«Wortspielnamen funktionieren nie, es sei denn, sie sind total genial.»

Es war am 18. Juni 2015, also fast genau vor einem Jahr. Ich sass mit Sascha Lobo und Kathrin Passig zum Frühstück in Berlin im Café Einstein Stammhaus. Am Nebentisch sass Ex-DGB-Chef Michael Sommer, und ich überlegte zwei geschlagene Stunden lang, wer das ist, aber ich fragte natürlich nicht, denn wer will sich schon vor zwei Ur-Berlinern als ahnungsloses Landei outen. Ein paar Stunden später fiel es mir dann ein.

Ich erzählte von Niuws, wie super das alles liefe (wir hatten damals gerade eine Hochenergiephase, waren kurz vorher beim Newscron Camp in Mallorca gewesen, hauten Features raus wie verrückt), und Sascha sagte, wie beiläufig: «Ja, den Namen müsst Ihr natürlich irgendwann noch ändern, der funktioniert nicht.»

«Dafür ist es jetzt zu spät», antwortete ich. «Ich verstehe, dass das Name in der Schreibweise zu Beginn ein bisschen schwierig ist, aber das wird schon.» Sascha dagegen war sich ganz sicher: «Wortspielnamen funktionieren nie, es sei denn, sie sind total genial.»

Ich war wirklich damals entschlossen, den Namen zu behalten. Doch die Opposition gegen Niuws funktionierte ein bisschen wie ich mir die die angebliche Chinesische Wasserfolter vorstelle (ich traue mich nur, eine Foltermethode zu verlinken, weil dort steht, dass man gar nicht weiss, ob es die wirklich gibt): ein Tropfen nach dem anderen.

Man bekommt Mails und Tweets und Dokumente und so weiter zugeschickt, in denen die Leute den Namen falsch schreiben: Nius (häufigster Fehler). Niues. Niuews. Nieuws (das gibt es, es heisst Nachrichten auf holländisch). Niws. Ich habe alle möglichen Variationen mit dem vorhandenen Buchstabenmaterial gesehen, plus einige mehr. Man sitzt daneben, wenn sie versuchen, die installierte App auf ihrem iPhone zu finden. Kuratoren erzählen, sie bekämen gelegentlich zu hören: «Ich weiss nicht, wo der Punkt hinkommt» – eine Meldung aus der Unterabteilung schwierige Top-Level-Domains (.ws). Es ist nie ein wirklich vernichtendes Feedback, aber ein schleichendes.

Von 2000 bis 2006 habe ich mich ja bei Zeix viel mit Usability beschäftigt und dabei auch immer gern das Verhalten meiner damaligen Kunden, zum Beispiel Produktmanager, im Usability-Labor beschrieben: Der Kunde im Beobachtungsraum sieht die erste Testperson im Labor, die mit seinem Produkt überhaupt nicht klar kommt. Der Kunde denkt: «Puh, wo habt Ihr denn so eine dumme Testperson aufgetrieben?» Es folgt der zweite Test mit ähnlichem Resultat. Der Kunde denkt: «Himmel, der ist ja auch nicht besser.» Beim dritten kommen die reflektierteren unter den Web-Profis ins Grübeln und denken: «Hm, vielleicht könnte es doch auch ein bisschen an meinem Produkt liegen.»

Genauso ging es mir auch mit dem Namen. Und wenn man ihn hundertmal falsch geschrieben gesehen hat in einem Dutzend verschiedenen Schreibweisen, dann denkt man halt irgendwann: «Vielleicht hatte ja Sascha recht.»

Und noch etwas Interessantes ist passiert. Ich habe einige Male an Pitches oder sonstigen Veranstaltungen teilgenommen, bei denen auch andere Startups oder Projekte mit Wortspielnamen teilnahmen (notgedrungen ist das inzwischen eher die Regel als die Ausnahme, es gibt ja für alles andere keine Domains) und vor oder nach mir präsentierten. Prototypisch war die Frühstücksreihe zum Thema Smart Curation der ZHdK von Frédéric Martel, bei der nach mir Andreas Bleuler, der Gründer von Joixes, (sprich: «Choices») sprach, der seine Präsentation sinngemäss mit dem Satz eröffnete: «Ich möchte meinen Vorredner fragen, ob er schon mal überlegt hat, den Namen zu ändern.» – «Klar, wir sind mittendrin.» Ich war überrascht zu merken, dass es neben der allgemeinen Startup-Solidarität noch eine Unter-Solidarität gibt von Startups mit schwer verständlichen Namen.

Und auch wenn ich mich natürlich etwas schwer tue, erstens diesen Kreis von sympathischen Realitätsanerkennern zu verlassen und vor allem zuzugeben, dass ich Ende 2014 wohl einen Fehler gemacht habe, als wir für unseren Markttest auf die Schnelle einen Namen finden mussten und das Minimum Viable Product «Niuws» nannten, haben wir uns nun also umbenannt.

Wie schwierig es ist, einen neuen Namen zu finden und vor allem eine bezahlbare Domain, das wäre eine gute Geschichte für einen anderen Blogpost. Am Ende haben wir uns für «Scope» entschieden und das heute kommuniziert: Kuratierte News-Plattform heisst künftig «Scope».

Lustigerweise ist das ein Name, den ich mir zusammen mit Andreas Von Gunten vor Jahren schon mal für ein ganz anderes Projekt überlegt hatte, das für mich alternativ zu Newscron/Niuws gewesen wäre. Nach einigem Überlegen stellte sich dann aber heraus, dass er auch hervorragend zu unserem heutigen Produkt passt, natürlich in der Hauptbedeutung von «extent or range of view, outlook, application, operation, effectiveness, etc.», aber genauso auch als Verb im Sinne von «to master; figure out», denn unsere Kuratorinnen und Kuratoren haben es drauf, wenn sie jeden Tag die besten Artikel aus ihrem Thema verlinken.

Und so hoffen wir, dass der unvermeidliche Umgewöhnungsprozess, dem wir ja doch alle unterworfen sind, ob der neue Name nun gut schreibbar ist oder weniger gut, schnell gehen wird.

Heute kann ich nur danken: Sascha dafür, dass er der Visionär war, als der er verdammt nochmal aber auch jeden Tag herumgezeigt wird, Kathrin für einen sehr netten Morgen, der mir gut dabei half, das Unvermeidliche noch ein paar Monate hinauszuzögern, Andreas Bleuler für die Solidarität (alles Gute, auch namenstechnisch!) und Andreas Von Gunten, auch Multi-Visionär, Kurator und inzwischen auch Newscron-Aktionär dafür, dass wir «unseren» Namen Scope nun als neuen Namen für Niuws nehmen durften.

PS. Update: Sascha war nicht der einzige, der das damals sofort gesagt hat.

Die Billag kommt zu Besuch — und staunt über den sockenlosen Doktor.

Bekomme zweiminütigen Besuch von der Billag. Der Kontrolleur wundert sich sehr, dass man Doktor sein kann, aber keine Socken tragen.

Neulich in Zürich-Wipkingen, kurz nach Mittag. Ich bin gerade am Wäschewaschen und eher spärlich bekleidet. Es läutet an der Haustür.

Ich drücke den Öffner und springe erst danach schnell in eine Jeans und ein T-Shirt. Das geht locker, weil ich im vierten Stock wohne. Ungewohnterweise ruft niemand von unten, was er will (so wie «Paketposcht!», was im Klartext bedeutet: «Ich leg das Zeug hier auf die Treppe und haue ab!»), sondern jemand stapft wortlos die vier Stockwerke hoch, bis er direkt vor meiner Nase steht und mir seinen Ausweis zeigt.

Symbolfoto. Ich war nicht am Strand, hatte eine längere, blaue Jeans an, habe weniger muskulöse Waden, aber auch weniger sichtbare Adern. iStock hat nicht so viele nackte Füsse im Angebot.
Symbolfoto. Ich war nicht am Strand, hatte eine längere, blaue Jeans an, habe weniger muskulöse Waden, aber auch weniger sichtbare Adern. iStock hat nicht so viele nackte Männerfüsse im Angebot. Überhaupt kommen bei «Füsse» komische Treffer.

