Offline ist seltener, aber viel schlimmer als früher

Wir bereiten gerade einen Beitrag vor, bei dem es um die Anfänge des WWW geht. Erscheint am 26.2. bei medienlese.com.

Einerseits ist es echt lustig, sich zehn Jahre danach daran zu erinnern, wie schlimm die Technik damals noch war. Installations-CDs, Dial-up per Modem, abbrechende Downloads – hihi, wie putzig aus heutiger Sicht, wo man immer online ist und alles nur Sekunden dauert.

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(Foto Keystone, Martin Rütschi)

Nur: Wenn’s dann mal passiert, dass man offline ist, dann ist es viel schlimmer als früher.


Weil man sich darauf verlassen hat, noch schnell nachschauen zu können, wohin man morgen früh überhaupt muss, dass man die Präsentation noch schnell runterladen kann oder die Website des Kunden noch kurz vor dem Meeting im Zug ansehen.

Genauso geht’s im Privaten: Bluewin TV, das Schweizer IP-TV. Läuft bei uns zuhaus seit dem 21. November 2006, wie ich jederzeit bei neuerdings.com nachschlagen kann. Hat mein Fernsehverhalten komplett verändert: Ich schauen praktisch überhaupt nichts mehr live. Die Tagesschau schaue ich um halb neun, nachdem ich den Sohn mit sanfter Gewalt ins Bett verfrachtet habe, danach mal eine Serie, mal einen Film, mal eine der unzähligen «Tatort»-Wiederholungen der letzten Wochen. Ich schaue eigentlich eher wenig, vielleicht an drei Abenden in der Woche zwei Stunden. Und: Ich zappe nie mehr.

Nach immerhin 15 Monaten doppelt zahlen und beeindruckender Stabilität von Bluewin TV habe ich es letzte Woche offiziell auf die To-Do-Liste aufgenommen: „Cablecom-Anschluss kündigen.“ Zeit wär’s schon lange gewesen, ist eigentlich viel zu teuer, beides zu zahlen.

Und jetzt das: OFFLINE. Schon heute morgen, bevor ich zur Arbeit ging. Dachte, wird wohl am Abend wieder gehen, aber nichts da. Zum Glück kann ich noch mit dem Unlimited-Modem rein, sonst wüsste ich ja nicht mal, wo ich anrufen sollte, wer weiss schon die Nummer von der Hotline oder hat den Vertrag griffbereit. Also auf der Bluewin-Site die FAQ durchgenudelt, Anleitung vom DSL-Modem runtergeladen, dort eingeloggt, neu gestartet, rumgepingt, alle Steckverbindungen überprüft – nichts. Die DSL-LED am Modem macht keinen Mucks (heisst: „Verbindung unterbrochen“).

Bluewin-Hotline angerufen, nur eine Minute Wartezeit, der Berater macht einen kundigen Eindruck. Und findet das Problem nach 30 Sekunden: „Der Port in der Ortszentrale ist offline.“ (Noch ein Funken Hoffnung: Reset? Nein.) „Hardwareschaden.“ Ein Techniker muss dorthin gehen und die Hardware austauschen.

O Gott. Und wann macht er das? „Hoffentlich morgen, oder? Also, auf jeden Fall noch vor dem Wochenende??“ – „Ich hoffe. Vielleicht morgen oder Samstag, sonst Montag oder Dienstag.“ Ach herrje. Worst Case.

Erst langsam dämmern mir die Konsequenzen: Nicht nur kein Internet, sondern auch kein Fernsehen. Tagesschau von 20 Uhr nicht nach-schauen. Kein Heroes heute um 23.30 Uhr auf SF2. Aber einen von den 50 Filmen auf der Bluewin-TV-Festplatte könnte man schauen? Nö. Die Bluewin-TV-Settop-Box startet ohne Signal gar nicht, sie zeigt ein Menü mit nur einer einzigen Option: „Bluewin TV ausschalten.“

Aber noch sendet ja die Cablecom. Also schnell hinters Regal gekrochen und den Beamer an den alten Videorekorder gepatched, der noch am Cablecom-Anschluss hängt. Rückfall um rund vier Jahre, vor Bluewin TV und den Vorgänger „Bluewin TV 300“ (ein Harddiskrecorder, der das normale Fernsehsignal aufzeichnete und mit IP gar nichts zu tun hatte).

Also jetzt Live TV. So richtig einfach das gucken müssen, was gerade läuft. Wie früher. Um 20.55 Uhr, wo gerade überhaupt nichts anfängt.

Igitt. Nach fünf Minuten reicht’s mir. Da geh ich lieber ins Bett.

3 Gedanken zu „Offline ist seltener, aber viel schlimmer als früher“

  1. Also ich finde diese erzwungenen Unterbrechungen des täglichen Trotts nicht nur schlecht. Über den Total-Streik bei den Berliner Verkehrsbetrieben haben sich auch alle fürchterlich aufgeregt, aber dann sind sie zu Fuss zur Arbeit und haben stattdessen Fotos gemacht, sind mal wieder Taxi gefahren oder eine längere Strecke gelauen, haben neue Leute kennengelernt oder haben gar den ganzen Tag über den Haufen geworfen und haben anderes gemacht als ins Büro fahren.

    Man kann ja auch mal wieder ein Buch lesen. Oder was ganz anderes machen. Nicht zu vergessen die vielen Kinder, die Stromausfällen und ähnlichem geschuldet sind.

    Gemeinsame Ausfälle sind zudem noch etwas vom Letzten, was unsere Gesellschaft verbindet. Ausserdem kann man sich herrlich darüber aufregen.

  2. Ja, einverstanden, was den SBB-Stromausfall angeht (allerdings sind auf den Bahnhöfen und in den Zügen wohl wenig Kinder gezeugt werden). Aber wenn nur bei mir/uns das Internet ausfällt, kann ich kaum einen Gemeinschaftseffekt ausmachen. :-)

  3. Im ersten Moment sah die Haut zwischen den dünnen Barthaarflusen wie nach einer mittelschweren Napalmverbrennung aus. Das hat sich glücklicherweise im Text aufgelöst.

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