was allerdings Auflage und Ertrag wohl nicht geschadet hat, und letztlich hatte 20 Minuten den längeren Atem, das Pendlerblog wurde eingestellt.

Insgesamt liegen grosse Chancen im Corporate Blogging, vor allem in der Schnelligkeit, mit der man reagieren kann. Wer morgens etwas Falsches in der Zeitung über sich liest, hat innert Minuten seine Gegendarstellung online und muss keine Anwälte mehr bemühen. Zudem bestechen die gute Auffindbarkeit sowie die Möglichkeit, mit Kunden, Mitarbeitern oder dem Publikum abseits von gedrechselten Texten auf Tuchfühlung zu gehen. Diese Chance sollten Unternehmen nutzen, denn die Risiken lassen sich bei seriösem Vorgehen gut minimieren.

(Textkasten)
Einige mögliche Ausprägungen von Corporate Blogs
Knowledge-Blogs werden vor allem im Intranet verwendet und dienen als Erfahrungsspeicher der Organisation. Mitarbeiter führen persönliche Journale und können so untereinander auf das Know-how anderer Mitarbeiter zugreifen, dieses kommentieren und mit dem Autor des Blogs kommunizieren.
Mit Service-Blogs sollen Kunden zusätzliche Informationen zu Produkten gegeben und es ihnen ermöglicht werden, Verbesserungsvorschläge zu machen.
Kampagnenblogs sind temporär angelegt und sollen eine PR- oder Werbekampagne unterstützen. Sie sollen zum Beispiel Themen besetzen und Aufmerksamkeit schon vor der Markteinführung wecken. Eine Kampagnen- Blog-Aktion der Firma Coca Cola war im Rahmen der Fussball-WM in Deutschland eine internationale Blogger-WG in Berlin.
– Mit Hilfe von Themenblogs können Unternehmen ihre Kompetenz auf rele vanten Bereichen nachweisen, etwa wenn ein Pharmahersteller ein Blog zu allgemeinen Gesundheitsthemen führt. Insbesondere für kleinere Anbieter und Beratungsfirmen bieten sich Themenblogs zur Profi – lierung an.
– Im Mittelpunkt steht bei Produktblogs das Produkt selbst, bei Markenblogs die Marke. Damit ähneln sie am ehesten der klassischen Werbung.
Projektblogs werden speziell zur Zusammenarbeit mit Zulieferern, Marktpartnern oder intern geschaffen, um die Arbeit an einem speziellen Projekt zu begleiten und zu dokumentieren.
Customer-Relationship-Blogs werden zur Schaffung einer Community genutzt, die an die Marke gebunden werden soll.
Krisenblogs dienen der schnellen Reaktion auf Unternehmenskrisen, etwa bei Störfällen oder Produktmängeln.