Der Herr ist von der Billag, «Schweizerische Erhebungsstelle für Radio- und Fernsehempfangsgebühren», Pendant zur deutschen GEZ, entsprechend ähnlich beliebt. Die Identifikation in letzter Sekunde hat vermutlich Methode: Sicher haben sich schon Leute verbarrikadiert, um schnell den Fernseher zu verstecken. Was in Zeiten von 40-Zoll-LED-Ungetümen auch weniger einfach sein dürfte als früher. Aber das soll nicht meine Sorge sein.

«Und…», fragt er etwas langgezogen, sicher auch taktisch, «…gerade erst eingezogen?» Reflexartig bleibe ich erstmal vage: «So nach und nach eben.» (Zu dem Zeitpunkt hatte ich parallel noch meine Wohnung in Erlenbach, deren Kündigungstermin ich wegen kurzfristiger Verfügbarkeit der neuen Wohnung leider verpasst hatte. Sowas passiert in der Schweiz wegen der fixen «Zügeltermine» gern mal.)

Erst nach dieser Schrecksekunde des schlechten Gewissens per Default fällt mir ein, dass ich ja gar nichts zu verbergen habe: «Billag? Zahle ich an meiner alten Adresse in Erlenbach.»

Er schaut etwas ungläubig: «Ah ja? Wie ist denn die Adresse?» Er klappt sein Windows-Tablet mit einer Liste auf. Die App sieht alles andere als mobile-optimiert aus. Er hat mit mir noch etwa fünf «Leads» für heute offen.

«Zollerstrasse 22, 8703 Erlenbach.»

Er holt sein Samsung-Handy raus und wiederholt die letztgewählte Nummer. Offenbar telefoniert er oft mit dem Kollegen im Innendienst und fragt grusslos: «Kannst Du mal schauen, Hogenkamp, 8703, Zollerstrasse?»

Der Kollege am anderen Ende sucht. Und findet mich.

Mein Besucher wiederholt: «Genau: Hogenkamp. Peter.» Und weiter, stutzend: «Doktor?»

Und schaut, das Handy am Ohr, von meinen nackten Füssen hoch bis zu meinem ungewaschenen Gesicht, und wieder runter zu den nackten Füssen.

«Genau», sage ich. «Sieht man nicht, weiss ich. Stimmt aber.»

Der Kontrolleur murmelt etwas von: «Ist ja auch gut, dass man sowas nicht sieht», bittet seinen Kollegen, meine Adresse zu migrieren, klickt einen Erledigt-Button in seiner App, mein Lead verschwindet, er klappt das Tablet zu. «Danke, auf Wiedersehen.» Die ganze Szene hat vielleicht zwei Minuten gedauert.

Treppab, und weiter geht’s zu den anderen fünf.

Leider konnte ich keinen Namen lesen, sonst würde ich sie schnell bei Facebook suchen und ihnen raten, Socken anzuziehen. Macht einfach einen besseren Eindruck, falls mal überraschend einer vor der Tür steht, ganz egal, welche Ausbildung man hat. Würde meine Mutter auch sagen.

Bin gesunder zurück

Bin nach meiner Kur seit gestern zurück im Büro. Alles prima.

Bin nach meiner Kur seit gestern zurück im Büro. Alles prima. Ich war ja nicht krank, also kann ich auch nicht wieder gesund sein. Deutlich gesunder fühle ich mich aber schon.

Natürlich werden mir immer die gleichen zehn Fragen gestellt, die ich daher gern hier beantworte — aber ich erzähle es natürlich auch weiter jedem, den ich treffe, gern persönlich.

FAQ

«Wie, Du bist schon wieder da? Ich dachte, das sei was Längeres?»
Keine Ahnung, wer das behauptet hat. Ich habe nie etwas anderes gesagt, als dass ich zwei Wochen dort bin und am 28. Januar wieder im Büro. Stand auch so in meiner Out of Office-Meldung, es gab also eigentlich wenig Interpretationsspielraum. Na ja, auch egal.

«Wo warst Du denn?»
Im Kurhaus Oberwaid in St. Gallen. Kann ich wärmstens empfehlen. Alles brandneu (und daher noch etwas leer, was sich vermutlich demnächst ändern wird), wunderschöne Lage mit Blick auf den Bodensee (wenn sich mal der Nebel verzieht, also zweimal in zwei Wochen), sehr schöne Zimmer, tolle Küche, topmodernes «Medical Center», sehr engagiertes Personal.

«Und was hast Du dort gemacht?»
Mich vor allem jeden Tag viermal bewegt: Strampeln auf einem stationären Ergometer, Physiotherapie (anstrengend wie bei Kiesers, nehme alles zurück, was ich über den Beruf dachte, sorry, @Lea Barmettler), Schwimmen oder sonstiges Aqua-Zeug, dreiviertelstündiger Spaziergang durch den Wald. Interessanterweise fand ich den Spaziergang am anstrengendsten und am zielführendsten, indem man jeden Tag Fortschritte dabei macht, wie man in den Wald hochkeucht. Was zeigt, dass man eigentlich problemlos auch ohne Kurhaus fitter werden könnte, indem man einfach mehr zu Fuss geht. Aber man macht es nicht, solange man sich nicht die Zeit für einen solchen Aufenthalt nimmt, also braucht man es doch wieder.

«Und zwei Wochen reichen?»
Keine Ahnung, das wird man sehen. Das wichtigstes Ziel ist ja, Verhaltensänderungen im Alltag zu realisieren. Daher ist weniger die Frage, was man in der Kur alles schafft, sondern was man danach beibehält. Für diesen schon im anderen Post erwähnten «Initialimpuls» reichen meiner Meinung nach zwei Wochen durchaus. Ich bin jedenfalls recht motiviert. Will aber auch den Mund nicht zu voll nehmen. Fragt mich also in einem halben Jahr nochmal.

«Und wieviel hast Du abgenommen?»
Ähm… Ist das nicht etwas indiskret? Also gut: Nur 3.5 kg. Es sollte aber auch keine Fastenkur sein wie weiland bei Helmut Kohl am Wolfgangssee. Die Mediziner waren total happy, dass das genau dem theoretischen Wert entsprach aufgrund von Bewegung und Ernährung. (Faustregel, dazugelernt: 7000 kcal mehr verbrannt als gegessen machen 1 kg Gewichtsabnahme aus. Alle anderen Schwankungen sind in der Regel temporär.)
Apropos Österreich, am besten fand ich das Feedback von Kurt W. Zimmermann, es gäbe eine Klinik bei Salzburg, «dort nehmen Sie 20 kg in einem Monat ab». Dr. oec. troph. Britta Wilms kann Ihnen zu diesem Vorgehen mal ein Feedback geben, wäre vielleicht auch mal was für die Bilanz-Kolumne. :-)

«Und was war nun die wichtigste Erkenntnis?»
Erstens das mit dem deutlich zu hohen Blutdruck, das hatte ich echt nicht gewusst. Zugegeben, das hätte man auch einfacher rausfinden können. Der ist in der kurzen Zeit jetzt schon deutlich gesunken. Habe mir jetzt einen Withings Blood Pressure Monitor gekauft und messe jeden Morgen. Nach wie vor ist immer das beste, wenn man einen Grund hat, sich neue Gadgets zu kaufen.
Zweitens der Cola-Zero-Entzug. Wow, den habe ich drei Tage gespürt, mit heftigen Kopfschmerzen. Das hätte ich nicht gedacht. Bin jetzt seit drei Wochen «clean» und werde dabei bleiben.

«Warst Du denn wenigstens die ganze Zeit offline?»
Das hatte ich hier schon geschrieben (letzter Absatz) und habe es so durchgezogen. Wenn man nicht antworten muss, finde ich ein paar Mails gelegentlich nicht sehr anstrengend. Generell offline zu sein und auch keine News mehr lesen zu können, keine Episodenguides von der Serie, die man gerade schaut, keine Wikipedia – das fände ich viel nerviger. Aber das muss wohl jeder selbst wissen.

«Also war es kein Burnout?»
Nö. Aber danke der Nachfrage.
OK, doch noch etwas ausführlicher: Wo ich schon mal dort war, habe ich natürlich so einen Anamnese-Fragebogen ausgefüllt, und auch wenn es keine quantitative Auswertung gab, fühlte ich mich aufgrund meiner Antworten deutlich im grünen Bereich. Natürlich habe ich auf die Frage: «Manchmal denke ich schon beim Aufwachen an die Arbeit» 5 von 5 angekreuzt, aber hey, das mache ich seit 20 Jahren so, egal bei welcher Arbeit. Es gab auch viele schöne Fragen, etwa, ob ich mich von meinem Vorgesetzten unterstützt fühle (5 von 5), oder ob ich Angst um meinen Job habe (0 von 5).
Wenn man beruflich und privat recht eingespannt ist, ist es sicher sinnvoll, sich über solche Mechanismen Gedanken zu machen und allenfalls frühzeitig Massnahmen einzuleiten. Was ich getan habe, worüber ich froh bin.

Meine eigene Joker-Frage: Warum schreibst Du das auf?
Weil ich fast ein Dutzend Feedbackmails bekommen habe von Leuten, die schrieben: Oh, ich glaube, das sollte ich auch mal machen, aber bin bisher nicht dazu gekommen.

Mein Tipp: Macht es. Bald. Eventuell auch nur eine Woche. Der «Leverage» der «Investition» für das eigene Leben scheint mir sehr beachtlich.

(Ich verspreche, diesmal allfällige Kommentare nicht erst nach zwei Wochen freizuschalten.)

Zwei Wochen Kur

Ich bin zwei Wochen zur Kur. Habe nichts Ernstes.

Ich bin seit Mitte letzter Woche für zwei Wochen zur Kur in einem Kurhaus in der Ostschweiz. Eine Abwesenheit spricht sich natürlich in Zürich herum, und vorhin kam per Twitter-DM der Besserungswunsch angesichts meiner «Erschöpfungsdepression» (aka Burnout). Eigentlich wollte ich den Ball flach halten und gar nichts kommunizieren, aber solche Gerüchte müssen ja nun doch nicht sein.

Das mit der Kur kam so: Ich war letzte Woche bei meinem Hausarzt und sagte: Puh, ich konnte die Weihnachtsferien gar nicht richtig geniessen, bin irgendwie etwas schlapp. Es stellte sich heraus, dass mein Blutdruck deutlich zu hoch war, was angesichts meines Gewichts keine echte Überraschung ist. Mein Arzt meinte, ich sollte mal einen «Initialimpuls» zur Gewichtsreduktion machen, die natürlich schon lange im Raum steht, und zwei Wochen zur Kur gehen. Gute Idee, meinte ich, ich schaue mal wegen eines Termins, vielleicht im Februar. Er rief bei einem Kurhaus in der Nähe an, und mit dem Hörer in der Hand fragte er mich: «Soll ich Sie also für morgen früh um 9 Uhr anmelden?» Ich war natürlich etwas übertölpelt, aber natürlich trotzdem noch Herr meiner Sinne, als ich spontan zustimmte. Der Januar ist eigentlich nicht so schlecht für einen kleinen Feriennachschlag; die Dreikönigstagung des Verbands Schweizer Medien zu verpassen habe ich denn auch gerade so verschmerzen können, vor allem dank der vielen Qualitätstweets der Anwesenden.

Und so bin ich hier also, in einem schönen Haus, dessen oberste vier Stockwerke wirken wie ein Hotel, dem man kaum ansieht, dass sich in den beiden Stockwerken darunter noch alle möglichen gesundheitsfördernden Einrichtungen verstecken, teils nüchtern-medizinisch, teils schöngeistig-wellnessmässig.

Es war eigentlich immer schon mein geheimer Traum, statt klassischer Ferien – man fährt mit den Kindern irgendwohin und ist mit deren Bändigung etwas so beschäftigt wie sonst mit der Bändigung der Mitarbeiter und Kollegen dem normalen Joballtag – mal zwei Wochen nur rumzuliegen, zu lesen und endlich mal bis zum Abwinken Serien zu schauen («Breaking Bad» – super Tipp via Facebook von Ibo Evsan).

Der Aufenthalt hier kommt dem sehr nahe. Natürlich fahre ich ein paarmal am Tag mit dem Lift runter nach U1 und habe Physiotherapie, Aqua Relax (wirklich relaxend, solange man nicht lachen muss) oder Ergolinetraining auf dem Bike, aber das ist alles sehr entspannend und lenkt nicht vom Erholen ab. Ich lese jeden Morgen drei Zeitungen (NZZ, Tagi, Tagblatt) – auf Papier. Sicher liegt es vor allem daran («Print wirkt!»), dass mein Blutdruck auch ohne Medikamente nur durch drei Tagen schon deutlich gesunken ist – und natürlich am sehr beruhigenden Plot von Breaking Bad.

Zur Sicherheit: Ich finde nicht, dass eine Erschöpfungsdepression etwas Ehrenrühriges wäre, im Gegenteil, meine aufrichtigen besten Wünsche gehen an jeden, der das hat oder mal hatte. Und es gibt natürlich durchaus ein paar Faktoren, die mich auch auf diese Schiene bringen könnten. Aber da das Buch darüber schon geschrieben ist, habe ich mich entschlossen, lieber deutlich vorher die Abzweigung zu nehmen, und darüber bin ich sehr happy. Ich kann so eine Pause nur jedem empfehlen, der in seinem Job viel um die Ohren hat.

Noch ein Wort zu Online vs. Offline: Natürlich haben mir alle Mitarbeiter gesagt: Lass bloss alle Geräte zuhaus. Das habe ich nicht gemacht, sondern habe sie dabei, nutze aber Büro-Features wie E-Mail und Kalender sehr wenig. Ich lasse das iPhone bei allen Anwendungen im Zimmer und schaue meine Mails nur alle paar Stunden an. Am Wochenende habe ich mal locker zwei Stunden Newsletter abbestellt etc., was schon fast eine kontemplative Wirkung hat. Den Laptop nutze ich wie gesagt fast nur für Videos, das iPad hatte ich noch gar nicht in der Hand. Ich glaube, ich fände es stressiger, ganz abgeschnitten zu sein, als gelegentlich mal reinzuschauen, was läuft, und festzustellen, dass wenig läuft – und selbst wenn, dank Out-of-Office-Meldung erwartet niemand eine Antwort. Bisher bin ich jedenfalls mit «wenig online» ganz happy.

Am 28. Januar bin ich in neuer Frische wieder Büro. Und relaxen hin oder her, ich freue mich natürlich jetzt schon darauf.

Steve Ballmer meets Hermann Hesse: Zum Abschied von Blogwerk

Meine Rede zum Abschied bei Blogwerk nach dem Verkauf an die WEKA-Firmengruppe.

Gestern Abend haben wir bekannt gegeben, dass die Aktionäre die Blogwerk AG an die WEKA-Firmengruppe verkauft haben. Gleichzeitig war die Blogwerk-Büroeinweihung, bei der ich eine Rede gehalten habe. Sie war recht lang, was ich vorher wusste, aber es war nun mal die letzte Gelegenheit, alles zu sagen, was ich sagen wollte. Als Abtretender kann man sich das leisten, weil alle, die sich langweilen, denken: «Ist ja wenigstens das letzte Mal.» Ich habe aber von den Anwesenden viel positives Feedback erhalten, was mich sehr gefreut hat. Hier mein Manuskript:

***

Zu Beginn eine Bitte: Bitte Smartphones wegstecken und kurz nicht twittern. Ich rede nur 45 Minuten, das haltet Ihr mal aus.

Ihr kennt sicher alle das Video von Steve Ballmer, das schon lange vor YouTube per E-Mail zirkulierte (das «virale» File hatte jemand dancemonkeyboy.avi genannt, weshalb das Video noch heute oft so bezeichnet wird), bei dem er auf die Bühne springt minutenlang rumtanzt und jauchzt, bevor er völlig ermattet ins Mikrofon schreit: I got four words for you: I love this company. Dafür hat er viel Spott geerntet, aber ich kann ihn gut verstehen, vor allem heute.

Dieses neue Büro, das wir heute einweihen, ist für Blogwerk ein Meilenstein, bei dem man automatisch zurückdenkt an andere Meilensteine.

Natürlich an ehemalige Büros: Das Büro in St. Gallen in der leeren Hauptpost, mit ihren leeren Räumen und leeren Gängen, in der man auch gut einen Horrorfilm hätte drehen können.

Das Büro bei Zeix, hier um die Ecke, wo wir uns sehr wohl gefühlt haben, auch wenn wir regelmässig daran erinnert wurden, dass wir beim WC-Papier gesponsert wurden. Olivia und ich haben uns vorgenommen, den Ausgleich beim WC-Papier irgendwann noch herzustellen. Aus dem Büro waren wir dann aber Anfang 2010 rausgewachsen, weil wir dringend aus diesem Gefühl der Untermiete raus mussten. Trotzdem nochmal herzlichen Dank an Zeix für die Starthilfe damals.

Um dann gleich wieder zur Untermiete woanders einzuziehen: in das Büro an der Stauffacherstrasse, für das ich mich immer etwas geschämt habe, weil es so klein war, und ich dachte, ich bin schuld, dass Ihr dort sitzt wie die Hühner auf der Stange, aber zu meiner Ehrenrettung muss ich sagen, ich wollte ja das grosse Büro daneben mieten, aber Jens von Mediafocus hat mich nicht gelassen.

Und nun dieses Büro hier: Bei dem jeder sieht: Jetzt ist Blogwerk eine richtige Firma, nicht mehr nur ein vergrössertes Wohnzimmer mit Sitzungstisch in der Mitte, Blogwerk ist jetzt auch hier professionell geworden, wie in anderen Bereichen ja schon längst.

Es gibt natürlich auch viele weitere Meilensteine, die nichts mit Büros zu tun haben, ich kann nur wenige aufzählen.

Zum Beispiel ein ganzseitiger Artikel in der SonntagsZeitung, nur ein paar Wochen nach der Gründung, von dem wir völlig geplättet waren, der sich dann aber leider ein totaler Verriss aus ideologischen Gründen unter dem Titel «Mit Blogs auf grosse Kasse hoffen» rausstellte, weil man dort dachte, wir wollten Journalisten ausbeuten – und das dürfen bekanntlich nur richtige Verlage, keine hergelaufenen Start-ups.

Der erste Firmenauftrag für die Erstellung von wiederkehrendem Content, dem Modell, das heute den Löwenanteil des Umsatzes ausmacht: C36daily für die Exhibit AG, Giancarlo Palmisani ist heute auch da.

Der erste Firmenauftrag für ein Corporate Blog: ebookers.ch.

Der erste Auftrag mit einem sechsstelligen Volumen, immer ein wichtiger Meilenstein für jede Firma: energiedialog.ch für Axpo.

Eine Spendenaktion, als wir medienlese.com einstellen wollten, bei der quasi über Nacht über 2000 Euro gesammelt wurden – was leider nicht geholfen hat.

Der grösste Meilenstein von allen liegt allerdings unmittelbar vor bzw. hinter uns: Wir haben vor einigen Tagen sämtliche Blogwerk-Aktien an die WEKA-Firmengruppe aus Deutschland verkauft.

Ich bin überzeugt, dass das eine gute Sache wird. Vor einem Jahr dachte ich noch, WEKA sei etwas verstaubt, aber da hatte ich mich geirrt. WEKA ist eine Firma, die inzwischen zwei Drittel ihres Umsatzes mit zugekauften Geschäften macht, was zeigt, dass sie das wollen und können, und WEKA ist die Umsetzung ihrer Digitalstrategie ganz offenbar ernst. Ausserdem habe ich die Herren, die ich kennenlernen durfte, vor allem Werner Pehland und Eberhard Opl, im persönlichen Kontakt als sehr angenehm schätzen gelernt, so dass ich überzeugt bin, dass sie für Kunden und Mitarbeiter von Blogwerk die richtige Wahl sind, um die Kontinuität zu gewährleisten, und zugleich den Drive zu entwickeln, Blogwerk ein noch schnelleres Wachstum zu erlauben, als wir das in den letzten Jahren allein geschafft haben.

Herr Pehland ist auch hier und wird im Anschluss einige Worte sagen.

Denkt jetzt bloss nicht, ich sei fertig. Jetzt, wo klar ist, dass das meine allerletzte Ansprache als irgendwas bei Blogwerk ist, müsst Ihr mir die restlichen 40 Minuten noch geben.

Das besondere an diesem Abschied ist nun, dass er zwar mit zwei Jahren Vorlauf kommt, in denen ich schon nicht mehr operativ tätig bin, aber dafür nun sehr abrupt ist: Ich bin nicht mehr VR-Präsident, ja, mit der Unterschrift unter dem Kaufvertrag habe ich quasi jede Bindung abgebrochen. Das schmerzt etwas, aber es ist auch richtig so.

Was werde ich vermissen? Natürlich sehr viel!

Am meisten wohl den Skype-Gruppenchat. 40% drehen sich nur um die Tatsache, wohin man Mittagessen geht, die für mich völlig irrelevant ist, ausser, dass ich immer schon um halb zwölf Hunger kriege, wenn die hier anfangen, übers Essen zu reden, weitere 40% sind unverständliche Insiderwitze – aber 20% sind spannende Facts und Figures, in denen ich schon viel Nützliches erfahren habe, mit dem ich gelegentlich an der Falkenstrasse als Immer-noch-Internet-Insider auftrumpfen konnte. Vor allem ist der Skype-Chat das Manifest einer Firmenkultur, die immer noch sehr cool, startup-mässig – und auch gnadenlos im Urteil ist. Mit einem anerkennenden Wort oder gelegentlich auch mal einem kleinen Ausdruck des Tadels positioniert das Blogwerk-Team sich im Online-Wertesystem. Etwa so: «Hier, geiler Scheiss: (link)» oder «Fremdschämen: (link).»

Nicht zuletzt habe ich natürlich Angst, wenn ich morgen aus dem Gruppenchat fliege, dass ich dann auch bei Fremdschämen vorkomme.

Ich liebe diesen Start-up-Groove auch nach sechs Jahren. Man kann abends spontan hinkommen, alle sitzen um den Tisch herum, es ist saugemütlich, man trinkt Bier und knobelt, wer Pizza holen muss, und ich fühle mich sofort zehn Jahre jünger.

Gern redet man ja bei solchen Anlässen über die schlechten Zeiten: Damals, nach dem Krieg, wir hatten ja nichts. Das will ich heute weitgehend vermeiden. Obwohl es stimmt, wir hatten wirklich nichts, damals, 2008. Mein Treuhänder, der damals meine Steuererklärung gemacht hat, hat wahrscheinlich gedacht: Dafür, dass der Hogenkamp an der HSG studiert hat, muss danach irgendwas ganz, ganz schief gelaufen sein.

Pit Sennhauser, damals noch im Silicon Valley, hat mal zu mir gesagt: Ich hab schon viel über diese Achterbahn der Gefühle in einem Start-up gehört, bei der jeden Tag zwischen Euphorie und Verzweiflung schwankt, aber man muss dabei sein, um wirklich zu wissen, wie es ist. Das ist einfach so.

Natürlich muss ich in dieser Abschiedsrede, die meine letzte Chance dafür ist, noch einigen Blogwerk-Alumni danken, willkürlich ausgewählt und nicht mal in chronologischer Reihenfolge:

Ronnie Grob
– der zwar nicht aussieht wie ein Schweizer Uhrwerk, aber so schreibt, wie man an seinem «6 vor 9» sieht, das wir beide uns damals in der erwähnten St. Galler Post ausgedacht haben, und das seit nunmehr sechs Jahren an jedem Werktag erscheint, seit August 2009 beim BildBLOG.

Damian Amherd
– der selbst ernannte Vorsitzende der Blogwerk-Alumni-Stiftung, der einer der furchtlosesten Praktikanten war, den ich je erlebt habe, der für mich die grössten Vorträge auf Zuruf übernommen hat – und den ich morgen wieder einstellen würde, egal für welchen Job.

Moritz Adler
Ich finde, man sollte Punkte vergeben dafür, wer gute Deutsche nach Zürich geholt hat – eine Art Natalie-Rickli-Gedächtnis-Badge. Und bei Moritz gehört der mir, und ich hab ihn sogar über Twitter geholt. Er war damals intensiv bei dem ersten grossen Auftrag dabei war und macht jetzt tolle Sachen bei local.ch – vor allem seine App-Download-Zahlen hätte ich sehr gern.

Florian Steglich
– über den werde ich hier nichts Nettes sagen, weil er zu spät kommt (das Tram hatte einen Unfall, nachträglich entschuldigt).

Philip Hetjens
– der uns erst ganz kürzlich verlassen hat und den ich heute Abend noch ganz dringend fragen muss, ob es bei Namics nun wirklich besser ist als hier, was ich mir natürlich partout nicht vorstellen kann. Ich hab Dir schon neulich gesagt, Philip, dass ich Dir nie vergessen werde, wie Du in Japan für uns von Gastfamilie zu Gastfamilie gereist bist und überall energiedialog.ch IE6-kompatibel gemacht hast. Wer IE6 kennt, weiss, was das bedeutet.

Nur ganz kurz erwähne ich hier drei, die auch Aktionäre waren und daher auf dem Weg schon ausführlich verdankt wurden, wie Andreas Göldi, dessen tolle Blogbeiträge ich immer noch vermisse, Pit Sennhauser, von dem die Laien unter uns, zu denen ich natürlich auch gehöre, viel über Journalismus gelernt haben, und Lea Barmettler, die jahrelang die Stellung als Mutter der Kompanie gehalten hat, bis sie leider der Online-Welt verloren ging und in die Physiotherapiebranche abrutschte.

Brigitte Federi, Karin Friedli und Mathias Vettiger
– denen ich die Gemeinheit angetan habe, sie einzustellen und direkt danach zu verschwinden, wofür ich bis heute ein etwas schlechtes Gewissen habe, auch wenn ich ja jeden Tag sehe, wie toll Ihr es hier habt ohne mich. Heute ist der letzte Tag, an dem Ihr mir verzeihen könnt! Bitte tut es!

Und natürlich danke ich dem ganzen Team, wozu ich heute morgen schon in einer kleinen Pre-Show um 9.00 Uhr Gelegenheit hatte.

Am Ende sind es aber von den vielen Namen aus sechseinhalb Jahren vor allem drei, denen ich heute nochmal insbesondere danken möchte:

Andreas Von Gunten
Du bist ein leuchtendes Vorbild für mich für das sonst eher albern klingende Wort «Empowerment»: die Mitarbeiter befähigen, grosse Dinge zu machen – im Gegensatz zu mir, der ich vorher gelegentlich gedacht hatte, am besten ist es, wenn ich alles allein mache. Dieses Vorbild hat mir auch bei der NZZ geholfen, wo man sowieso praktisch nichts mehr selbst macht.

Olivia Menzi und Thomas Mauch
Das gilt zwar für alle, aber trotzdem für Euch beide am meisten: Ohne Euch beide würden wir heute nicht hier stehen.

Wie Ihr das hier durchzieht, Respekt. Ich bin ja jemand, der gern auch mal Sachen nicht ganz sofort macht, sondern denkt, übermorgen langt wahrscheinlich auch noch. Insofern bin ich immer wieder schlicht platt, wenn ich Euer vorausschauendes Arbeiten und Euren Organisationsgrad und sehen. An der Stelle noch eine Frage: Wenn ich mal umziehe, kann ich mich dann vielleicht bei Euch melden? (Olivia schüttelte kurz, aber entschieden den Kopf.)

Ich war immer jemand, der alle paar Jahre was Neues gemacht hat, ich habe einen Drei- bis Vier-Jahre-Rhythmus, der sich durch mein Leben zieht.

«Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne», habe ich zu dem Thema immer gern zitiert – ehrlich gesagt, ich wusste nicht mal genau, von wem das ist. Das habe ich für heute mal nachgeschaut.

Wer weiss es? Vettiger? (Mathias Vettiger tippt erst Rilke, dann korrekt: Hesse.)

Ich habe seit der Schulzeit kein Gedicht öffentlich rezitiert, möchte das aber heute gern machen. Ist von 1941, aber immer noch gut:

Hermann Hesse: Stufen
Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.

Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf‘ um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.

Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden…
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!

Wem das zu lang war: I got four words for you: I love this company!

Vielen Dank für alles! Ich wünsche Euch von Herzen alles Gute, und lasst uns Freunde bleiben, online und offline.

(Peter Hogenkamp hat den Skype-Chat verlassen: Donnerstag, 27. September 2012, 10.50 Uhr.)

«22 Jahre im Land mit den kleinen Nummernschildern» – Artikel im Alumni-Magazin über Deutsche in der Schweiz

Für das HSG-Ehemaligenmagazin «alma», das ich vor 14 Jahren selbst lanciert habe, habe ich einen Artikel geschrieben, den ich hier gern zweitverwerten möchte. Dank an alma-Chefredaktor Roger Tinner, der immer an mich denkt, wenn ihm niemand anders einfällt.

Für das HSG-Ehemaligenmagazin «alma», das ich vor 14 Jahren während meiner Zeit als Alumni-Geschäftsführer selbst lanciert habe, habe ich einen Artikel geschrieben, den ich hier gern zweitverwerten möchte. Dank an alma-Chefredaktor Roger Tinner, der immer an mich denkt, wenn ihm niemand anders einfällt.

Den Artikel kann man auf drei Arten lesen: Im folgenden im Volltext, hier als PDF und hier die ganze alma zum Durchblättern. Ich habe mir erlaubt, im Volltext wieder die Absätze so zu setzen wie in meinem Manuskript (im Originallayout sind einige etwas brutal weggefallen, weil man freundlicherweise nicht am Text kürzen wollte).

 

22 Jahre im Land mit den kleinen Nummernschildern

Er gehört zu jenen Deutschen, die nach dem Studium an der HSG hier geblieben sind: Dr. Peter Hogenkamp, ehemaliger Präsident der Studentenschaft, erster Geschäftsführer von HSG Alumni und heute Leiter Digitale Medien und Mitglied der Geschäftsleitung bei der NZZ-Mediengruppe. «Als Deutscher kommt man nie wirklich an», lautet sein Fazit nach 22 Jahren in der Schweiz.

von Peter Hogenkamp

Den ersten Sündenfall aus Ignoranz beging ich schon lange vorher: Als ich 1989 den (im Nachhinein grauenhaften) Artikel «Bosse von morgen» in der Zeitgeist-Postille «Wiener» las, wusste ich nicht mal, wo dieses «St. Gallen» liegt. Könnte Bayern sein oder auch Österreich – aus 700 km Entfernung hatte ich nur eine grobe Vorstellung vom «Süden». In der Schweiz war ich einen Tagesausflug lang gewesen, 1978 mit meinen Eltern und meinem Bruder, und hatte mir nur eins gemerkt: Dass sie an den Autos vorn viel zu kleine und hinten viel zu quadratische Nummernschilder haben.

Ich schaute im Atlas nach (Prä-Internet, die Älteren erinnern sich), bestellte die Unterlagen für die Aufnahmeprüfung, und am 29. Oktober 1990 zog ich tatsächlich nach St. Gallen, kurz vor meinem 22. Geburtstag. Im Oktober 2012, fast übermorgen, 22 Jahre später, werde ich genauso lange in der Schweiz gelebt haben wie in Deutschland.

Neulich fragte mich eine Freundin, auch HSG-Absolventin, aber Thurgauerin, in einem Mailwechsel unvermittelt: «Wie ist eigentlich diese Rickli-Debatte für Dich?» Ich schrieb nur ein Wort zurück: «schrecklich». Und obwohl zu dem Thema eigentlich alles gesagt ist, nur noch nicht von allen, reiche ich hier eine etwas ausführlichere, sehr persönliche Antwort nach.

Für die nicht in der Schweiz lebenden Alumni: Die SVP-Nationalrätin Nathalie Rickli hatte in einer TV-Diskussion gesagt, es seien einfach zu viele Deutsche im Land, die «zuviel Druck auf Arbeitsmarkt und Infrastruktur» machen (youtu.be/VEzOvFWgXHA). Eigentlich ein so strunzdummer Beitrag, dass man ihn nicht weiter kommentieren müsste, schliesslich fahren die hiesigen Deutschen mit der S-Bahn zur Arbeit und mehren das Schweizer Sozialprodukt, aber einmal mehr brach eine Riesendebatte los, die auch von vielen deutschen Medien aufgegriffen wurde.

Eigentlich schnell eingelebt

Der erste Schock ist für Deutsche bekanntlich, dass in der Schweiz nicht das Emil-Steinberger-Deutsch aus dem (deutschen) Fernsehen gesprochen wird, sondern ein Dialekt, den man zu Beginn schlicht nicht versteht. Bei einem Nachtessen im ersten Semester sprach zwar jeder bilateral mit mir Hochdeutsch, aber ich verstand keinen einzigen der Witze, über die sich die Runde kollektiv ausschütten konnte. Doch auf die lange Sicht ist das eine kurze Episode. Wer sich nicht gerade in einer Enklave von Ausländern versteckt, versteht schon nach wenigen Monaten fast alles. Ich habe mir mein passives Schweizerdeutsch bei McDonald’s am Bohl angeeignet, wo ich nach der Eröffnung 1991 einige Monate als Schichtführer jobbte, wie auch schon zuvor in Deutschland.

Dort geschah es auch zum ersten Mal: Eine Mitarbeiterin rief mich an die Kasse, weil ein halbbetrunkener Gast zu wenig Geld dabei hatte. Ein normaler Vorfall bei jeder Spätschicht. Von mir freundlich gefragt, was ich stornieren solle, schaute er mich aus glasigen Augen eine Sekunde lang an, sagte: «Uh, nei, en Dütsche!», drehte sich wortlos um und ging.

Der Betonungs-Selbsttest

Danach geht es trotzdem recht schnell mit der sprachlichen Assimilierung. Einige Zeit lang versuchte ich, bei der Rechtschreibung zu differenzieren: «Gruß» nach Deutschland, «Gruss» an Schweizer. Ein aussichtsloses Unterfangen, so dass ich schnell ganz auf die Schweizer Linie einschwenkte. Mein persönlicher Selbsttest, wie eingeschweizert man sprachlich ist, ist simpel:

  • Stufe 1: Betone ich typisch schweizerische Abkürzungen wie «SBB» oder «UBS» – und natürlich «HSG» – schweizerisch, also auf der ersten Silbe?
  • Stufe 2: Betone ich auch im gesamten deutschsprachigen Raum gültige Abkürzungen wie «PC» oder «DVD» auf der ersten Silbe?
  • Stufe 3: Betone ich neue Abkürzungen, wenn ich sie zum ersten Mal lese – sagen wir: «KLP» – auf der ersten Silbe?

Das funktioniert auch bei der Tonalität: Dass die gröbste Schweizer Kritik lautet: «Ich wundere mich etwas darüber, dass…» oder die nachdrücklichste Aufforderung: «Ich wäre noch froh, wenn…», muss man zunächst verstehen, kann es dann aber rasch übernehmen. Kürzlich sagte mir ein Freund aus Berlin, wo man einen deutlich ruppigeren Ton pflegt, ich sei «enorm eingeschweizert» und müsse mich daher nicht wundern, dass er die von mir allzu nett formulierte Eskalation gar nicht als solche wahrgenommen habe.

Aber natürlich ist das alles Kleinkram, denn am Ende jeder Skala der Eingliederung steht das aktiv gesprochene Schweizerdeutsch. Ich kenne Deutsche, die es gelernt haben: Bettina Hein, 1996 meine Nachfolgerin als Präsidentin der Studentenschaft, fing von einem auf den anderen Tag an, Mundart zu reden, und es klingt bzw. tönt recht überzeugend. Der gebürtige Deutsche Wolfgang Schürer, Mentor diverser Studentengenerationen, spricht ein gutes St. Gallerdeutsch, sagten mir Einheimische.

Ich orientiere mich aber an den abschreckenden Beispielen. Wenn Klaus J. Stöhlker aus Ludwigshafen, seit 1970 hierzulande ansässig, im Fernsehen mit krassem Akzent «Wir Schwyzer» sagt, ist Fremdschämen angesagt. Vieles aus dem Film «Die Schweizermacher» von 1978 scheint mir bis heute symptomatisch, zum Beispiel jener Satz, den der Chef der Fremdenpolizei vorliest: «Wir glauben, dass die Assimilation jener Zustand ist, bei welchem der bei uns anwesende Ausländer nicht mehr auffällt.» (youtu.be/WNHJHlFuacY?t=39s) Auch wenn ich nicht den braunen Kehrichtsack nehme wie das Fräulein Vakulic (was ohnehin nicht mehr geht seit Einführung der «Sackgebühr»): Das habe ich in 22 Jahren noch nicht geschafft.

Der tägliche Moment des Outings

Dabei erfolgt das Outing immer zeitverzögert, denn als Deutscher sieht man bekanntlich erstmal weitgehend «normal» aus. Manchmal kommt man sogar durch: Am Zoll mit dem CH-Kennzeichen: «Grüezi», Grenzwächter winkt durch, «Merci» – hurra: Nicht aufgeflogen! Zu den beiden SBB-Kondukteuren «Morge mitenand» gesagt und das «GA» wortlos vorgezeigt – welche Oase der Nationalitäten-Privacy! Aber bei jeder mehrstufigen Interaktion kommt unweigerlich der Moment, in dem man etwas Richtiges sagen muss: «Einen mittelgrossen Zopf» oder «Waschen mit Unterboden, ohne Wachs, bitte».

Der Augenblick der Enttarnung, der Moment der Wahrheit, und jeder ist ein kleines Outing: Ja, ich bin Deutscher.

Ich habe schon minutenlang gewartet, wenn ich in einer Reihe von Wartenden übersehen wurde (ich gebe zu, dass das schwer zu glauben ist, aber es passiert). Bloss nicht beschweren, nicht auf Hochdeutsch sagen: «Hey, jetzt wär ich dran gewesen!» Überhaupt bin ich fast immer unglaublich freundlich zu allen, gebe viel Trinkgeld, vielleicht in der Hoffnung, wenigstens wegzukommen mit dem Stempel: «Deutscher, aber ganz nett».

Mir ist bewusst, dass das hauptsächlich Paranoia ist, denn in 80 Prozent der Fälle reagiert die Schweizer Gegenseite ausnehmend freundlich. Aber in einem Prozent der Fälle friert als Reaktion das Lächeln ein, und dieses Prozent, das jeder Deutsche kennt, hat mich über die Jahre konditioniert: Ich mag ihn nicht, diesen Moment des Outings. (Die beachtliche Differenz von 19 Prozent sind selbst Ausländer, oft mit -ic am Ende, die ihr akzentbehaftetes Schweizerdeutsch völlig unbeschwert zu reden scheinen.)

Und so fühle ich mich hier gleichzeitig sehr zuhause wie auch permanent etwas unwohl. Wenn Deutsche im Tram laut reden, denke ich unwillkürlich: Geht das nicht leiser?

Ist das ein generell deutscher Komplex? Wenn die Norweger ihren Nationalfeiertag feierten und dabei sturzbetrunken über den Bodensee schipperten – lustig! Dass meine holländischen Nachbarn im «Gatter-Ghetto» damals zweimal hintereinander das Schild «Parkplatz Rektor» ausgruben und beide auf ihrem Balkon lagerten – sympathisch! Aber wenn der «AC» (Ausländerclub) damals seine Rallye durch die Ostschweiz machte, war es mir peinlich, und ich hielt mich fern.

Insgesamt aufeinander zu

Insgesamt habe ich den Eindruck, dass man sich trotz allem aufeinander zu bewegt. Die Rickli-Diskussion schien mir weniger heftig als die letzte Debatte vor drei Jahren. Am Ende ist die Mehrheit der Schweizer wohl eher pragmatisch als eigensinnig. Und auch bei den Kontrollschildern hat man inzwischen zumindest hinten den Widerstand gegen die dominante Form der umliegenden Autokarosserie aufgegeben – die vorn dagegen sind klein wie eh und je. Und es bleibt ein Trost: Eine Generation später lösen sich alle Probleme in Wohlgefallen auf: Meine Söhne sprechen beide lupenreines Schweizerdeutsch wie auch akzentfreies Hochdeutsch. Der Zustand, in dem der Ausländer nicht mehr auffällt, ist erreichbar, es braucht nur etwas länger.

43 ein halb, Geburtstagsapéro reloaded

Hole meinen am 11.11.2011 ausgefallenen Apéro zur Halbzeit zwischen den Geburtstagen am Freitag nach. Anmeldung via Facebook.

An meinem Geburtstag am 11.11.2010 hatte ich spontan – rund zwei Stunden vorher – für den Mittag einen spontanen Apéro am Bellevue angesetzt. Trotz der kurzen Vorwarnzeit kamen rund 20 Leute. Etwa hundert andere auf Twitter und Facebook baten um mehr Vorlauf für die Wiederholung. Also habe ich damals noch am selben Tag die Veranstaltung für den 11.11.2011 eingerichtet.

In der Nacht auf meinen Geburtstag verstarb die langjährige NZZ-Online-Redaktorin Isabelle Imhof nach kurzer schwerer Krankheit; natürlich sagte ich den Apéro daraufhin ab. (Was einmal mehr zeigt, dass längerfristige Planung nie auch Planungssicherheit bedeutet.)

Nun holen wir das einfach nach zur Halbzeit zwischen meinen Geburtstagen, also am 11. Mai 2012, um 12 Uhr. Wetter sieht gut aus aus heutiger Sicht (ist sowieso doof an meinem Geburtstag, dass es im November gern schon saukalt ist).

Eingeladen sind alle, die das online sehen. Bitte via Facebook anmelden: 43 ein halb.

Laudatio für Beat Schmid, Ehrenpreisträger Best of Swiss Web 2012

Gestern Abend wurde der «Best of Swiss Web»-Ehrenpreis an Prof. em. Beat Schmid verliehen, meinen ehemaligen Chef. Ich durfte ein Drittel der Laudatio halten.

Nachtrag vom 6. Oktober 2012: Die sind lustig der Organisation von «Best of Swiss Web»: Stellen das Video von meiner Laudatio eine Woche nach der Veranstaltung auf YouTube, sagen mir aber vorsichtshalber nichts davon. Gerade zufällig entdeckt, dümpelte bei 100 Views dahin. Der Text unten basierte auf meinem Manuskript; da gibt es nun halt gewisse Abweichungen, die ich aber nicht mehr abgleiche. Es gilt das gesprochene Wort – ausser dort, wo ich versehentlich etwas provokant wurde, dort gilt der gemässigtere Text.

Gestern Abend war die Preisverleihung der «Best of Swiss Web»-Awards, einem seit zwölf Jahren durchgeführten Branchenpreis der Schweizer Webszene. Ich war bis vor zwei Jahren Jury-Präsident der Kategorie Usability und durfte gestern zurückkehren, um eine Laudatio auf Professor Beat Schmid zu halten, bei dem ich vor gut 15 Jahren studiert und gearbeitet habe. Beat Schmid ist eine Art «Hidden Champion» der Schweizer Internetbranche: Wenige wissen, dass er sehr früh wichtige Impulse für die Entwicklung gegeben hat, und wie viele inzwischen namhafte Firmen wie Namics und Crealogix aus seinem Lehrstuhl hervor gingen. Entsprechend würdigten ihn drei Laudatoren: Prof. Andrea Back (meine Doktormutter) über sein Wirken an der HSG und am Institut für Wirtschaftsinformatik, Bruno Richle, Gründer von Crealogix, über sein Wirken als Verwaltungsrat, schliesslich ich aus Sicht eines damaligen Studierenden.

Hier mein Text:

Lieber Herr Schmid
Meine Damen und Herren

Viele Leute neigen dazu, ihre Studienzeit im Nachhinein zu verklären. Ich nicht.

Einer meiner schlimmsten Momente an der HSG war für mich im Jahr 1993, als meine Kollegen am Institut für Wirtschaftsinformatik, die «Forschung» betrieben, eine IP-Adresse bekamen (die HSG war damals noch auf IPX/SPX) — aber ich nicht, weil ich für die Lehre zuständig war.

Kurz danach stand der erste Webserver der Ostschweiz, der am Lehrstuhl Schmid aufgesetzt wurde (die Streber von der ETH waren natürlich schneller, nicht zu reden von denen am CERN) quasi in der Abstellkammer neben mir — und ich konnte nicht drauf.

Meine Büronachbarn, die Kollegen vom «CC TeleCounter», Richard Dratva sitzt dort vorn, die damals das Online-Banking der Zukunft erfanden — das zwar heute etwas anders aussieht als damals in Visual Basic mit Drag and Drop von Einzahlungsscheinen und Bleistiften skizziert, aber das immerhin eingetreten ist — sie konnten endlich zuschauen, wie sich die Schwarz-Weiss-Websites von amerikanischen Universitäten in nur wenigen Minuten in «Mosaic» auf dem eigenen PC aufbauten.

Einige Monate später gab es dann zwar TCP/IP für die ganze HSG. Aber wenn ich mir auch nur die Entwicklung von Namics und Crealogix anschaue, die aus diesem Team hervorgingen, stelle ich fest, dass ich den Initial-Rückstand von 1993 offenbar bis heute nicht aufgeholt habe.

Was habe ich also in der Zeit gemacht, in der die anderen surften? Was jeder gute Assi macht: PowerPoint.

Einige Slides davon habe ich mitgebracht, nämlich die legendäre Präsentation, mit der Herr Schmid damals durch die Lande reiste und das Internet erklärte. Ich bin überzeugt, dass die Zahl der Schweizer Führungskräfte, die zum ersten Mal von Beat Schmid vom Internet hörten, in die Tausende geht.

Slides mitgebracht — das tönt, als sei ich gut organisiert. In Wirklichkeit habe ich natürlich Andreas Göldi nach Boston geschrieben, der hat das PPT95-File, das man mit heutiger Software gar nicht mehr öffnen kann, durch irgendeinen Online-Konverter gejagt und es mir zehn Minuten später gemailt. Er lässt Sie übrigens schön grüssen.

Was ich hier zeige, sind wirklich nur die Slides, die ich selbst gemalt habe, denn die komplizierteren, auf denen die elektronischen Märkte erklärt werden, habe ich ehrlich gesagt bis heute nicht genau verstanden.

Wirklich, so sah das damals aus, dieses bunte war modern!

Auf dem nächsten Slide sehen wir, dass wir es mit ortslosen, interaktiven und multimediale Informationsobjekten zu tun bekommen würden – die wir heute jeden Tag besuchen und zum Beispiel Websites nennen.

Ich finde es bis heute gut zu wissen, dass das Internet etwas silbrig glänzt aussenrum.

Schön fand ich noch die Grafik der Anzahl Internet-Hosts, die im Jahrzehnt von 1985 bis 1995 schon ein beeindruckendes Wachstum von 0 auf 7 Millionen hinter sich hatte. Wer es vergleichen möchte: Vor genau einem Jahr gingen bekanntlich die Adressen für den Adressraum IPv4 aus, mit dem man 4.3 Milliarden Hosts adressieren konnte.

Meine Lieblingsgrafik bis zum heutigen Tage bleibt aber die letzte Folie, die ich eigentlich gern gross in meinem Büro aufhängen würde: die Substitution von Pferden durch Autos.


(JPG grossPDF)

Denn auch 1995 musste man Managern schon mit Metaphern, die sie verstehen konnten, die Zukunft erklären. 1995 war das die Substitution von Pferden durch Autos zu Beginn des Jahrhunderts.

Ich weiss noch genau, wie Herr Schmid damals in den Vorträgen immer sagte: «Um die ersten Autos zu bedienen, musste man noch ein halber Ingenieur sein, weshalb die Droschkenkutscher sagten: ‚Das wird sich nie durchsetzen!’»

Nun, man könnte heute die Pferde und Autos in der Grafik durch eine Menge aktuelle Dinge ersetzen — sagen wir zum Beispiel durch Zeitungen und iPads — und einigen müsste eigentlich einiges klarer werden. Erstaunlicherweise ist das aber nicht so, sondern ich verbringe in meinem Job recht viel Zeit damit, mit Leuten zu debattieren, die diese Entwicklung in Frage stellen.

Ich frage mich, wie damals die Argumentation lief. Vielleicht sagten einige: «Die Haptik ist bei so einem Pferd einfach viel besser», oder: «Zu einem schönen Tag gehört für mich einfach dazu, dass ich morgens zur Arbeit reite.»

Und tatsächlich, es gibt ja auch immer noch Pferde und Fuhrwerke und Kutscher, und ich unternehme sogar regelmässig Kutschfahrten: im Schnitt etwa alle zwei Jahre, in den Ferien, wenn meine Söhne mich dazu zwingen.

Lieber Herr Schmid, ich könnte noch diverse Beispiele bringen, etwa von Brillen, mit denen wir ab ca. 1997 «in die Daten gehen», aber ich darf hier nicht länger.

Was ich Ihnen an dieser Stelle sagen möchte: Das Rüstzeug, um diese Transitionen vielleicht etwas früher und etwas klarer zu erkennen als andere, haben wir damals von Ihnen im Studiumgang «Informationsmanagement» bekommen.

Herzlichen Dank dafür!

Gesucht: «Driver X»

Welcher Blogger findet «Driver X», der Tom Hanks durch den deutschen Osten gefahren hat — mit sagenhaften 140 km/h?

Blogger aus Berlin oder aus dem deutschen Osten — das ist Deine Chance!

Unten ist ein grandioses oder albernes Video, je nach Geschmack, aus «Letterman». Einerseits fasst man sich an den Kopf, wie ignorant diese Amerikaner doch immer noch sind, und wie dumm auch, wenn sie nicht mal ein Schild erkennen, das die Durchfahrthöhe unter einer Brücke angibt. Andererseits könnte Harald Schmidt problemlos das gleiche machen mit fast jedem anderen Land, und wir würden es auch normal finden. Vor allem aber finde ich es wirklich komisch, dass Tom Hanks denkt, 140 km/h sei schnell.

Dein Auftrag, lieber Blogger: «Driver X» finden, der Tom Hanks von Berlin nach Dresden und Eisenhüttenstadt gefahren hat. Ihn auf Video interviewen und seine Aussagen (natürlich hofft man, er hat einen total starken Dialekt) gegenschneiden mit denen von Hanks. Vor allem, wie aufgeregt der war, als er 140 gefahren ist, und wie er sich immer erschreckt hat, wenn jemand trotzdem, also quasi mit Lichtgeschwindigkeit, überholt hat.

Wenn Video nicht möglich ist, geht auch ein Text, der den Gegensatz beschreibt. Fotos von Driver X sind aber Pflicht.

Wenn Du dann den Post live hast, musst Du natürlich Tom Hanks antwittern. Der wird es witzig finden und retweeten (mit 3.2 Mio. Followern), und – zack – Du hast 3% davon auf Deiner Website, das sind 100’000 Leute. turi2 wird darüber schreiben, der bringt nochmal 1000. Ende der Geschichte, die kommen alle nie wieder – aber hey, immerhin.

Crossair 3597 – 10 Jahre

Zehn Jahre Absturz. Ich wollte nicht wieder in die Medien. Ansonsten ist das meiste unverändert im Vergleich zum fünften «Jubiläum».

Diese Woche war der 24.11.2011, das «Jubiläum», zehn Jahre danach. Ich war natürlich dabei, der Unfall gehört ja zu meinem Leben, da gehört es sich auch, dass man an sowas teilnimmt, finde ich.

Also waren wir – organisiert von der Flughafenseelsorge – bei einer Gedenkfeier am Gedenkstein, danach beim ökumenischen Gedenkgottesdienst in Bassersdorf, mit abschliessendem Apéro. Das – privat organisierte – Abendessen, das wir jedes Jahr im Restaurant Kreuzstrasse machen, immer zusammen mit den damaligen Kommandanten von Polizei und Feuerwehr, haben wir zum Mittagessen vorgezogen.

Und ich wollte ebenso natürlich nicht wieder in die Medien. Ich hatte diverse Anfragen, von Zeitungen (auch den beiden aus unserem Haus), News-Sites, Fernsehen und Radio, und ich habe allen abgesagt.

Dass das richtig war, habe ich wieder gedacht, als ich ein zehn Jahre altes Video von «Schweiz aktuell» schaute, das Ronnie Grob auf Google+ verlinkt hat: Nach dem Horrorunfall zurück in den Alltag – Schweizer Fernsehen: SF Videoportal.

Alles erklärt sich ganz simpel aus diesem Bild:

Ausschnitt aus Interview bei «Schweiz aktuell»

«Peter Hogenkamp – Ueberlebender», das hat man irgendwann mal oft genug gesehen. Und ich möchte nicht, zumal ich jetzt selbst bei einem Medium arbeite, dass es heisst: Puh, der Hogenkamp drängt aber auch bei jeder Gelegenheit in die Medien. Gern zu Paywall & Co., eher ungern in der Opferrolle.

Meine Absturz-Nachbarin Jacqueline Badran macht das anders, weil sie findet, als Politikerin müsse sie es anders machen. (Ich weiss nicht, ob das stimmt, aber das muss ich auch nicht beurteilen.) Sie hat sich vom SRF zwischen Röschti und Dessert an der Kreuzstrasse noch schnell zum Gedenkstein schleppen lassen und einen recht rührseligen Beitrag produziert, siehe Crossair-Absturz vor 10 Jahren bei Bassersdorf. Wobei ihre Anteilnahme echt ist, das weiss ich.

Und so komme ich im NZZ-Artikel mit Jacqueline («Ich war sicher, dass ich sterbe») von Rebekka Haefeli halt dreimal als «Geschäftspartner» bzw. «ehemaliger Geschäftspartner» vor. Und finde, das ist gut so.

Den NZZ-Chefredaktor veranlasste es allerdings am Vorabend zu der launigen Bemerkung: «Sag bitte Deinen Twitterfreunden, dass wir durchaus wissen, dass dieser ‚Geschäftspartner‘ inzwischen Leiter Digitale Medien bei uns im Haus ist.» Was ich hiermit nachträglich mache, aber ich denke, es hat sich auch von selbst erklärt.

Sogar im Wikipedia-Artikel über den Absturz stehe ich nun als «ihr Geschäftspartner». Ist mir recht, wäre mir aber auch recht, wenn ich dort namentlich genannt würde; ich habe ja nichts zu verheimlichen.

Ansonsten hat sich in den letzten fünf Jahren nicht viel verändert, siehe Crossair 3597 – 5 Jahre. Doch: Jacquelines Blog hat jetzt deutlich mehr als einen Eintrag. Da sage noch einer, Politik bewirke ja eh nichts.